Stefan Engstfeld: „Ein klares Bekenntnis zu Europa!“

Aktuelle Stunde zu Brexit

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Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch mein Bänderriss wird mich nicht davon abhalten, heute im Plenum zu Ihnen zu sprechen.
Herr Laschet, der letzte Teil Ihrer Rede war gut. Da haben wir auch applaudiert, und da sind wir bei Ihnen.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU])
– Das war der letzte Teil. Ich rede vom letzten Teil, in dem Sie ein proeuropäisches Bekenntnis abgegeben haben.
Der erste Teil zu Kretschmann ging so. Wissen Sie, warum? – Sie fordern unbedingt eine Regierungserklärung. Ich meine, Kretschmann hat eine Regierungserklärung abgegeben, weil das baden-württembergische Parlament Plenarwoche hatte. Da bot sich das an.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Haben wir hier ein Kaffeekränzchen, oder was machen wir? Sagen Sie das! – Weitere Zurufe von der CDU)
– Fertig? Wenn ich beim Reden störe, sagen Sie Bescheid.
(Beifall von den GRÜNEN – Fortgesetzt Zurufe von der CDU)
Die Ministerpräsidentin ist nach der Entscheidung ziemlich schnell hinausgegangen, auch um mit den Vertretern der Landespresse zu reden, und hat ihre Meinung kundgetan – auch schriftlich. Wir haben – vielleicht ist Ihnen das entgangen – am letzten Freitag, als es die erste Möglichkeit gab, im parlamentarischen Raum darüber zu diskutieren, im Europaausschuss fast zwei Stunden lang darüber gesprochen. Der Europaminister Lersch-Mense stand zur Verfügung und hat eine fast halbstündige Einleitung vorgetragen und darin die Position und die Analyse der Landesregierung dargelegt. Wir hatten alle miteinander eine gute Debatte.
(Zurufe von der CDU)
Die nächste Möglichkeit, nämlich es in diesem Plenum aufzusetzen, haben wir genauso gesehen wie Sie, und wir haben sofort gesagt: Wir brauchen eine Aktuelle Stunde dazu. Wir würden auch im Plenum gern darüber diskutieren. – All das, was im parlamentarischen Raum ging, das heißt alle Möglichkeiten, darüber zu debattieren, haben wir genutzt. Man braucht keine Regierungserklärung zu haben, um hier über den Brexit zu diskutieren. Wir haben es im Europaausschuss gemacht, wir machen es jetzt im Plenum, und das ist doch völlig in Ordnung. Insofern bin ich da nicht ganz d‘accord.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Kretschmann hat natürlich eine gute Rede gehalten – wie sollte es auch anders sein? – und auch ein klares Bekenntnis zu Europa abgegeben.
Herr Laschet, zum zweiten Teil Ihrer Rede: Sie haben gefragt, was jetzt aus all den Erasmus-Studenten werde. Die Professoren seien zu Ihnen gekommen, und die Landesregierung müsste doch einmal sagen, was da ist. Sie haben auch nicht gesagt, was das heißt. Aber ich glaube, niemand, absolut niemand kann Ihnen heute sagen, was das für die Erasmus-Studentinnen und -Studenten heißt. Niemand kann das. Das kann Ihnen die Europäische Kommission nicht sagen, das können Ihnen die Programmverantwortlichen nicht sagen, das kann Ihnen keine Bundesregierung sagen, und das kann Ihnen auch keine Landesregierung sagen.
Ich kann es Ihnen auch nicht sagen, denn wir alle wissen noch nicht, was das am Ende heißt. Wir alle wissen nicht, in welchem Verhältnis Großbritannien irgendwann zu den restlichen 27 EU-Mitgliedsstaaten stehen wird. Das wissen wir alle nicht. Das werden wir im Rahmen des Prozesses in den nächsten zwei Jahren klären müssen.
