Sigrid Beer: „Wir dürfen keine Rückwärtsrolle machen, sondern müssen alle Lehrerenergien auf diesen gelingenden Prozess konzentrieren“

Volksinitiative "G9 jetzt!"

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nein, niemand geht kalt mit der Volksinitiative um, niemand geht kalt mit den Eltern um, die ihre Sorgen zum Ausdruck bringen. Das ist bisher an keiner Stelle der Fall gewesen; da bin ich auch mit dem Kollegen Kaiser sehr einig. Das tut auch Rot-Grün nicht, das tun auch diejenigen nicht, die sich heute nicht positiv zu dem Anliegen der Volksinitiative verhalten. Denn wir haben in der Tat über viele Monate miteinander einen schwierigen Abwägungsprozess bewegt.
Die große Mehrheit des Hauses hat hier gemeinsam vor kurzer Zeit die Umsetzung der Empfehlung des runden Tisches auf den Weg gebracht, damit Schulen weiter an der Unterrichtsentwicklung arbeiten, damit Eltern, Schülerinnen verlässliche Parameter vorfinden, die zum Beispiel deutlich machen, dass in den Jahrgangsstufen 5, 6 und 7 – wenn es keine gebundenen Ganztagsschulen sind – maximal ein langer Tag stattfinden, in den Jahrgangsstufen 8 und 9 maximal zwei lange Tage stattfinden werden. Das ist wichtig.
Mein Appell an den Kollegen Kaiser ist – denn ich empfand es heute Morgen schon als etwas erstaunlich –, dass die Schulen den Rückhalt, die Sicherheit und das Vertrauen haben müssen bei dem Weg, den sie jetzt einschlagen und den wir ihnen auch gemeinsam zumuten und abverlangen.
Viele Schulen in Nordrhein-Westfalen haben schon sehr positive Ergebnisse, haben gute Beispiele. Wir wollen, dass das flächendeckend für alle Eltern auch verlässlich ist und dass es verbindlich ist. Wir dürfen keine Rückwärtsrolle machen, sondern müssen alle Lehrerenergien auf diesen gelingenden Prozess konzentrieren. Es ist wichtig, dass dieses Signal hier auch heute von denen ausgeht, die das unterstützen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Wer sich die Argumente der Volksinitiative genau anhört – sie haben auch vorgetragen: „Schaut doch mal auf die anderen Länder, wie es dort geht“ –, der muss doch jetzt zur Kenntnis nehmen – ich habe das heute Morgen im Schulausschuss auch gesagt –:
Da ist eben nicht „Friede, Freude, Eierkuchen“. Die Rückkehr zu G9 – ich schaue nach Niedersachsen – hat nicht dazu geführt, dass jetzt Ruhe in die Schulen einkehrt – ganz und gar nicht –, sondern da werden jetzt gute Unterrichtskonzepte rückabgewickelt. Da werden in kürzester Zeit 15.000 Unterschriften gesammelt – gerade aus dem Bereich der Theaterpädagogen, der Kunstpädagogen –, weil es jetzt nicht nach vorne geht, weil dort das gute Unterrichtsverhalten wieder rückabgewickelt wird und weil gute Schule nach hinten geworfen wird.
Und: Welche Stimmen schallen uns aus Niedersachsen entgegen? „Das, was ihr in Nord-rhein-Westfalen habt, den Schulkonsens, die Ruhe für Unterrichtsentwicklung, das wünschen wir uns.“ Deswegen, liebe CDU, habe ich eigentlich gedacht, dieses Signal geht heute von der CDU aus, nämlich das Signal, für diese Ruhe für Schulentwicklung zu sorgen – und nicht Verwirrung zu stiften.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir haben einen eigenen Entschließungsantrag eingebracht. Wenn man genau hinschaut, liegen wir in unserem Anliegen nicht auseinander. Das sagen wir sehr deutlich. Natürlich nehmen wir die Eltern ernst. Wir haben miteinander beschlossen, auch auf die Umsetzung der Empfehlungen zu schauen, den Prozess zu begleiten und zu evaluieren. Das machen wir natürlich genauso. Deswegen wird es einen Entschließungsantrag von Rot-Grün geben. Die Beschimpfungen gegen die rot-grüne Landesregierung sind herausgenommen, aber ansonsten ist das im Prinzip der gleiche Wortlaut, den die CDU vorgelegt hat. Wir demonstrieren dadurch noch einmal, dass wir uns im Prinzip einig sind. Mit einem solch kleinen politischen Manöver lassen wir Sie einfach nicht ausbüxen, liebe CDU.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Eines ist mir noch einmal sehr wichtig. Wenn wir diesen Prozess miteinander begleiten, sollten wir dafür sorgen, dass wir gesamtgesellschaftlich die Diskussion über die Frage führen müssen, wie sich Druck und Leistungserwartung in Bezug auf Kinder und Jugendliche entwickeln. Darüber sind wir uns sicherlich einig.
Wir müssen uns alle selbstkritisch etwas fragen. Es kann doch nicht sein, dass „befriedigend“ nicht mehr als akzeptable Schulnote behandelt wird.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Man muss Kindern Entwicklungsmöglichkeiten lassen. Es fängt in der Tat nicht erst in der weiterführenden Schule an. Schauen wir uns doch an, mit welchen Erwartungen Kinder schon in Kita und Grundschule konfrontiert werden. Wir sind doch alle gemeinsam mit im Boot. Darüber möchte ich einen offensiven gesellschaftlichen Diskurs. Er gehört auch in dieses Haus: Wie gestalten wir die Lebensbedingungen? Wie gestalten wir gute Schule für Kinder und Jugendliche?
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Das ist die Aufgabe, die uns beschäftigen muss. Wir sind gerne dabei. Wir schauen auf die Umsetzung. Wir sind im Gespräch mit den Eltern. Hier wird nichts beiseitegeschoben. Aber wir schaffen auch Klarheit und Ruhe für die Schulentwicklung in den Schulen. Wir gehen den gelingenden Weg nach vorne. Wir tragen für die Schulen die Verantwortung, sie jetzt nicht in neues Chaos zu stürzen. Das nehmen wir in dieser Abwägung wahr.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Mehr zum Thema

Schule