Sigrid Beer: „Wir müssen Verantwortungselite ausbilden“

Antrag der CDU zum sonderpädagogischen Förderbedarf

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Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem Punkt möchte ich mich sofort der Kollegin Voigt-Küppers anschließen.
Liebe Frau Bunse, eigentlich wollte ich zunächst über Ihren Antrag reden. Der war wesentlich sachlicher und prozessgerichtet nach vorn als das, was Sie hier vorgetragen haben. Ich dachte, in dieser Pauschalität würden Sie das hier nicht ausführen.
Ich will auf die Frage eingehen, ob wir die Kommunen alleinlassen. – Insoweit erinnere ich an das Inklusionsleistungsgesetz, das jährlich evaluiert wird, in dem Schulträgeraufgaben als konnexitätsrelevant anerkannt sind und welches bezüglich der Frage der multiprofessionellen Teams und der Möglichkeit der Kommunen, aus den 10 Millionen € zum Beispiel Schulassistenz nicht nach SGB, sondern als Unterstützungsfunktion und -struktur zu etablieren, jährlich überprüft wird. Ich darf Sie daran erinnern, dass im letzten Jahr erst 8,6 Millionen € aus dem ersten Fonds abgerufen wurden. So viel zu diesen Dingen.
Das Zweite. Sie wollen hier sicherlich nicht sagen, dass das Land jetzt auch noch die Aufgaben der Jugendhilfe übernehmen soll.
(Zuruf von Dr. Anette Bunse [CDU])
– Gut. Dann haben wir das schon einmal geklärt. Dann ist ja gut. Dann können wir zu dem Antrag zurückkommen.
Ich würde Sie auch bitten, das, was es an Befragungen oder Pressemitteilungen gibt, nicht in der Pauschalität so zu übernehmen. Das müsste man auch einmal diskutieren. Denn ich finde es schon bemerkenswert.
Zum Beispiel fordert Herr Meidinger auf der Bundesebene, dass angesichts der Zahl der zu uns kommenden Flüchtlingskinder 3.000 Stellen für Pädagogen eingerichtet werden. Die Landesregierung wird, wenn sie im Dezember den Haushalt beschließt, im Haushaltsjahr 2015 und 2016 über 5.700 neue Stellen geschaffen haben, die allen Kindern in Nordrhein-Westfalen zugutekommen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dann zur Logik des VBE. Damit wir uns da nicht missverstehen: Ich schätze den VBE in der fachlichen Diskussion sehr. Aber der VBE fordert an einem Tag 3.000 Stellen, und wenn das Land diese Stellen einrichtet, haben wir am nächsten Tag die Forderung von 6.000 Stellen. Da fehlt manchmal ein wenig die Rationalität im System.
(Beifall von den GRÜNEN)
Darüber würde ich mir einen anderen Diskurs wünschen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Beer, entschuldigen Sie.
Sigrid Beer (GRÜNE): Aber herzlich gern.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Sie müssen erst drücken. Sie müssen bitte drücken.
Sigrid Beer (GRÜNE): Nicht mich, den Knopf.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das kann natürlich nach der Debatte auch passieren.
Sigrid Beer (GRÜNE): Ich hoffe darauf.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das wäre außerhalb des regulären Verfahrens, aber immer ein nettes Zeichen. – Frau Kollegin Dr. Bunse.

Dr. Anette Bunse (CDU) TC „Dr. Anette Bunse (CDU)“ f C l „5“ : Wenn wir jetzt in der Schule wären, Frau Beer, dann würden Sie mich tadeln, weil ich den Platz gewechselt habe.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das macht der Präsident!)
– Ach so.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Sie ist jetzt keine Lehrerin.
Dr. Anette Bunse (CDU): Aber manchmal tritt sie so auf.
Ich habe noch eine Verständnisfrage, Frau Beer, damit wir beide uns einigen.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ja!)
Den VBE finde ich in seinen Aussagen nicht pauschal, den finde ich sehr konkret. Ich hoffe sehr, dass Sie mir da zustimmen. Dann sind wir uns einig.
(Zuruf von Eva Voigt-Küppers [SPD])

