Sigrid Beer: „Wir wollen nicht durch Kopfnoten Persönlichkeit beurteilen, wir wollen Entwicklung fördern und das gemeinsam“

Antrag der FDP zur Abschaffung von Kopfnoten

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Korte, ich bin Ihnen ausgesprochen dankbar, dass Sie zu Beginn von den Rückmeldungen zum Arbeits- und Sozialverhalten gesprochen haben, die in der Tat wichtig und richtig sind. Das haben wir immer gesagt. Aber wir haben auch gesagt: Bitte nicht in der Form von Kopfnoten, die auch zur Nasennote werden können, wenn die Chemie nicht stimmt und einem Schülermeinungen zum Teil nicht passen. Wir haben das den Rückmeldungen entnommen, aus denen wir erfahren haben, dass zum Beispiel Schülervertreter, wenn sie Meinungen geäußert haben, die bestimmten Leuten nicht gepasst haben, das in der Kopfnote zurückgespiegelt bekommen haben. Auch das ist vorgekommen.
Frau Gebauer, wissen Sie, was mir eingefallen ist, als ich Ihren Kopfnotenantrag, den Sie formuliert und eingebracht haben, gelesen habe? Die alte Weisheit der Dakota-Indianer: Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab!
Der Kollege Bürgermeister Roland Schäfer aus Bergkamen hat eine wunderbare Seite, die ich allen empfehle: Humoriges, Ironie, Satire. Er hat sich mit Erfolgsstrategien der Realitätsverweigerung beschäftigt. Dann kann man das Bild der Dakota-Indianer wunderbar weiterführen.
Was ist also die Strategie der FDP, wenn sie diese Weisheit nicht anwenden will? Die sagt dann nämlich: Was haben die Indianer denn schon von Pferden verstanden, wir interpretieren das mal anders. Wie kann man das wiederbeleben? So haben wir das Pferd immer doch geritten, es kann wirklich nicht tot sein. Oder wir ordnen jetzt Überstunden für Reiter und Pferd an. Oder wir schließen mit dem Reiter eine Zielvereinbarung über das Reiten toter Pferde. Das hilft in der Sache auch nicht weiter. Oder wir besorgen eine größere Peitsche. Wir verdoppeln die Futterration für das Pferd. Wir wechseln die Pferdelieferanten. Wir wechseln die Futterlieferanten. Wir wechseln Stroh im Stall aus. Wir lassen den Stall renovieren. Und immer noch ist das Pferd tot.
Die Sache mit den Kopfnoten hilft den Schülern, der Schule sowie den Lehrerinnen und Lehrern nicht weiter.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Ich will auch noch mal auf die intensive Debatte eingehen, die wir hier im Haus in mehreren Anhörungen, in mehreren Plenardebatten gehabt haben. Kollege Weiß hat das schon ausgeführt. Was haben Sie denn damals eigentlich mit den Kopfnoten ausgelöst? Es waren Einheitsnoten, Pauschalnoten, keine individuelle Förderung. Das war die Ausweichstrategie der Kolleginnen und Kollegen, die gesagt haben: Wir gehen erst mal davon aus, dass das Verhalten grundsätzlich in Ordnung ist, nur bei Abweichungen werden wir das mal aufschreiben. Alle kriegen also in der Schule eine Zwei. Der Haken an der Sache ist, in Dortmund hatte man sich auf die Zwei geeinigt und in Köln auf die Eins. So viel zur Aussagekraft von Kopfnoten in der damaligen Situation.
Damit haben Sie einen Ausfall von 1 Million Unterrichtsstunden produziert. 1 Million Stunden, wissen Sie das noch? Als Erstes hat Ministerin Sommer die Pädagogischen Tage zurückgenommen. Es durfte ja kein Unterricht mehr ausfallen. Dann war der Sturm der Entrüstung über die Kopfnoten so groß, dass Pädagogische Tage für die Kopfnotenvergabe wieder eingeführt worden sind. Was für ein absurdes Unternehmen, das Sie damals auf den Weg gebracht haben.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Jetzt holen Sie dieses tote Pferd wieder ins Plenum und meinen, Sie könnten es neu beatmen und damit neu motivieren. Nein, der Gaul ist tot und bleibt tot.
(Beifall von den GRÜNEN)
Hinzu kommt: Was sind die Chancen von Jugendlichen im Übergang in den Beruf? Es ist eine bessere Berufsvorbereitung, es ist das Kennenlernen des Betriebes, es sind die Praktika, weil diese Pauschalnote eben nichts aussagt. Sie ist eine Momentaufnahme; sie ist keine Entwicklungsförderung. Sie dokumentiert vielleicht das Erziehungsverhalten des Elternhauses, aber nicht unbedingt die Leistung der Jugendlichen in diesem Bereich.
Wir haben auch damals intensiv miteinander diskutiert, wie Leistungen von Jugendlichen bewertet werden. Diejenigen, die zu Hause Verantwortung zum Beispiel für ihre Geschwister übernehmen, weil Eltern nicht in der Lage sind, ihre Kinder so zu betreuen, wie wir das eigentlich erwarten – Elternverhalten fällt aus –, kriegen eine schlechte Sozialnote, weil sie morgens dafür sorgen, dass ihre Geschwister das Frühstück auf dem Tisch haben und die Tasche gepackt wird.
(Beifall von den PIRATEN – Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])
Solche Verzerrungen treten durch eine solche Notenvergabe auf.
Frau Gebauer, Sie waren damals nicht im Parlament. Ich empfehle Ihnen, all diese Protokolle, die Stellungnahmen der Experten und Expertinnen, noch mal nachzulesen. Dann können Sie das sehr genau sehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Deswegen ist es wichtig, dass wir gerade im Übergang zur Berufsvorbereitung die Möglichkeit schaffen, intensiver mit den Betrieben in Kontakt zu kommen. Dass die Jugendlichen von den Betrieben kennengelernt werden, ist ihre Chance und nicht eine pauschalisierte Kopfnote. Wir wollen nicht durch Kopfnoten Persönlichkeit beurteilen – das ist die Gefahr, die darin liegt –, sondern wir wollen Entwicklung fördern und das gemeinsam. Dazu ist der intensive Kontakt mit den Lehrpersonen, vielleicht mit den zukünftigen Arbeitgebern notwendig.
Aber das, was Sie hier wieder aufgewärmt und hinter dem Ofen der FDP hervorgeholt haben, ist so etwas von rückwärtsgewandt, dass ich es nicht habe glauben können.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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