Sigrid Beer: „Wir investieren in Menschen, in die Daseinsvorsorge, in die Bildungsstrukturen“

Landeshaushalt 2017 - Gute Schule 2020

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Gebauer, möchten Sie sich wirklich vorhalten lassen, dass Sie zu der Gruppe gehören, von der man im Augenblick sagt, sie argumentiere postfaktisch?

(Beifall von Michael Hübner [SPD] – Zurufe von der FDP: Oh!)

Man könnte auch anführen, sie sage die Unwahrheit.

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Ihnen fällt in der ganzen Debatte nichts anders mehr ein!)

Das macht der Kollege Lindner an bestimmten Stellen auch. Wenn man die Unwahrheit sagt, ist es gelogen. Es ist gelogen, dass den Gymnasien Stellen weggenommen wurden. Die Schüler-Lehrer-Relation ist nicht verändert worden. Ganz im Gegenteil: Wir haben den Gymnasien beim Übergang von G9 zu G8 im ersten Jahr zusätzlich 1.000 Stellen gelassen, und im zweiten Jahr waren es 500 Stellen, um den Übergang zu gestalten.

Dass Sie das nicht erwähnen und den Eindruck erwecken wollen, man habe den Gymnasien etwas weggenommen, ist unseriös und schäbig. Das muss ich wirklich sagen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das gehört auch zur janusköpfigen Politik, die Sie gestern und heute vorgelegt haben. Das ist eine wunderbare Arbeitsteilung, wie wir gestern schon gesehen haben: Auf der einen Seite überbietet sich die Fachpolitik mit finanziellen Forderungen, während auf der anderen Seite der Sparkommissar wütet.

Da will ich aus der gestrigen Rede von Herrn Witzel zitieren, in der er gesagt hat, 2.500 Stellen für Vorgriffsstunden hätte man zunächst anders einsetzen können,

(Zustimmung von Ralf Witzel [FDP])

genauso wie 2.000 Stellen, die ich gerade angesprochen habe.

(Ralf Witzel [FDP]: Ja, klar!)

Sie wissen doch, dass die 2.500 Stellen an die Kollegen und Kolleginnen zurückgegeben werden, die vorher die Mehrarbeit geleistet haben. Das müsste Ihnen doch sehr klar sein.

(Ralf Witzel [FDP]: Ja, eben!)

Das ist die Rückgabe, dahin gehen sie. Die 2.000 Stellen – ich habe gerade sehr deutlich dargestellt, was damit passiert ist – sind in den Schulen geblieben. Sie sind weiter in den Prozess der Umsetzung des Schulkonsenses und in die bildungspolitischen Maßnahmen gegangen.

Hinzu kommt, dass sich Herr Witzel immer noch nicht von seiner Aussage distanziert hat, 700 Millionen € könne man im Personalhaushalt „mal easy“ einsparen. Das entspricht 14.000 Stellen. Das ist Ihr Programm auf der einen Seite. Das ist scheinheilig. Das ist janusköpfige Politik auf ganzer Ebene.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch von Ralf Witzel [FDP])

Ich komme auf die Frage der Bildungspauschale zurück.

(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])

– Sie haben es immer noch nicht begriffen. Die Frage der Erhöhung der Bildungspauschale hätte bei den Kommunen bedeutet, etwas von der einen Tasche in die andere Tasche zu geben. Das ist genau der Punkt.

(Heiterkeit von Regina Kopp-Herr [SPD])

Was haben Sie bei der Bildungspauschale und der Erhöhung gemacht? Da haben Sie Kita mit hineingenommen.

(Beifall von Hans-Willi Körfges [SPD])

In Wahrheit ist es nämlich dazu gekommen, dass den Kindern in Kita und Schule pro Kopf weniger zur Verfügung gestanden hat.

(Beifall von den GRÜNEN und Eva Voigt-Küppers [SPD])

Wie kann es denn sein, dass Sie jetzt Ihre Kommunalen vor Ort auf die Bäume treiben? Das geht so weit, dass Sie sagen: Das ist schlechtes Geld, nehmt das besser nicht an! – Da sind so irre Bürgermeister im Kreis Paderborn unterwegs, die sagen: Dieses Geld will ich nicht für meine Schulen haben. – Das ist wirklich absolut irre.

(Beifall und Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)

Ich sage das noch einmal deutlich: Dass es in dieser heutigen Finanzsituation, in dieser Zins- und Tilgungszeit gelungen ist, 2 Milliarden € für die Unterstützung der Schulträgeraufgaben auf den Weg zu bringen, das ist ein Segen für die Schulen und für die Kinder in Nordrhein-Westfalen!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Ralf Witzel [FDP]: Verschuldung haben Sie gemacht!)