Sigrid Beer (GRÜNE): Ich habe gerade gesagt, den VBE schätze ich sehr. Wir müssten nur einmal schauen, was die Fragen sind und wie man mit der Forderung nach Stellen umgeht. Sie haben sehr pauschal über Befragungen und Presseerklärungen geredet. Ich glaube, darauf muss man differenzierter schauen.
Ich habe Ihnen auseinandergesetzt, was wir in Sachen Stellenforderungen im Vergleich zu dem, was das Land tut, erleben. Da erlebe ich – Wie wird das gesehen? –, dass wir am nächsten Tag plötzlich eine doppelt so hohe Stellenforderung auf dem Tapet haben. Solche Forderungen kann man realistischerweise überhaupt nicht mehr erfüllen.
Ich bin sehr dafür, zu schauen: Wie sind die Schulen ausgestattet? Wie sieht die Entwicklung für die Schülerinnen und Schüler aus? – Manchmal habe ich das Gefühl, dass da das Wünsch-Dir-Was und das wirklich Notwendige doch deutlich auseinanderklaffen. – Jetzt kann Frau Korte gleich auch noch etwas sagen; die zuckt ja schon. – Von daher müssen wir das nebeneinanderlegen. Sehen Sie sich da bitte einmal in der Verantwortung.
Deswegen darf ich darauf hinweisen, was Sie in einer der letzten Debatten gesagt haben. Da haben Sie zum Beispiel betont, wie wichtig es wäre, die Schwerpunktschulen stärker zu entwickeln. Jetzt kommen Sie heute wieder mit der pauschalen Frage, wo die Stellenzuweisungen aus dem Budget sind. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir darüber im Ausschuss ein bisschen fachlich orientierter reden, denn das ist bisher sehr pauschal. Das berücksichtigt im Übrigen nicht das, was an Entwicklung vorher in den Grundschulen schon längst gelaufen ist.
Ich glaube, Frau Korte möchte gern noch etwas sagen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin, Sie haben es antizipiert.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Genau!)

Kirstin Korte (CDU): Vielen Dank, Frau Beer – auch an Herrn Präsidenten natürlich –, dass Sie mich animiert haben, zu fragen.
Frau Beer, gehe ich recht in der Annahme, dass wahrscheinlich auch Sie Zuschriften von vielen betroffenen Lehrerinnen und Lehrern an Regelschulen bekommen, die mit der Situation, wie sie sich vor Ort darstellt, wirklich mehr als unglücklich sind? Ich will nicht den Begriff „überfordert“ nehmen, sondern den Begriff „mehr als unglücklich“.
Sie haben eben gesagt: Inklusion. Ja, warum haben wir denn das Problem in vielen Bereichen? Weil wir aus ideologischen Gründen die Inklusion zu einem Termin auf Teufel komm raus eingeführt haben, ohne für die notwendigen Rahmenbedingungen Sorge zu tragen.
Wir haben eben die Situation, dass in den Schulen nicht überall fachgerecht Kollegen sind.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegen Korte, es ist keine Kurzintervention, sondern eine Frage.

Kirstin Korte (CDU): Sie haben recht. – Frage: Ist Ihnen das bekannt? – Danke.

