Sigrid Beer: „Statt präventiv zu arbeiten, fährt man dieses System lieber an die Wand“

Antrag der SPD-Fraktion zum "Solinger Modell"

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Ich möchte mich an dieser Stelle auch bei all denen bedanken, die dafür sorgen, dass hier desinfiziert wird. Herzlichen Dank! Wir fühlen uns gut umsorgt.
(Beifall von Regina Kopp-Herr [SPD])
Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Präsident des Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, hat einen zutreffenden Begriff geprägt. Er spricht vom Salami-Lockdown. Wir brauchen keinen Salami-Lockdown in NRW, Frau Müller-Rech. Das haben Sie offensichtlich noch nicht verstanden. Das ist allein das, was von der FDP-Bildungsgarantie bleibt: der Salami-Lockdown.
(Martina Hannen [FDP]: Also wollen Sie doch alle Schulen schließen!)
Sie wollen einfach wegdiskutieren und wegschieben, dass jetzt die vierte Schule in Solingen schließen muss
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Jeder Auftritt von Sigrid Beer ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten!)
und alle Kinder in Quarantäne gehen müssen. Das hätte man durch Prävention vermeiden können.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Genau das ist das Solinger Modell. Das ist der Ansatz. Und davon wollen Sie nichts wissen? Das ist wirklich kein Ausweis einer schulpolitischen Perspektive.
Ich wollte eigentlich ganz anders anfangen. Eines will ich zu Beginn jedoch noch sagen. Was die Ministerin heute Morgen bezüglich der Stadt Solingen vorgetragen hat, war einer Ministerin unwürdig und unlauter,
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
weil mit falschen Fakten gearbeitet worden ist.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wenn jemand unlauter ist, Sigrid Beer, dann schau einmal in den Spiegel! Unlauter! Unseriös!)
Vor allen Dingen war das, was Sie gegen einen Schulleiter vorgetragen haben, unlauter.
Im September, kurz nach den Sommerferien, hat sich der Schulleiter in der Tat für die Durchführung eines Tages der offenen Tür ausgesprochen. Als das Infektionsgeschehen jedoch angezogen hat, hat er diesen Tag der offenen Tür von sich aus abgesagt, noch bevor die Stadt Solingen das insgesamt ausgerufen hat.
(Jochen Ott [SPD]: Hört! Hört!)
Das haben Sie hier nicht vorgetragen. Das finde ich wirklich unwürdig.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Frau Ministerin, das war heute Morgen ein Foulspiel gegen einen Schulleiter, der sich hier in der Debatte nicht wehren kann.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Haben Sie das wirklich nötig? Das frage ich mich.
(Zuruf: Hat sie!)
Herr Minister Laumann hat heute Morgen sehr deutlich gemacht, dass die Lage immer noch ernst ist. Mit einem Inzidenzwert von 167,9 in NRW liegen wir weit über dem Bundesschnitt. Also gilt für das Land NRW immer noch: Flatten the curve.
Und für die Schulministerin gilt: Kriegen Sie endlich überhaupt einmal die Kurve,
(Beifall von den GRÜNEN)
und verschanzen Sie sich nicht hinter der KMK.
Das, was Sie hier immer vortragen, hält doch nicht mehr. Hessen und Niedersachsen gehen längst einen anderen Weg. Berlin hat einen Stufenplan. Sie haben sich in einen Tunnel manövriert. Dort – das ist schon richtig – hört man zwar die eigene Stimme sehr laut. Aber was draußen passiert, hört man nicht mehr. Und das ist schon fatal.
Sie könnten doch einen Befreiungsschlag machen. Gehen Sie offensiv nach vorne. Lassen Sie das Solinger Modell für vier Wochen laufen. Schauen wir es uns doch einmal insgesamt an. Bestimmen Sie doch einmal die Kriterien. Nichts tun Sie! Sie sagen einfach nur: Blockade! Basta! Geht nicht! – Das ist wirklich keine schulpolitische Expertise.
(Minister Dr. Joachim Stamp: Wir schicken die Kinder nicht ins Homeoffice!)
– Ja, Herr Stamp. Ich habe es gerade schon einmal gesagt: Sie stehen für den Salami-Lockdown – und nicht für Bildungsgarantie und Bildungsgerechtigkeit in diesem Land.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf: Wenn Sie das Wort „Bildungsgerechtigkeit“ in den Mund nehmen! Frau Beer, Sie sollten sich schämen! – Josefine Paul [GRÜNE]: Warum das denn jetzt? – Josef Hovenjürgen [CDU]: Was die Frau macht, ist unsäglich!)
Ganz deutlich wird das auch in dem, was die Ministerin an die Bezirksregierungen als Verfügung geschickt hat. Sie verweist am 20. Oktober in ihrem Erlass darauf – nicht mehr und nicht weniger –, dass dieses System erst vollständig kollabieren müsse; denn Vertretungsunterricht habe Vorrang vor allem anderen. Vertretung hat immer Vorrang vor Distanzunterricht. Das heißt: Die Kollegen, die schon jetzt am Anschlag arbeiten, müssen noch mehr Arbeit in Kauf nehmen, müssen das erst erledigen. Das heißt: Statt präventiv zu arbeiten, fährt man dieses System lieber an die Wand.
(Zuruf von Henning Höne [FDP])
Das sind die Vorgaben der Schulministerin in Nordrhein-Westfalen. Die Schulen dürfen gar nicht mit Wechselunterricht reagieren, weil der Rahmen so eng gefasst wird.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Jetzt erklärt sie, wie es geht! Unglaublich!)
Und obendrauf kommt – das muss ja ein absolutes Thema der CDU sein, Herr Kollege –, dass jetzt auf höchst fragwürdiger Grundlage auch noch in die Privatschulfreiheit eingegriffen wird.
(Henning Höne [FDP]: Oberlehrerin der Förderschule!)
Was kann die Ministerin eigentlich den freien Ersatzschulträgern vorgeben? Dass sie dieses Wechsel-Distanz-Modell nicht anwenden dürfen? Legen Sie uns doch einmal juristisch dar, wo Sie das hernehmen.
Wir haben in der Anhörung genau darüber diskutiert. Es ist extra ein eigener Passus eingefügt worden. Aber in der Realität verweigern Sie das, nur weil Sie als Ministerin den Gesichtsverlust fürchten. Darum geht es.
(Jochen Ott [SPD]: So ist es!)
Es geht nicht mehr um reale Schulpolitik für die Schulen in diesem Land.
(Martina Hannen [FDP]: Es geht bei Ihnen nicht um reale Schulpolitik!)
Die letzte Frage, die sich noch stellt, ist die nach dem Koalitionsdruck auf den Gesundheitsminister, der verkünden musste, was die Schulministerin nicht zulassen wollte.
(Minister Karl-Josef Laumann: Aus voller Überzeugung!)
Auch hiermit tragen Sie den Koalitionszwist auf dem Rücken der Schulen aus. Auch das hat nichts mit Perspektive und Schulpolitik in diesem Land zu tun.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Minister Karl-Josef Laumann: Das ist ja irre! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Da kennen Sie sich ja aus, Frau Kollegin! Da kennen Sie sich ja bestens aus!)