Stefan Engstfeld: „Der übliche und gewollte Tabubruch“

Antrag der "AfD"-Fraktion zum "Lockdown light"

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben die Frage auch schon gestellt: Worum geht es eigentlich in diesem Antrag, in der ganzen Serie von insgesamt elf Anträgen der AfD zum Thema „Corona“ in dieser Plenarwoche? Geht es wirklich um die Pandemie? Geht es wirklich um deren Bekämpfung, um das Abfedern der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Folgen? – Nein, darum geht es nicht.
(Helmut Seifen [AfD]: Doch!)
Dieser Debattenplatz hier, dieser Antrag und all die anderen Initiativen, die wir in diesen Plenartagen behandeln, haben in Wirklichkeit ein anderes Thema. Das Thema lautet nicht „COVID“, sondern es lautet „AfD“. Es ist der Versuch einer Partei, von ihrer inneren Zerstrittenheit, von ihren Grabenkämpfen, von ihren Flügelkämpfen, von Korruptionsvorwürfen, von Skandalen, von schlechten Umfragewerten seit der Bundestagswahl abzulenken. Es ist der Versuch, den schleichenden Niedergang der AfD zu stoppen. Es ist ein politisches Schauspiel, der Versuch einer Partei, die politisch nichts zu bieten hat, wieder Relevanz zu entwickeln.
(Helmut Seifen [AfD]: Jetzt reden Sie doch mal zur Sache!)
Die AfD hat am Anfang versucht, sich als Anti-Euro-Partei zu profilieren. Dann ist sie dazu übergegangen, sich als Anti-Flüchtlings- und ‑Migrationspartei zu profilieren, dann als Anti-Klima-Partei.
Zu Beginn der Pandemie ist sie politisch irrelevant geworden. Die Partei, die davor davon geträumt hatte, dass es keine Regierungsmehrheiten gegen sie geben könne, ist während der Pandemie auf 8 % abgesackt.
(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])
Also steigen Sie voll auf das Thema ein, das gesellschaftliche Relevanz hat, Herr Seifen, die Coronapandemie, und versuchen, sich jetzt als neue Anti-Corona-Partei zu stilisieren. Es wundert mich deswegen nicht, dass Sie die beschlossenen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung und des Gesundheitssystems an allen Ecken und Enden kritisieren und deren Ende und Abschaffung propagieren. Das haben Sie ja von dem ehemaligen Pressesprecher Ihrer Partei als Geschäftsmodell gelernt. Ich zitiere: „Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.“
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Hört, hört!)
Zusammenhalt und Mitmenschlichkeit sind einfach nicht Ihr Ding. Ihre Partei ist nicht krisenfest, sie lebt von der Krise. Da konstruktive Sacharbeit auch nicht in Ihrem Repertoire liegt, geht es wieder los mit der vollen populistischen Breitseite. Nun sollen also die „Querdenker“ Sie aus Ihrem Umfrageloch holen. Das zeigt ehrlicherweise, wie verzweifelt Sie sein müssen.
Auf der anderen Seite versuchen Sie noch einen anderen Schritt. Ich zitiere eine Meldung der Deutschen Presse-Agentur vom 30. Oktober dieses Jahres:
„Um neue Wählergruppen zu erreichen, will die AfD Alleinerziehende, Künstler, Veranstalter, Gastronomen, Alte und Pflegebedürftige ansprechen, die von den Corona-Einschränkungen besonders betroffen sind. In einem internen Diskussionspapier ihrer Bundestagsfraktion heißt es: ‚Es besteht die Chance, über die eigene Anhängerschaft hinaus Gehör in jenen gesellschaftlichen Milieus zu finden, die der Partei bisher skeptisch gegenüberstanden.‘„
Darum geht es hier, um nicht mehr und nicht weniger.
Sie arbeiten in Ihrem Antrag auch wieder mit den üblichen AfD-Methoden. Es wird aus wissenschaftlichen Studien und Texten nur ungenau, verzerrt oder halb zitiert. Es wird sprachlich radikalisiert.
Man sieht dann auch mal einen AfD-Abgeordneten im Plenarsaal des Deutschen Bundestages mit einem „Querdenker“-T-Shirt herumlaufen oder einen anderen Abgeordneten auf einer Anti-Corona-Demonstration in Berlin ein Schild hochhalten, auf dem der Virologe Christian Drosten und der SPD-Politiker Karl Lauterbach in Sträflingskleidung mit der Aufschrift „Schuldig“ zu sehen sind. Also: der übliche und gewollte Tabubruch.
Wie schlecht es aber einem Land geht, dessen Politik es ist – wie bei Ihnen von der AfD –, die Gefahren des Coronavirus zu verharmlosen oder gar zu leugnen, sehen wir gerade in den Vereinigten Staaten von Amerika: 10 Millionen Fälle, mehr als 230.000 Tote. Das sind schlimme Zustände, von denen wir hier weit entfernt sind, weil wir eine andere Politik betreiben, Gott sei Dank.
Deswegen sage ich Ihnen zum Schluss: Es gibt Momente, in denen ich noch dankbarer dafür bin als ohnehin, dass die AfD in diesem Land keine politische Verantwortung hat. Der Blick auf diese Zahlen in den USA ist ein solcher Moment.
Wir lehnen Ihren Antrag ab. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der FDP)