Sigrid Beer (GRÜNE): Mit dem „auf Teufel komm raus“ ist mir das überhaupt nicht bekannt. Ich habe von einer UN-Konvention gehört, zu deren Umsetzung das Land verpflichtet ist.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Eva Voigt-Küppers [SPD])
Ich kenne seit dreißig Jahren Eltern, die sich verzweifelt bemüht haben, für ihr Kind einen Platz im gemeinsamen Unterricht zu erkämpfen, weil es viel zu wenige Plätze gab – seit 30 Jahren .Mit dem Ersten Gesetz zur Umsetzung der UN-Konvention ist in Nordrhein-Westfalen ein Prozess in Gang gesetzt worden, systematisch die Inklusion auch im schulischen Bereich zu entwickeln.
2010 – ich glaube, Frau Kollegin, zu der Zeit waren Sie noch nicht hier im Parlament – hat die CDU-Fraktion einem fraktionsübergreifenden Antrag zugestimmt mit der Aussage: Die Inklusion ist Aufgabe für alle Schulformen, alle Schulstufen, und zu diesem Auftrag bekennen wir uns.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Und das wollen wir auch umsetzen. Das hat nichts mit „übers Knie gebrochen“ und schon gar nicht mit „auf Teufel komm raus“ zu tun. Wir sind in der Adventszeit; ich würde die Begrifflichkeit weglassen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich komme wieder zu dem Antrag, zu dem ich eigentlich reden wollte, Frau Bunse, weil er mir gar nicht so schlecht gefallen hat. Ich sage mal, was aus meiner Sicht nicht geht. Dieser Prozess, den wir sehr bewusst und behutsam angelegt und eben nicht übers Knie gebrochen haben, Frau Korte, setzt darauf, nicht noch Parallelstrukturen zu entwickeln und dazuzupacken.
Es ist aber richtig, in Ihrem Antrag die Frage der Kooperation und der Vernetzung – auch mit der Jugendhilfe – zu thematisieren. Das kann mit den Förderschulen geschehen, die als Nachfolger der Kompetenzzentren in diese Aufgabe hineingehen. Das kann da, wo es die Förderschule nicht mehr gibt, an den anderen Lernorten geschehen.
Lassen Sie uns über diese Vernetzung und die Kooperation miteinander reden! Lassen wir die Pauschalisierung weg! Und dann sind wir vielleicht schon ein bisschen weiter.
Ich möchte auf die Beispiele hinweisen, die es dazu schon jetzt im Land gibt, die auch Sie vielleicht schon kennen. Übrigens, Frau Korte, ich bekomme nicht nur Briefe, sondern gehe sogar in die Schulen und unterhalte mich mit den Kolleginnen und Kollegen, und dann ist das Bild durchaus differenzierter und diese Pauschalität kommt nicht mehr so, wie Sie das gerade geäußert haben.
Wenn man zum Beispiel in den Kreis Paderborn schaut, kann man ein sehr gutes Beispiel entdecken: das dortige Beratungshaus, installiert genauso wie beim RP in Münster,
(Zuruf von der SPD: In Köln auch!)
in dem Jugendhilfe und die Fachberatung zusammenkommen. Es wird bei der Frühförderung angesetzt und versucht, genau diese Schnittstellen zusammenzuführen. Lassen Sie uns darüber reden und uns diese Beispiele anschauen! Vielleicht ist das etwas, das Ihren Vorstellungen durchaus nahekommt. Es wäre sehr interessant, dazu eine Fachdebatte zu führen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Beer, vielen Dank. – Wenn Sie noch einen Moment hierbleiben wollen? Herr Kollege Sieveke hatte sich noch zu einer Frage gemeldet.
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Es ist immer das Gleiche bei dem Thema!)
Herr Kollege Sieveke, ich vermute, dass Frau Beer die noch mitnimmt.
Sigrid Beer (GRÜNE): Aber gerne.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Bitte schön.
Daniel Sieveke (CDU): Sehr geehrte Frau Kollegin, danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade den Kreis Paderborn und die positiven Ergebnisse erwähnt. Es ist immer schön, Positives nennen zu können. Ihnen ist aber auch bekannt – Sie sagen, Sie besuchen auch Schulen –, dass es gerade im Kreis Paderborn zum Teil Schulen gibt, die die Inklusion ablehnen, weil es vehementen Widerstand gegen das von Ihnen so systematisch vorbereitete System der Inklusion gibt.
Sigrid Beer (GRÜNE): Darauf antworte ich gerne. Es gibt nicht nur Schulen, die das ablehnen, sondern vor allen Dingen lehnt das eine Schulform in Paderborn ab.
(Heiterkeit von Eva Voigt-Küppers [SPD])
Das Gymnasium – das ist das Interessante. Es gab jetzt, von der Lebenshilfe organisiert, eine bemerkenswerte Diskussion, bei der Sie leider nicht anwesend waren. Auch die Gymnasien waren vertreten.
Wir haben als ersten Punkt noch mal deutlich gemacht: Auch die Gymnasien in Paderborn machen zielgleich Inklusion.
Und – zweiter Punkt – es gibt Schulen, die sich auch als Gymnasien zieldifferent auf den Weg gemacht haben. – Da sollten wir in Paderborn in den Diskurs eintreten. Dafür bin ich sehr offen, weil diese Schulen deutlich machen, wie viel sie gewinnen, indem sie zieldifferent miteinander und mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten. Denn gerade die Gymnasien bieten eine sehr gute Förderumgebung, und sie möchten Elite ausbilden, wie mir der Schulleiter von Schloss Neuhaus sagte.
Ja, und ich sage: Wir müssen Verantwortungselite ausbilden. Dazu gehört der Blick auf die gesamte Gesellschaft, die auch in Gymnasien stattfinden sollte. – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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