Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kaiser, es ist schon tragisch, wenn man die Rede noch einmal umschreiben muss und das dann aber irgendwie gar nicht so gut hinkommt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie haben in der Tat nicht nachvollzogen, dass wir gesagt haben: Ja – und das ist die gemeinsame Vereinbarung –, wir wollen eine faire und offene Evaluation. Wir gehen in einen konzentrierten Arbeitsprozess unter Beibehaltung der bisherigen Rechtsposition. Wir wollen aber, was die Fragen angeht, miteinander arbeiten. – Dass Ihnen das nicht ins Konzept passt, haben Sie hier deutlich gemacht. Wir haben aber eine andere Ausgangslage.
Ich sage ganz deutlich: Wir hätten das auch schon vor Weihnachten des letzten Jahres haben können. Da gab es nämlich die gleiche Diskussion. Ich bin aber froh und dankbar, dass die kommunalen Spitzenverbände genau in diesem Prozess mit uns – so, wie ich es eben beschrieben habe – mitgehen wollen; denn die kommunalen Spitzenverbände sind diejenigen, Kollege Kaiser, die auch hier in der Anhörung – das will ich hervorheben – klargemacht haben, dass sie hinter der Inklusion stehen. Das haben Sie getan – entgegen vielen anderen, die das hier auf den Lippen gehabt haben, die eigentlich aber gegen den Prozess sind und es sich nur nicht offen zu sagen trauen.
Von daher will ich auch die Szenarien erwähnen, die Sie hier gerade – das waren Geschichten von Eltern – skizziert haben. Das sind die Szenarien von vor dem Neunten Schulrechtsänderungsgesetz. Diese Szenarien haben Eltern vielfach erlebt. Da ging es um den Platz für ihr Kind im gemeinsamen Unterricht, es ging um das Laufen durch die Instanzen und um die Fragen: Wo kann ich einen Platz bekommen? Wie sieht es dann aus?
Damit machen wir systematisch Schluss, denn wir werden mit diesem ersten Schritt der Umsetzung der UN-Konvention den Prozess, der in Nordrhein-Westfalen aber schon eine lange Tradition hat, systematisch weiterführen.
Dieses gelingende gemeinsame Lernen haben wir in Nordrhein-Westfalen seit 30 Jahren. Wir sollten gemeinsam daran weiterarbeiten. Es tut gut, diese gelingenden Beispiele nach vorne zu stellen, anstatt wie auch gerade Herr Kaiser Angstszenarien aufzubauen und weitere Verunsicherung in das Land zu tragen. Das ist nicht der Auftrag der Politik, wenn man wirklich Inklusion vorantreiben will.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben schon seit 20 Jahren die Gleichwertigkeit der Förderorte, Herr Kollege.
Es reicht eben auch nicht, Ihren Antrag zu recyceln. Ich war sehr froh, dass Sie sich, was die Inhalte angeht, daran erinnern. Aber auch heute haben Sie wieder keinen Haushaltsantrag dazu gepackt. Sie haben es in allen Haushaltsberatungen seit 2010 nicht gemacht. Genau das haben Sie nicht getan. Es ist wohlfeil, hier zu stehen und zu fordern: Das muss, das muss!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich warte jetzt darauf, was Sie in den Haushaltsberatungen für 2014 vorlegen werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Um die Legende über Rot-Grün zu widerlegen, es sei nichts ausgestattet worden, wir seien nicht vorbereitet, erinnere ich an Folgendes: Unter Schwarz-Gelb sind gerade einmal 65 Stellen für den gemeinsamen Unterricht aufgebaut worden. Wir von Rot-Grün haben seit 2010 gezielt in den gemeinsamen Unterricht und in die Ressourcenausstattung von Schule insgesamt massiv investiert. Das kommt den Kindern in der Frage der Inklusion direkt und indirekt zugute. Seit 2010 geht es um mehr als 1.100 Stellen zusätzlich für das gemeinsame Lernen. Bis zum Schuljahr 2017 werden es über 3.200 Stellen mehr sein. Sagen Sie also bitte nicht, es stünde keine Ausstattung dahinter.
Es ist klar und wir haben es sehr wohl gesagt: Das Stellenbudget, das jetzt in der sonderpädagogischen Förderung für den Bereich LES steckt, umfasst über 9.400 Stellen, die den Schulen zur Verfügung gestellt werden. Die anderen Stellen kommen noch obendrauf. Wir steuern in einer neuen Budgetierung zwar um, sorgen aber auch dafür, dass es auch in diesem Prozess keine Brüche geben wird. Wir wollen sorgsam und schrittweise vorgehen, da-mit zum einen die Schulen nicht überfordert sind und zum anderen der Rechtsanspruch schrittweise in die Schulen hineinwachsen kann. Das ist unser politischer Auftrag, und das ist auch Auftrag der UN-Konvention, den wir konsequent umsetzen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben neben den Moderatorinnen in Fortbildung und Zusatzqualifikation investiert, und zwar mit 2.500 Plätzen und 2.300 Studienplätzen. Das wäre schon seit Jahren eine gemeinsame Aufgabe gewesen. Rot-Grün hat das jetzt angepackt. Deswegen ist es einfach unaufrichtig und nur halb wahr, was Sie hier darstellen. Wir haben nämlich unsere Hausaufgaben von Anfang an gemacht.