Insofern finde ich es müßig, so etwas hier aufzubringen und zu fragen: Was passiert denn damit? – Für uns alle in diesem Plenum ist doch klar, dass wir alles tun werden, damit die keinen Schaden nehmen, und dass wir darauf achten, dass die Schulpartnerschaften und die Städtepartnerschaften mit Großbritannien in Nordrhein-Westfalen weiter blühen. Dafür werden wir alle arbeiten. Aber die Fragen, die Sie gestellt haben, kann Ihnen heute niemand beantworten. Insofern war ich damit nicht so ganz einverstanden.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Welche Schlüsse für Nordrhein-Westfalen ziehen wir denn aus dem Ergebnis, das wir alle leider akzeptieren müssen? – Wir hatten vor der Entscheidung in Großbritannien im Landtag eine Debatte dazu. Wir waren alle unterschiedlicher Auffassung. Natürlich ist das eine Zäsur im europäischen Einigungsprozess. Darin sind wir uns alle einig.
Ich würde Ihnen gern noch einmal ein paar Schlüsse darlegen, die wir daraus gezogen haben. Erstens. Wer ist eigentlich hauptverantwortlich und warum? – Hauptverantwortlich für diese Entscheidung sind – das haben Sie gar nicht erwähnt – die Tories, vor allem in Person von David Cameron. David Cameron hat einen ganz entscheidenden Anteil an dieser Situation.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Hat er doch gesagt! – Weitere Zurufe von der CDU)
Er hat drei grundsätzliche Sachen ganz falsch gemacht. Erstens. Aus machtpolitischem Kalkül, zugunsten eines innenpolitischen Geländegewinns damals bei den Tories, hat er, um überhaupt Spitzenkandidat und Premierminister werden zu können, zugesagt, ein Referendum durchzuführen. Das war in Großbritannien keine Volksinitiative von unten, sondern das war eine Initiative von oben.
So etwas darf man nie machen. Man darf eine solche Staatsräson, nämlich die Zustimmung zur europäischen Einigung, niemals innerparteilichen Macht- und Grabenkämpfen opfern.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Das ist die eine Lehre. Die zweite Lehre aus dem, was David Cameron falsch gemacht hat: Er hat von Montag bis Samstag gegen Brüssel gewettert, und am Sonntag hat er sich hingestellt und gesagt: Na ja, eigentlich ist das eine gute Sache, stimmt doch bitte dafür. – Diese Nummer mit dem Sündenbock Brüssel – wenn es schlecht läuft, ist es Brüssel, wenn es gut läuft, waren es David Cameron und die nationalen Regierungen, also wir – muss aufhören. Das ist blöd. Das muss aufhören!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Man darf das nicht machen. Das ist die zweite große Lehre.
Die dritte Lehre in Bezug auf David Cameron ist: Er hat einfach schlecht regiert. Es ist nicht bei diesen nationalen Volksabstimmungen über europäische Fragen nämlich fast immer so – das müssen wir mal nüchtern konstatieren –, dass die nationalen Regierungen einen Denkzettel verpasst bekommen.
Ich nennen Ihnen ein Beispiel: das Assoziierungsabkommen zwischen den Niederlanden und der Ukraine, das letztens von der niederländischen Bevölkerung abgelehnt wurde. Ich behaupte, niemand hat aus einer ernsthaften Wahlmotivation heraus dieses Abkommen abgelehnt, sondern man hat der niederländischen Regierung vielmehr einen Denkzettel verpasst.
(Zuruf von Armin Laschet [CDU] – Josef Hovenjürgen [CDU]: Da geben wir Ihnen ja recht! Ja!)
Das haben sowohl die Niederländer als auch die Franzosen bereits bei dem Verfassungsreferendum gemacht. Cameron hat einfach schlecht regiert. Insofern war ein Teil der Abstimmung einfach ein Denkzettel für ihn. Stricht drunter.
Ich komme auf den zweiten Punkt zu sprechen, den ich in der Analyse noch gern benennen würde. Wir dürfen nicht übersehen, dass viele oder fast alle Menschen – und ich habe viele Fernsehberichte dazu gesehen – gesagt haben: Wir haben gar keinen Einfluss mehr; wir werden in Brüssel gar nicht gehört. 68 % der Gesetzgebung Großbritanniens erfolgt in Brüssel. – Dabei wird nicht differenziert, ob es sich um das Europäische Parlament, die Kommission, die Staats- und Regierungschefs oder den Rat handelt, sondern es heißt immer: Das kommt aus Brüssel.
