Stefan Engstfeld: „Es fehlen sowohl ambulante als auch stationäre Angebote und Konzepte“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Behandlung psychisch kranker Gefangener

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Unruhe – Glocke)
Psychische Erkrankungen und Störungen sind in Justizvollzugsanstalten weitaus verbreiteter als in der Allgemeinbevölkerung. Zu diesen Erkrankungen und Störungen gehören unter anderem Suchterkrankungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen, Posttraumatische Belastungsstörungen und Psychosen.
Genaue Daten zu den einzelnen Erkrankungen sind auch durch Studien nur sehr schwer zu erzielen. Studien aus den Jahren 2005 und 2006 kommen zu Ergebnissen von bis zu 88 % psychisch erkrankten Gefangenen.
Auch die Zahl der Suizide liegt bei Gefangenen um ein Vielfaches höher als in der Allgemeinbevölkerung. Seit Jahren wird zudem ein Anstieg der psychischen Erkrankungen und Störungen in den Justizvollzugsanstalten beobachtet. Auch die steigende Anzahl der Gefangenen mit Suchtproblemen stellt eine Belastung für den Justizvollzug dar.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ende Juli wurde der Bericht der Expertenkommission zum Justizvollzug, der sogenannten Manteuffel-Kommission, veröffentlicht, die nach dem Tod des Syrers Amad A., der unschuldig inhaftiert wurde und im Nachgang eines Zellenbrands in der Justizvollzugsanstalt Kleve verstorben ist, eingesetzt wurde. In diesem Bericht wird insbesondere die Versorgung psychisch kranker Gefangener scharf kritisiert und als – ich zitiere – „völlig unzureichend und unangemessen“ bezeichnet.
Die Versorgung psychisch kranker Menschen in Haft muss dringend verbessert werden. Das hat uns der Bericht der Expertenkommission deutlich vor Augen geführt. Es fehlen sowohl ambulante als auch stationäre Angebote und Konzepte.
Auch die Suizidprävention muss weiter verbessert werden. Insbesondere für psychisch kranke Frauen gibt es kaum Behandlungsangebote. Es fehlt Personal in allen Bereichen. Es fehlen Ärztinnen, Psychologinnen, Pflegekräfte, Vollzugsbedienstete. Die Gefängnisse und die Bediensteten sind überlastet und können psychisch Kranken keine angemessene Behandlung bieten.
Wir bringen nun diesen Antrag ein und stellen ihn nicht zur direkten Abstimmung, weil wir hier ein klares Defizit erkennen. Das hat uns der Bericht deutlich vor Augen geführt. Wir möchten das Licht der Öffentlichkeit und das Licht des Parlaments auf diese Problematik, wo man sicherlich nicht so gerne hinguckt, lenken. Wir möchten eine Plattform bieten. Deswegen soll dieser Antrag zur weiteren Beratung an die Ausschüsse überwiesen werden.
Ich kündige schon jetzt für meine Fraktion an, dass wir dazu eine Anhörung im federführenden Rechtsausschuss beantragen werden. Wir würden gerne darüber breit im Parlament diskutieren, unabhängig davon, dass wir letzte Woche im Rechtsausschuss auf Einladung des Ministers der Justiz eine Koordinierungsrunde vereinbart haben, um die Ergebnisse dieser Expertenkommission mit Vertreterinnen und Vertreter der Fraktionen zu diskutieren. Solch eine Problematik mit so einem dramatischen Befund gehört ins Parlament, in die Ausschüsse. Wenn wir beides machen, das eine machen und das andere nicht lassen, dann werden wir hoffentlich am Ende des Tages die Situation sowohl für die Gefangenen als auch für die Mithäftlinge und die Bediensteten im Vollzug deutlich verbessern.
Wir unterbreiten im Antrag zehn Vorschläge, wie es unserer Meinung nach gehen könnte. Ich muss sie nicht alle aufzählen, sondern möchte nur einige kurz benennen.
Erstens schlagen wir vor, dass die zur Verfügung stehende Anzahl der Belegbetten in der psychiatrischen Abteilung des Justizvollzugskrankenhauses in Fröndenberg bedarfsgerecht aufgestockt wird. Derzeit gibt es 60 Zimmer, oft mit Einzelbelegung, sodass de facto wesentlich weniger Zimmer für die Behandlung von psychisch auffälligen Inhaftierten zur Verfügung stehen.
Zweitens ist die Zusammenarbeit mit Honorarärztinnen und Honorarärzten in den Justizvollzugsanstalten deutlich auszubauen, um Abhilfe zu schaffen.
Studien und psychologische Schulungen der Bediensteten sind dringend notwendig.
Es gibt noch viele weitere Punkte, die wir tun könnten. Unser Anliegen ist, hier im Parlament möglichst interfraktionell zu einer Lösung zu kommen. Deswegen lade ich Sie alle ein, zu diesem vielleicht etwas schwer verdaulichen Thema mit uns in den Diskurs zu gehen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)

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