Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Hendricks hat gerade schon darauf hingewiesen, was die Grundlage unserer Initiative ist, nämlich die UN-Behindertenrechtskonvention. In der Tat warten die Schulen, Schulträger und Eltern sowie die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen auf deren Umsetzung in Landesrecht, wozu wir uns durch die Ratifizierung der UN-Konvention – auch durch den Bundesrat und damit unter Beteiligung der Länder – verpflichtet haben.
Ich möchte gerne noch einmal an den Prozess erinnern, den wir hier gemeinsam begonnen haben, und zwar nicht erst in Zeiten der Minderheitsregierung, sondern schon 2007. Damals haben wir darüber beraten, wie wir in diesen Prozess einsteigen können. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Äußerungen des Fraktionsvorsitzenden der CDU in der letzten und in dieser Legislaturperiode, der gesagt hat, wir sollten in drei Bereichen gemeinsame Wege gehen: Integration, Maßregelvollzug und Inklusion.
Ich hoffe, dass wir dieses gemeinsame Tableau nicht verlassen, wenngleich ich sagen muss, dass noch zu ergründen sein wird, ob die CDU sich mit Blick auf ihren heute vorgelegten gemeinsamen Entschließungsantrag mit den Piraten von diesen hat entern lassen und wieder von den Zielen abrückt, die wir eigentlich einmal gemeinsam vereinbart hatten, und was sie zur Abkehr von den Dingen bewogen hat, die wir gemeinsam in einem ganz intensiven fachpolitischen Diskussionsprozess miteinander bearbeitet haben.
Ich darf den Kollegen Kaiser und den Kollegen Sternberg daran erinnern, dass wir ein Dreivierteljahr darauf gewartet haben, dass die CDU zu einer Position findet, und wir im fachlichen Austausch dann eine gemeinsame Plattform vereinbart haben. Genau nach diesen Prinzipien werden wir jetzt auch hier im Parlament aktiv, um einen zielgerichteten und konsequenten, aber sorgsamen Prozess anzustoßen.
Warum bringen wir diese Initiative, die am 14.03.2012 schon einmal auf der Tagesordnung gestanden hat, heute wieder ein? Ich erinnere auch noch einmal daran, dass wir im Schulausschuss gemeinsam in den Diskurs mit den beiden Gutachtern, Prof. Preuss-Lausitz und Prof. Klemm, gegangen sind.
Diese haben uns ihre Expertise und Empfehlungen vorgelegt, zu denen wir uns dann gemeinsam verhalten haben. Wir haben gesagt, dass wir das jetzt so nicht umsetzen wollen, dass wir nicht den Schalter umlegen werden, sodass von einem Tag auf den anderen in Förderschulen in einer bestimmten Ausprägung – also den Förderschwerpunkten „Lernen“, „Soziale und Emotionale Entwicklung“ und „Sprache“ – nicht mehr eingeschult wird. Auch diesbezüglich verfolgen wir einen schrittweisen Prozess.
Aber wir wollen gemeinsam konsequent das Recht auf inklusive Bildung im Schulgesetz verankern. Es wundert mich schon sehr, wie weit die CDU von unserem bisherigen Diskussionsstand abweicht. Ich will kurz auf Ihren Entschließungsantrag eingehen.
Sie verabschieden sich von der Umsetzung des Rechtsanspruchs. Ich finde das bei Ihnen nicht mehr. Das finde ich äußerst bedenklich. Wollen Sie die UN-Konvention jetzt nicht mehr umsetzen? Wann und in welchen Schritten wollen Sie zu diesem Ziel kommen?
Sie verabschieden sich in Ihrem Entschließungsantrag auch von der Gestaltung innovativer Regionen, die eine inklusive Bildungslandschaft gestalten wollen. Warum? – Legen Sie uns das hier einmal fachlich dar. Wir haben Regionen und Städte, die darauf warten, mit diesem Prozess anfangen zu können. Was ist denn da eigentlich mit dem fachlichen Diskurs bei Ihnen geschehen?
Diese Regionen können, wenn wir nicht handeln, wie wir es eigentlich besprochen haben, nicht in den Versuch einsteigen, mit den sonderpädagogischen Budgets zu arbeiten. Was hat Sie bewogen, da eine Kehrtwende zu machen?
Sie ziehen sich auch von der Position zurück, dass die Inklusion auch der zieldifferenten Beschulung in allen Schulformen gilt. Auch das ist eine ganz markante Wende, und ich frage mich, woher das eigentlich kommt. Denn wir haben miteinander festgestellt, dass der Auftrag der Inklusion sich an alle Schulformen richtet, und zwar sowohl zielgleich als auch zieldifferent.
