Sigrid Beer: „Wir müssen einen präventiven Ansatz verfolgen.“

Antrag der Piraten zu mehr Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Teilleistungsschwächen

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Birkhahn, genau da will ich anschließen. Ich erachte den Antrag in der Tat für wichtig, gerade auch im Hinblick auf den Prozess der Inklusion, in dem wir uns befinden. Denn das müssen wir jetzt miteinander verweben. Das ist genau die Ausgangslage.
Ich habe viele Petitionen dazu begleitet: dass die Einzelfälle betrachtet werden, dass die Eltern mit den Schulleitungen, der Schulaufsicht gemeinsam darüber diskutieren und darum ringen, ob ein Nachteilsausgleich gewährt werden muss oder nicht und in welcher Form.
Diese Einzelfälle müssen wir zurückführen, damit das Ganze für alle Beteiligten verlässlich wird, damit für die Schulen Sicherheit da ist, aber natürlich auch für die Eltern, die das dann nicht mehr in jedem Einzelfall für ihre Kinder erkämpfen müssen.
Ich habe das noch einmal sehr eindrucksvoll bei einem Besuch in Zülpich in der letzten Woche erlebt. Dort wurde mir in der Förderschule, dem Kompetenzzentrum vor Ort, gezeigt, wie eine gemeinsame Bildungskette erschlossen worden ist – in der Arbeit, die dort getan worden wird, in der Vernetzung mit allen Institutionen.
Es geht bei der Kita los, in die Grundschule hinein, in die Sekundarstufe, im Austausch sonderpädagogischer Unterstützung mit der Hauptschule, mit der Realschule, mit dem Gymnasium, mit der benachbarten Gesamtschule und an der Schnittstelle hinein ins Berufsleben. Kinder und Jugendlichen werden begleitet. Im Vertrauen der Eltern werden die Informationen weitergegeben, um eine Dokumentationskette zu haben, bei der der Datenschutz gewährt ist, bei der aber auch immer ein Blick auf die Stärken des Kindes und die Unterstützungsbedarfe gegeben ist. Es geht darum, ein solches Klima des Vertrauens herzustellen und dann darauf zu gucken: Was braucht das einzelne Kind und der einzelne Jugendliche? Das ist auch in der Frage der Nachteilsausgleiche ganz wichtig.
Es darf nicht so sein, wie das bei unserem geschätzten Nachbarn der Fall gewesen ist. Zum Beispiel ist bei LRS, Lese- und Rechtsschreibförderung, nicht immer ein AO-SF-Bedarf gegeben. Der Vater Rechtsanwalt, juristischer Professor, hat die schriftlichen Arbeiten einfach von der Sekretärin abtippen lassen und gesagt: Ich bin so hochgradig eingeschränkt mit LRS, wenn ich diese Unterstützung nicht gehabt hätte, hätte ich mein Abitur und mein Jurastudium nicht ablegen können.
Da müssen wir für Chancengleichheit sorgen und die Unterstützung in der Schule anlegen, sodass niemand zu solchen Hilfsmitteln greifen muss, sondern dass das in der Schule von Anfang an gewinnend und unterstützend unterlegt wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Mir ist sehr wichtig, dass im System alle sensibilisiert sind.
Auch in der Frage der Dyskalkulie – die Kollegin Birkhahn hat es angesprochen – sind wir im Diskussionsprozess, und zwar mit dem Bundesverband auf der einen Seite und mit der KMK auf der anderen Seite. Bei der Zuordnung der Kategorisierung gibt es ebenfalls immer noch Unklarheiten. Die Frage ist: Wie ist das eigentlich zu betrachten? Wir haben in jedem Feld eine enorme Spannbreite. Deshalb ist das nicht so einfach zu sagen.
Wir müssen einen präventiven Ansatz verfolgen. Und dann geht es nicht mehr um die AO-SF und die Frage, ob dadurch etwas ausgeschlossen wird, sondern es geht vielmehr darum, eine frühe Diagnose anzusetzen und den gemeinsamen Blick auf das Kind zu richten, um anschließend die Informationen zusammenzuführen und dem Kind die Unterstützung zukommen zu lassen. Das ist die Herausforderung, der wir uns jetzt im Inklusionsprozess stellen müssen.
Deswegen ist es gut, dass wir im Ausschuss darüber diskutieren und vielleicht die Problemlagen, die Aufgaben und die Chancen, die für alle darin stecken, zusammenführen und vor allen Dingen darauf schauen, wo das schon gelingt.
In diesem Zusammenhang gucke ich nach Zülpich, nach Wesel und nach Herford, wo man Lernausgangslagen anders miteinander angeht. In Zülpich ist übrigens das DEIF-Verfahren mitentwickelt und praktiziert worden, das viel weniger aufwendig und zielführender als die AO-SF ist.
All diese Dinge können wir noch einmal miteinander diskutieren. Dabei setze ich in der Tat auf den Sachzusammenhang und die Sachdiskussion. Ich freue mich, wenn wir für Kinder und Jugendliche gemeinsam etwas bewegen können.
(Beifall von den GRÜNEN)

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