Wir haben den Grundschulen über das 8. Schulrechtsänderungsgesetz gemeinsam 1.700 Stellen mehr zur Verfügung gestellt, Herr Kaiser. Sonst verweisen Sie im Zusammenhang mit dem Schulkonsens darauf gerne. 2014 senken wir die Klassenfrequenzrichtwerte ab. Auch das alles trägt zur Verbesserung der Ressourcen bei. – Dazu von Ihnen heute kein Satz. Aber wie gesagt: Ihre hier vorgestellten Forderungen sind mit nichts unterlegt.
Wir sind längst auf dem Weg: Seit 2010 konnte die Quote der Kinder mit Behinderung, die am gemeinsamen Unterricht der Regelschule teilnehmen, spürbar gesteigert werden. Im Grundschulbereich sind es bereits über 33 %.
Und wir wollen – das ist der Unterschied zu dem Szenario, das Sie eben dargestellt haben, Herr Kaiser – dafür sorgen, dass nicht mehr über aufwändige Verfahren sonderpädagogische Ressource in die Schule organisiert werden soll, sondern dass die Sonderpädagoginnen da sind, wenn die Kinder in die Schule kommen. Das ist unser anderes Denken, unsere Umsteuerung, die wir vornehmen werden.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben uns darüber hinaus noch einmal sehr umfangreich in unserem Entschließungsantrag geäußert, der auf manche Fragen Antworten gibt, die im reinen Gesetzeswortlaut nicht geregelt werden:
Wir wollen, dass die Expertise im Bereich der Kompetenzzentren und Netzwerke erhalten bleibt, dass sie fruchtbar für das weitere Zusammenarbeiten in der Region und der Schulen untereinander gemacht wird.
Es wird verdeutlicht, dass wir die Sonderpädagoginnen fest im Kollegium haben wollen. Bisher haben wir es doch mit einer misslichen Situation, neben den „Reisesonderpädagogen“, zu tun. Genau das wollen wir abstellen. Dafür stellen wir Stellen zur Verfügung. In der Grundschule werden wir anfangen, damit dieser Bereich besonders ausgestattet und unterstützt wird.
Darüber hinaus wollen wir eine Diagnostik für alle Kinder, aber kein aufwändiges Verwaltungsverfahren mehr, sondern eine Förderung, die direkt vom ersten Tag an bei den Kindern ankommt.
Die Kommunen als Schulträger sind unterschiedlich aufgestellt. Das wissen wir. Manche Städte und Kreise sind sehr weit, andere haben noch Nachholbedarfe. Das neue Gesetz bietet ihnen die notwendige Flexibilität, schrittweise zu reagieren und gemäß ihrem Stand das gemeinsame Lernen weiterhin aufzubauen.
Wir haben eine kommunal-staatliche Verantwortungsgemeinschaft, die wir wahrnehmen und gemeinsam leben. Deswegen gehen wir jetzt auch in den Arbeitsprozess hinein. Das – ich habe es eben bereits gesagt – begrüße ich ausdrücklich.
Für die Anmeldung im neuen Schuljahr greifen die neuen Regelungen. Es ist mir besonders wichtig, dass die Eltern wissen: Ja, es gibt die Sicherheit, dass ich mit meinem Kind in das Anmeldeverfahren hineingehen kann und beraten werde, wo der Ort des gemeinsamen Lernens sein wird.
Die Kommunen können Schwerpunktschulen bilden. Denn wir wollen die sonderpädagogische Ressource nicht in homöopathischen Dosen über das Land verteilen, sondern gebündelt zur individuellen Förderung der Kinder bereitstellen. Das ist uns sehr wichtig.
Ja, Norbert Römer hat es gesagt: Heute ist ein guter Tag für das gemeinsame Lernen, für die schrittweise Umsetzung des Prozesses der Inklusion in Nordrhein-Westfalen. Ich danke allen, die über die Jahre hinweg das gemeinsame Lernen in Nordrhein-Westfalen erfolgreich gestaltet haben. Sie sind Pioniere gewesen. Wir gehen diesen Weg mit und unterstützen sie weiter nach Kräften. Das ist unsere Aufgabe in der Politik: keine Vernebelung und Angstmache, sondern diesen Weg zum Wohle der Kinder gemeinsam gehen in einer Gesellschaft, die Teilhabe und Chancengleichheit ermöglicht – für alle Menschen, ohne Unterschiede!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)