Man merkt, dass es erhebliche Änderungen bei dem gibt, was Sie uns heute als Entschließungsantrag vorgelegt haben.
Auch den Entschließungsantrag der FDP möchte ich kurz kommentieren. Ich bedanke mich erst einmal für den umfangreichen Entschließungsantrag, weil ich daraus entnehme, dass Sie sich im fachlichen Diskurs zurückmelden wollen. Ich begrüße das außerordentlich und hoffe, Frau Gebauer, dass wir das im Schulausschuss gemeinsam umsetzen können. Es ist nämlich jetzt die Herausforderung, die bisherigen Positionen, die sehr stark in Richtung Ablehnung gingen, deutlich weiterzuentwickeln.
Ich begrüße außerordentlich, dass Sie jetzt in einen fachlichen Diskurs einsteigen wollen. Denn auch uns geht es darum, jedem Kind die Qualität der sonderpädagogischen Unterstützung zukommen zu lassen, und zwar unabhängig davon, an welchem Förderort es beschult wird. Ich glaube, dass das ein gemeinsames Anliegen ist. Deswegen sollten wir diesen fachlichen Diskurs jetzt auch im Ausschuss miteinander führen.
Ich bin dankenswerterweise zum Fachkongress der Schulpsychologen in NRW eingeladen gewesen. Ich würde anregen, Prof. Huber, der dort vorgetragen hat, in den Schulausschuss einzuladen, damit wir uns einmal fachlich um gemeinsame Modell kümmern können, wie zum Beispiel das AO-SF-Verfahren modifiziert werden kann.
Denn, Kollegin Pieper, es kann – das haben wir schon miteinander erörtert – kein Recht auf Verfahren geben. Und bei dem AO-SF sind wir uns doch einig, dass es überbürokratisiert ist und dass es sehr lange dauert, bis die Förderressource wirklich beim Kind ankommt. Wir müssen deshalb dafür sorgen, dass die Förderressource unbürokratisch und schnell beim Kind ist, dass die Kolleginnen und Kollegen gemeinsam arbeiten können, dass die multiprofessionellen Teams, auf die Sie auch Wert legen, was mich freut, auf die Beratung der Schulen und der Eltern Einfluss nehmen können.
Dafür gibt es einen interessanten Ansatz, nämlich „Response to Intervention“. Vielleicht kann man diesen Ansatz auch übertragen, um dann in einem Stufenverfahren von der gemeinsamen Beschulung über spezielle Förderangebote dorthin zu kommen. Es ist auch unsere Aufgabe, das fachlich weiter zu begleiten und jetzt auch dem Ministerium die parlamentarische Grundlage dafür zu geben, wirklich in der verabredeten Art und Weise vorzugehen und nicht, wie es uns die Gutachter empfohlen haben, jetzt auf das Einschulen an bestimmten Förderschwerpunkten zu verzichten, sondern diesen schrittweisen, sorgsamen Prozess anzugehen.
Noch einen Hinweis – Kollegin Hendricks hat das ja schon gesagt – zur Frage der Finanzierung, wozu die CDU-Fraktion auch etwas aufgeschrieben hat. Wenn Sie das gemacht hätten, was wir gemacht haben, nämlich sicherzustellen, dass demografische Effekte auch für die Verbesserung in den Schulen eingesetzt werden können, und wenn Sie das gemacht hätten, was wir schon geleistet haben, nämlich 600 Stellen mehr für Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen in den Haushalt einzustellen und auch schon Fortbildungsmittel bereitzustellen, dann hätten Sie viel getan und müssten das heute nicht postulieren. Wir sind bereits auf dem Weg, und wir wissen: Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif. Wir werden dafür sorgen; das wird mit dem Referentenentwurf und dem Gesetzentwurf auch sehr deutlich werden.
Deswegen bitte ich: Bleiben Sie bei unserem gemeinsam vereinbarten Prozess, die Inklusion gemeinsam für dieses Land zu gestalten! Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, einen sorgsam gelingenden Prozess zu gestalten. Wir haben viele gute Beispiele in Nordrhein-Westfalen, wie das gelingt. Die Schulen können es uns zeigen.
Ich bitte Sie, ermutigend heute miteinander festzustellen, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen, schulische Inklusion Wirklichkeit werden zu lassen, und zwar flächendeckend und qualitativ hochwertig in Nordrhein-Westfalen – nach den Schritten, die das Ministerium schon seit 2010 mit Verve und Sorgfalt getan hat. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)