Wir wollen wieder zurück zum verklärten Mythos des goldenen Nationalstaates. Wir wollen wieder selbst bestimmen. Das ist aber echt gefährlich, das sehen wir ganz oft in anderen europäischen Ländern. Ich glaube, die Analyse, die wir machen und der erste Schritt, den wir gehen müssen, ist, erst einmal aufzustehen – und da war ich durchaus bei Ihnen und habe Ihnen Beifall geklatscht, Herr Laschet –
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Stefan Engstfeld (GRÜNE): – und den Leuten wirklich klarzumachen, welche Vorteile die Europäische Union und die europäische Einigung bringen. Aber wir müssen auch zuhören, mit den Leuten diskutieren und ihnen deutlich machen, dass in Brüssel keine Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg getroffen werden.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Stefan Engstfeld (GRÜNE): Ja, ich komme zum Ende. – Das ist zentral. Wir werden das als grüne Partei auch morgen tun. Wir werden in 70 Städten in Nordrhein-Westfalen, auch in Düsseldorf, auf die Straße gehen und mit den Menschen reden.
Eine zentrale Botschaft, die wir senden müssen, ist allerdings, zuzuhören und wirklich für die europäische Einigung einzutreten. Die Zeit der schweigenden Mehrheit, der proeuropäischen Menschen ist vorbei. Wir müssen den Demagogen auf der Straße entgegenhalten. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD und den PIRATEN)


2. Runde:

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Stefan Engstfeld (GRÜNE): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal gemeldet, um noch einmal auf den Kollegen Lindner einzugehen. Herr Lindner, Sie haben die Rolle der Großen Koalition in Ihrem Wortbeitrag noch einmal beleuchtet. Ich sehe das derzeit auch mit einem lachenden und einem weinenden Auge, wie die mit dem Ergebnis umgeht.
Ich sehe es mit einem lachenden Auge, weil ich es eigentlich gut finde, dass man nach dieser Entscheidung in Großbritannien endlich mal anfängt, sich ernsthaft darüber zu streiten, wo wir in Europa hinwollen, und nicht nur in Sonntagsreden, sondern sich wirklich mal damit auseinandersetzt und überlegt, wie es weitergehen kann. So habe ich die Beiträge von Schäuble und auch von Sigmar Gabriel verstanden.
Ich sehe es aber mit einem weinenden Auge, weil beide Vorschläge nicht tauglich sind. Ich halte das Vorgehen von Schäuble, jetzt wieder aufs Interkontinentale zu setzen und wegzugehen von der Gemeinschaftsmethode, für nicht zielführend. Das war während der Finanzkrise schon so. Das ist, glaube ich, nicht der taugliche Weg, wie wir weitergehen sollten. Ich finde das Vorgehen von Gabriel aber auch nicht ganz ausreichend.
Aber: Was ich sehr witzig fand, Herr Lindner, in Ihrer Rede ist, dass Sie gesagt haben, bei dieser Großen Koalition, bei dieser Bundesregierung würde es um Europa gehen und nicht um Profilierung für die Bundestagswahl. Dass Sie – wie soll ich das sagen? – ein spezielles Verhältnis zur Profilierung haben, geschenkt. Aber wer bitte hat in London werbewirksam diesen Transporter auf die Straße gejagt mit dem FDP-Logo
(Christian Lindner [FDP]: Gut, oder?)
und der Aussage „Keep calm“ und hat dafür geworben, dass Start-ups nach Berlin gehen?
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Das war schade, leider nicht nach Düsseldorf. Die hätten besser nach Düsseldorf gehen sollen. Wer um alles in der Welt hat sich denn für die Bundestagswahl profiliert? – Die FDP! Dann können Sie doch hier nicht sagen, bei der Großen Koalition ist das keine Profilierung. So geht es natürlich nicht.
(Christian Lindner [FDP]: Natürlich geht das so!)
Sich selber zu profilieren und das anderen vorzuwerfen, das ist doch aberwitzig. Das ist doch ein Schuss ins eigene Knie.
