Die Große Anfrage „Frauen in der Justiz NRW“
Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang steht der Dank an all diejenigen, die sowohl bei der Erstellung als auch bei der Beantwortung der Großen Anfrage mitgewirkt haben. Eine Große Anfrage zu erstellen und zu bearbeiten, ist eine Menge Arbeit. Insofern von mir und meiner Fraktion ein großer Dank an alle, die beteiligt waren. Ich finde, das ist einen Applaus wert.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der FDP)
Warum diese Große Anfrage zu Frauen in der Justiz in Nordrhein-Westfalen? – Wir Grünen setzen uns für eine Gesellschaft ein, in der Frauen und Männer gleichberechtigt und selbstbestimmt leben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir fordern schon lange: Die Hälfte der Macht den Frauen!
(Beifall von den GRÜNEN)
Doch auch im Jahr 2021 ist die Gleichstellung von Frauen und Männern noch nicht erreicht. In vielen Lebensbereichen – so auch in der Justiz – stoßen Frauen auf strukturelle und institutionelle Benachteiligung.
Fast 100 Jahre nach der Zulassung von Frauen zu allen Ämtern und Berufen der Rechtspflege, wie es im entsprechenden Gesetz aus dem Jahr 1922 heißt, sind Frauen in Roben und auf den Lehrstühlen juristischer Fakultäten noch immer unterrepräsentiert. Unsere Große Anfrage haben wir auch gestellt, um herauszufinden, wie es um die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in der Justiz in Nordrhein-Westfalen steht.
Die Antwort der Landesregierung hat klar gezeigt, dass es in der Regierung keinen durchdachten Plan zur Erreichung von Gleichberechtigung und zur Beendigung diskriminierender Zustände zulasten von Frauen im Bereich der Justiz oder auch nur ein diesbezügliches Problembewusstsein gibt. Es fehlen neue Impulse und neue Ideen.
(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])
Einiges Gutes wird beibehalten, kleinere Projekte werden auch ausgebaut, aber es wird sehr deutlich, dass Frauenförderung, Gleichstellung und Frauenschutz nicht im Fokus der Landesregierung stehen.
Als Maßnahmen der Landesregierung zur Frauenerwerbstätigkeitsförderung in den Ministerien, Gerichtsbarkeiten und Staatsanwaltschaften sind in erster Linie solche aufgezählt, die der Vereinbarkeit von Familie und Beruf dienen. Nach dem Konzept der Landesregierung würden sich jedoch hiermit die Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern erschöpfen. Das ist ein grundlegendes Problem.
Die Landesregierung nimmt diese in der Rollenverteilung begründete Ungerechtigkeit als eine Art Lebensgegebenheit hin. Es werden keine Maßnahmen ergriffen, um die Ursachen dieser Strukturen zu bekämpfen. Das ist eine Leerstelle in dieser Landesregierung.
Es gibt nach wie vor eine massive Unterrepräsentation von Frauen bei Juraprofessuren, aber auch in den Führungspositionen im Justizministerium sowie an den Gerichten. Das ist heutzutage ein Armutszeugnis für eine moderne Gesellschaft.
(Beifall von den GRÜNEN)
Bei den zwei höheren Besoldungsgruppen W 2 und W 3 zum Beispiel beträgt die Anzahl der Frauen 27 bei insgesamt 96 Berufungen. Das sind 28 %. Außerdem zeigte der Gender-Report 2019, dass Professorinnen durchschnittlich 7,7 % weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. Konkrete Maßnahmen, dies zu beenden, werden aber vonseiten der Landesregierung nicht ergriffen.
Im Bereich des Schutzes von Opfern und Zeuginnen hängen Infrastruktur und Angebot stark vom Wohnort ab. Gerade im ländlichen Raum fehlen viele wichtige Angebote. Nur in 34 der 53 Kreise und kreisfreien Städte gibt es das Angebot anonymer Spurensicherung für Opfer sexualisierter Gewalt. Opfer in vielen Orten in Nordrhein-Westfalen haben folglich bis heute keinen Zugang zu einer anonymen Spurensicherung.
In vielen Amtsgerichten gibt es keine Infrastruktur für den Schutz von Zeuginnen. Weder gibt es spezielle Räumlichkeiten noch geschultes und qualifiziertes Personal. In vielen Gerichten müssen Opfer und Zeuginnen auf dem Weg zum Gerichtssaal mit dem mutmaßlichen Täter auf dem Gang warten. Das geht einfach nicht.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Im Bereich des Justizvollzugs scheint das Bewusstsein zu fehlen, dass im Frauenvollzug nicht einfach eins zu eins die Strukturen und Angebote des Männervollzugs übernommen werden können. Es braucht unserer Meinung nach Angebote, die den besonderen Bedürfnissen der Frauen Rechnung tragen. Es muss gezielte Maßnahmen für die vielen weiblichen Inhaftierten geben, die selbst unter Gewalterfahrungen, Traumata und Abhängigkeiten leiden. Es muss mehr beim Thema „Haftvermeidung“ getan werden, und wir brauchen zumindest Modellprojekte zum Strafvollzug in freien Formen für weibliche Inhaftierte.
Meine Damen und Herren! Es braucht ein umfassendes Konzept und den politischen Willen der Landesregierung, Gleichstellung und Chancengleichheit in der Justiz in Nordrhein-Westfalen zu erreichen. Dass diese Landesregierung das nicht auf dem Schirm hat, hat die Antwort auf die Große Anfrage deutlich gemacht. Das ist wirklich bedauerlich.
Wir wollen dies in den nächsten Jahren ändern; spätestens ab Mai nächsten Jahres. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)