Stefan Engstfeld: „Auch steht infrage, ob es überhaupt eine Regelungsnotwendigkeit gibt“

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU und FDP zur Stärkung religiöser und weltanschaulicher Neutralität der Justiz - zweite Lesung

Stefan Engstfeld (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es steht für uns außer Frage, dass das Neutralitätsgebot des Staates und insbesondere der Justiz immer gewahrt werden muss. Die Justiz ist für uns zu weltanschaulicher, religiöser und politischer Neutralität verpflichtet.

Ebenso ist für uns klar, dass alle Beschäftigten Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses genießen. Keine Beschäftigte und kein Beschäftigter darf wegen ihres oder seines Glaubens oder weltanschaulichen Bekenntnisses diskriminiert werden.

Uns ist wichtig, dass sich dieses Gebot nach außen manifestiert, solange nicht übermäßig in die Grundrechte von Menschen eingegriffen wird. Gleichwohl ist uns aber auch klar, dass die Optik alleine nicht ausschlaggebend dafür sein kann, ob die Neutralität gewahrt ist oder nicht.

Provokant gefragt: Sollte einer dunkelhäutigen Richterin oder einem dunkelhäutigen Richter allein wegen der Hautfarbe eine eingeschränkte Neutralität unterstellt werden, wenn sie oder er über einen weißen Neonazi zu urteilen hätte? Muss es in einer multireligiösen Gesellschaft nicht darum gehen, was jemand im Kopf hat, und nicht darum, was auf dem Kopf ist oder am Hals hängt?

(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE])

Dem Gesetzentwurf der schwarz-gelben Landesregierung nach soll zur Stärkung der religiösen und weltanschaulichen Neutralität der Justiz in Nordrhein-Westfalen allen Beschäftigten in der Justiz sowie ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern verboten werden, im Gerichtssaal und bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten, bei denen mit einer Wahrnehmung durch Dritte zu rechnen ist, religiöse oder weltanschauliche Symbole zu tragen.

Dieses Verbot ist pauschal formuliert und betrifft neben den Berufsrichterinnen und Berufsrichtern auch die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter, die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, die Protokollführerinnen und Protokollführer, die Beschäftigten der Rechtspflege, die Bediensteten der Justizvollzugsanstalten sowie alle anderen Beschäftigten, die hoheitliche Tätigkeiten gegenüber Dritten ausüben können.

Dieser Gesetzentwurf, Herr Minister, schießt damit eindeutig über sein Ziel hinaus. Diese Pauschalität im Gesetz bzw. – genauer gesagt – die mangelnde Differenzierung der verschiedenen Berufsgruppen ist aus unserer Sicht in dieser Form nicht zustimmungsfähig und verfassungsrechtlich in der Tat äußerst fragwürdig, Frau Erwin.

(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE])

Es kann zum Beispiel nicht gerechtfertigt sein, die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter von dem Verbot zu erfassen, wenn diese in ihrer Funktion gerade die Bevölkerung in ihrer Vielfalt repräsentieren sollen. Ehrenamtliche Richterinnen und Richter sind nämlich die Vertreter der diversen Zivilgesellschaft innerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit.

Wollen wir wirklich die Bevölkerung äußerlich auf Angehörige bestimmter gesellschaftlicher Gruppen reduzieren? Wir Grüne jedenfalls plädieren stets dafür, dass staatliche Strukturen die gesamte Bevölkerung abbilden sollen. Dieser Gesetzentwurf mit seinem pauschalen Verbot stellt das genaue Gegenteil dar.

Hinzu kommt, dass das Verbot des Tragens wahrnehmbarer religiöser Symbole praktisch nur muslimische Frauen mit Kopftuch sowie jüdische Männer mit Kippa betrifft. Das Kreuz von Christinnen und Christen kann beispielsweise unter der Kleidung versteckt werden. Damit wäre zumindest der Schein der Neutralität dem Gesetz nach erfüllt und die Möglichkeit zur Ausübung jeder Tätigkeit in der Justiz bewahrt. Für Frauen mit Kopftuch oder Männer mit Kippa oder Turban käme das Gesetz praktisch einem pauschalen Berufsverbot gleich.

Eine Abwägung bzw. ein angemessener Ausgleich zwischen der Religionsfreiheit sowie der Berufswahlfreiheit und dem Neutralitätsgebot findet aus unserer Sicht nicht ausreichend statt. Statt die entgegenstehenden Rechtspositionen möglichst nebeneinander zu behalten, werden die Religions- sowie die Berufsfreiheit ohne Weiteres gegeneinander ausgespielt. Das halten wir für falsch.

(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE])

Auch steht infrage, ob es überhaupt eine Regelungsnotwendigkeit gibt. Wir halten es durchaus für zumutbar, die religiöse Identität des Gegenübers zur Kenntnis zu nehmen. Einem in dieser Pauschalität verfassten Gesetz können wir nicht zustimmen. Das wäre ebenso der Fall würden, wenn es um die Ablehnung von Geschlecht, ethnischer Herkunft oder ähnlicher unverfügbarer Merkmale ginge, über die auch die Angehörigen der Justiz verfügen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN)

Mehr zum Thema

Recht & Justiz