Herr Wüst, Vodafone hat ja nun einmal hier – das ist ja die Besonderheit an Düsseldorf – den größten Sitz außerhalb Großbritanniens. Es kann ja nicht so schlimm sein hier in Nordrhein-Westfalen, wenn die das gemacht haben. Die haben ja investiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass die sich irgendwann für den größten Standort außerhalb Großbritanniens entscheiden, ist doch natürlich relativ hoch.
Der Wirtschaftsminister hat das auch deutlich gemacht, der Europaminister auch und die Ministerpräsidentin auch. Wir werden natürlich alles dafür tun, damit wir, wenn so eine Unternehmensentscheidung dann getroffen wird, darauf vorbereitet sind und Vodafone natürlich hier mit offenen Armen empfangen wird.
Herr Lindner, Sie haben noch einmal etwas gesagt zu der Schnelligkeit und zum erhobenen Zeigefinger gegenüber den Briten. Das ist natürlich ein schwieriges Koordinatensystem, in dem wir uns befinden, weil wir alle genau wissen, dass wir nicht irgendwie in irgendeiner Art und Weise Einfluss darauf haben, wann Großbritannien und wann die britische Regierung Art. 50 denn zieht und bei der Europäischen Kommission einreicht. Das wissen wir alle nicht. Das können wir auch alle nicht beeinflussen. Da können wir uns alle auf den Kopf stellen.
Also liegt es nun einmal in der Hand der britischen Regierung, wann sie das tut. Was aber nicht geht – deswegen bin ich da eigentlich auf Seiten der SPD und habe gesagt: ja, man muss da auch Tempo machen –, was nicht geht – Sie haben einen Fokus auf die ökonomischen Auswirkungen gelegt, die es haben könnte –, ist natürlich, diese Phase der Unsicherheit und der Unklarheit jetzt lange so zu belassen.
Natürlich muss man an die britische Regierung appellieren, sich jetzt schnell zu entscheiden und auch Fakten zu schaffen. Natürlich brauchen die Investoren jetzt Klarheit und Planbarkeit, wie dieser Prozess denn aussehen soll. Insofern, finde ich, haben Sie an der Stelle überhaupt nicht recht.
Natürlich muss man denen auch sagen: Es muss jetzt aber auch schneller gehen, damit diese ökonomischen Verwerfungen gar nicht erst riesig groß entstehen können. Diese Unsicherheit ist gerade Gift. Wir sehen das doch. Das britische Pfund war seit 30 Jahren nie so niedrig. Es schadet natürlich uns.
(Zuruf von Christian Lindner [FDP])
– Bitte?
(Christian Lindner [FDP]: Das fällt den Briten selber gar nicht auf!)
– Das wird denen schon auffallen. Uns wird es auffallen, weil wir exportieren. Natürlich sind unsere Produkte gerade teurer, ganze Kfz-Zulieferungen, chemische Industrie, Maschinenbau. Natürlich merken wir das dann irgendwann, aber die Britinnen und Briten werden diesen Werteverfall im britischen Pfund natürlich auch irgendwann merken.
(Christian Lindner [FDP]: Also kommen sie von selber auf die Idee, dass sie schnell Klarheit schaffen müssen. Die brauchen Sie, Herr Engstfeld, gar nicht dazu!)
Ich glaube, dass es schon Wirkungen hat – das würde ich anders sehen –, wenn wir alle den Freundinnen und Freunden in Großbritannien sagen, dass wir schon erwarten, dass da jetzt eine Klarheit herbeigeführt wird. Ich glaube schon, dass das gehört wird und dass das nicht völlig untergeht. Auch da ist es richtig, wenn der Präsident des Europäischen Parlamentes das tut. Da habe ich auch noch mal eine andere Ansicht.
Ich wünsche mir, dass das nicht die letzte Debatte zur Fortentwicklung der europäischen Union war und darüber, wie wir in Nordrhein-Westfalen damit umgehen. Ich habe es im ersten Teil gesagt – meine Redezeit ist vorbei –, ich sage es auch im zweiten Teil: Es ist jetzt die Zeit, im nächsten halben Jahr bis zur Bundestagswahl spätestens müssen wir Klarheit haben, wie wir uns unser Europa hier vorstellen, ich natürlich mit sozialen und ökologischen Leitplanken, Sie wahrscheinlich andere. Aber das ist der Prozess, in den wir jetzt alle gehen müssen. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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