Dazu kommt auch noch die Fortschreibung der Bildungspauschale, die noch einmal 4,4 Milliarden € …

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Unglaublich! Unglaublich, was Sie da sagen! Unglaublich! – Weitere Zurufe)

– Gehen bei Ihnen jetzt die Hormone hoch, oder was ist? Sie können sich zu einem Redebeitrag melden, aber da müssen Sie jetzt durch. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Schulträger in den nächsten Jahren ca. 4,4 Milliarden € inklusive der Bildungspauschale

(Dr. Joachim Stamp [FDP]: Auf Pump! Alles auf Pump!)

für die Unterstützung dieser Aufgaben zur Verfügung haben werden. Und das ist gut.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Dr. Joachim Stamp [FDP]: Alles auf Pump!)

Jetzt will ich mal Ihre Klientel zitieren, …

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin, …

Sigrid Beer (GRÜNE): … und zwar den Sprecher der Familienunternehmer NRW. Das sollte eigentlich eine Breitseite zur Unterstützung der FDP sein.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin, darf ich Sie unterbrechen, bevor Sie das Zitat beginnen? – Herr Kollege Sieveke würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.

Sigrid Beer (GRÜNE): Darf ich erst noch zitieren? Anschließend, Kollege Sieveke, herzlich gerne.

Der Verband der Familienunternehmer NRW hat nämlich gesagt:

Wir halten das blinde Fixieren auf die Schuldenbremse für falsch. Vorübergehend sollte die Landespolitik im Gegenteil eine höhere Staatsverschuldung in Kauf nehmen, wenn das Geld gezielt in die Infrastruktur investiert wird.

Wir investieren in Menschen, wir investieren in die Daseinsvorsorge, wir investieren in die Bildungsstrukturen.

(Michele Marsching [PIRATEN]: Richtige Aussage!)

Es ist also genau richtig, und wir führen trotzdem die Nettoneuverschuldung zurück!

(Beifall von der SPD – Zurufe von der FDP)

Jetzt kann Herr Sieveke gerne fragen.

Daniel Sieveke (CDU): Sehr geehrte Kollegin Beer, danke, dass Sie die Zwischenfrage zu-lassen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ja, klar doch!)

Sie haben eben in Ihren Ausführungen gesagt: „Es gibt irre Bürgermeister im Kreis Paderborn.“ Ich bitte Sie, dazu noch einmal Stellung zu nehmen, ob Sie diesen Satz aufrechterhalten würden und ob Sie sich nicht dafür zu entschuldigen haben, wenn sich Bürgermeister im Kreis Paderborn,

(Beifall von der CDU)

egal welcher Partei sie angehören, kritisch damit auseinandersetzen, und zwar nicht nur mit der Schule, sondern auch mit der Haushaltssituation des Landes Nordrhein-Westfalen.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Sigrid Beer (GRÜNE): Lieber Kollege Sieveke, ich will das gerne präzisieren und noch einmal sagen: Ich finde das irre, wenn Bürgermeister dieses Geld ablehnen und sagen: Ich will das nicht für Kinder einsetzen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Daniel Sieveke [CDU]: Unglaublich!)

Das ist in der Tat nicht anders wahrzunehmen. Dafür gab es, glaube ich, auch vor Ort ent-sprechende Rückmeldungen, um das noch einmal ganz deutlich zu sagen.

(Zurufe von der CDU und der FDP)

– Ich habe schon damit gerechnet, dass die Emotionen ein bisschen hochgehen. Das muss aber sein, weil man so nicht mit dem umgeht, was Kindern im Land Nordrhein-Westfalen zu-gutekommen soll.

(Beifall von der SPD)

Wir werden das auch weiter unterstützen; denn wir unterstützen die Kommunen auch in der Frage der Schulsozialarbeit. Das haben wir sichergestellt. Wir lassen den Bund nicht aus der Verantwortung, aber auch hier wird Infrastruktur gestützt, und die Kolleginnen und Kollegen, die in diesem wichtigen Feld für die Schulen arbeiten, bekommen dadurch Sicherheit.

Die Kollegin Hendricks hat eben schon auf die OGS-Förderung verwiesen. Es ist auch wichtig, gerade den Kindern in der schulfreien Zeit hinsichtlich der vorhandenen Ferienmaßnahmen, die die Bildungserfolge weiter sichern werden, Unterstützung angedeihen zu lassen. Da sehen wir die Aufgaben ganz klar.

Präsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin, Entschuldigung. Es gibt den zweiten Wunsch nach einer Zwischenfrage, dieses Mal bei Herrn Kollegen Kuper.

Sigrid Beer (GRÜNE): Aber herzlich gerne.

Präsidentin Carina Gödecke: Bitte schön.

André Kuper (CDU): Vielen Dank, Frau Kollegin. Frau Kollegin, Sie haben ja eben die Bürgermeister als „irre“ bezeichnet, die keine Schulden aufnehmen wollen.

(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ich finde es irre, wenn man so argumentiert! – Daniel Sieveke [CDU]: Unglaublich! – Weitere Zurufe von der CDU)

Sind dies Schulden des Landes für die Kommunen, oder müssen die Kommunen hier Schul-den aufnehmen? Und wenn sie Schulden aufnehmen müssen, was Sie ja wissen: Wie ist es denn mit der Berechnung?

(Zurufe von der SPD)

Wir haben gestern ein Gespräch mit dem Bankenverband geführt, der sehr deutlich sagt: Es spielt keine Rolle, ob die Kommune diese Schulden zurückzahlt oder nicht. Es ist eine weitere Verschuldung der Kommune und engt ihren Spielraum ein. – Sehen Sie das anders?

Sigrid Beer (GRÜNE): Ja, Herr Kuper, das sehe ich anders. Das ist genau die Kampagne, die Sie personell vor Ort fahren, um da die Kommunen auf die Bäume zu treiben. Es ist absolut falsch. Es erhöht nicht die Kreditquote und die Verschuldung der Kommunen. Das ist absoluter Quark.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Widerspruch von der CDU – Michael Hübner [SPD]: Die Kommunen schließen ihre eigenen Kreditverträge ab!)

Aber Sie sind so unterwegs und versuchen das in der Landschaft entsprechend zu setzen. Das ist genau Ihre Kampagne, es sind die Musteranträge, die uns alle bekannt sind. Aber, Herr Kuper, das fruchtet nicht. Das vergiftet nur das Klima vor Ort, wo es darum geht, etwas für die Schulen vor Ort zu tun.

(Zurufe von der CDU)

Da müssten Sie eigentlich Ihre Verantwortung als kommunalpolitischer Sprecher anders wahrnehmen. Das will ich noch einmal sagen.

Jetzt komme ich noch zu einigen inhaltlichen Punkten, was die Aufstockung des Schulhaushaltes angeht, und zu der Frage der Stellungnahmen, die hier aufgeführt worden sind.

Auch in der Anhörung zur Mülheimer Erklärung ist ja deutlich geworden, dass die Lehrerverbände kein anderes Konzept haben, um noch mehr Kollegen oder Kolleginnen zu gewinnen.

Wir haben wirklich die Möglichkeit der Beschulung mit dem Stellenaufwuchs gesetzt. Wir zeigen uns verlässlich, weil wir die Prozesse begleiten und da, wo Nachsteuerungsbedarf not-wendig ist, dann auch entsprechend nachsteuern. Das kann man Ihnen ja nicht recht machen, das kritisieren Sie dann auch wieder. Aber was bleibt Ihnen als Opposition denn eigentlich übrig?

Eine weise Entscheidung habe ich übrigens von Frau Balbach durchaus zur Kenntnis genommen, nämlich, dass Sie Ihre Klage wegen des neuen Integrationserlasses zurückgenommen haben, weil Sie überhaupt keine Erfolgsaussichten damit haben und weil die ganze Welle, die Sie zu machen versucht haben, sich in Luft auflöst.

Deswegen würde ich Sie bitten, dass wir im gemeinsamen Interesse – ich freue mich, dass Sie die Investitionen wahrnehmen und gelobt haben – diesen Weg der systematischen Entwicklung gehen. Wir haben für zusätzliche Studienplätze gesorgt. Wir haben dafür gesorgt, dass die Infrastruktur der Unterstützung, der systematischen Fortbildung durch ein Landesinstitut, was die Schulen dringend als Unterstützungsagentur brauchen, wieder aufgebaut wird. Wir sorgen für die Lehrerstellen, wir sorgen dafür, dass sie auch flexibel besetzt werden können, wo sich Engpässe abzeichnen. An jedem Platz wird individuell und schnell reagiert.

Deswegen noch einmal die Aufforderung, das konstruktiv zu begleiten! Denn Ihr Regierungshandeln im Vorfeld bis zum Jahr 2010 hat die Weichen leider nicht so positiv gestellt.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)