Sigrid Beer: „Jede Unterrichtsstunde, die ausfällt, ist eine zu viel. Da sind wir uns einig.“

Anträge von CDU und FDP zum Unterrichtsausfall

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich fange gleich beim Kollegen Stein an. Bei den Regelungen zur Aufteilung zwischen Schulträger- und Landesaufgaben, die wir hier im Land haben, müssen Sie mir einmal erklären, wem Sie denn die Kosten für eine durchgängige Softwareausstattung aufs Auge drücken wollen. Als neuer Kollege in der CDU-Fraktion sollten Sie das vielleicht einmal mit in einen Antrag aufnehmen; denn ganz so einfach ist es nicht.
(Klaus Kaiser [CDU]: Zum nächsten Plenum machen wir einen Vorschlag!)
Das wird auch der Kollege Kaiser wissen, wenn er zusammen mit Frau Gebauer einen solchen Antrag mit Blick auf Hamburg stellt. Dann muss man nämlich auch wissen, was in Hamburg mit der flächendeckenden Einführung verbunden war. Die Ausstattung in einem Stadtstaat ist auch etwas anderes als die Ausstattung im Land Nordrhein-Westfalen.
Außerdem müssen die Kollegen und Kolleginnen geschult werden. Der Kollege Feuß hat schon darauf hingewiesen, dass die Kuh allein durchs Wiegen nicht fetter wird. Da müssen Sie sie schon füttern. Damit würde ein großer Aufwand erzeugt. Diese Mittel stecke ich doch lieber in die Lehrerreserve und in die Qualität des Unterrichts.
Herr Kollege Kaiser, nicht wegducken! Auf der einen Seite sagen Sie: Lasst uns einmal über Qualität reden. – Auf der anderen Seite geben Sie hier Stammtischparolen von sich. Das geht doch überhaupt nicht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das war so vorhersehbar wie nichts anderes, so berechenbar wie selten etwas. Das heißt: Stichproben hören wir uns an.
An dieser Stelle gibt es zwei Szenarien. Das könnte man in jedem politikwissenschaftlichen Proseminar ausbreiten. Was wäre denn nach einer solchen Erhebung passiert?
Erstes Szenario: schlechtere Werte in der Erhebung gegenüber der Erhebung unter der Verantwortung der Ministerin von Schwarz-Gelb, Frau Sommer. Dann hätten wir gehört: Das haben wir schon immer gewusst! Eklatanter Unterrichtsausfall! Das ist bewusst vor sich hergeschoben worden! Das ist bewusst verschwiegen worden! Deswegen hat man die Studie ausgesessen! Der Vergleich mit der Erhebung von Frau Sommer weist nach, zeigt eindeutig, beweist jetzt, dass alles viel schlechter geworden ist!
Zweites Szenario: Stichprobenerhebung im Vergleich zu dem, was Schwarz-Gelb vorgelegt hat; die Werte sind besser als bei der letzten Erhebung. Dann würde der Chor in die andere Richtung tönen: Geschöntes Ergebnis! Das kann alles nicht so sein! Wir haben schon immer gewusst, dass hier Nebelkerzen geworfen werden! Hier wird etwas verschwiegen!
Eine durchsichtigere politische Inszenierung habe ich eigentlich noch nicht erlebt. Das muss man wirklich sagen. Besser kann man es doch nicht darstellen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Frau Kollegin Gebauer, Sie haben die bedeutungsschwangere Vokabel des Steuerungswissens gebraucht. Da bin ich sehr bei Ihnen. Jetzt sagen Sie mir einmal, welches Steuerungswissen Sie durch die Datenerhebung erhalten. Wir wissen nämlich überhaupt nicht, wie der Lehrereinsatz vor Ort erfolgt; denn das wird in dem Datenmodul nicht erhoben. So geht es eben nicht.
Kolleginnen und Kollegen, wenn wir die Frage der Qualität von Unterricht ernst nehmen, müssen wir eindeutig sagen, dass jede Unterrichtsstunde, die ausfällt, eine zu viel ist. Da sind wir uns einig, denke ich. Schauen wir uns aber doch einmal an, wie die Qualität des gegebenen Unterrichts aussieht und wie die Qualität der Vertretungskonzepte aussieht. Das ist doch die Aufgabe. Dort sollten wir investieren.
Das war übrigens auch die Kernaufgabe und die Kernaussage des ersten Konzepts, das die Kollegen und Kolleginnen von den Hochschulen vorgelegt haben.
Wenn wir da zusammenkommen, sind wir ein bisschen weiter weg von den Stammtischparolen, die heute hier noch einmal penetriert werden. Vielleicht können wir uns miteinander auf diese Linie verständigen. Das wäre sehr gut.
Dann können wir nämlich heute in Ruhe diese Anträge ablehnen. Das ist auch unser Votum. Anschließend können wir zusammen eine qualitätsorientierte Debatte führen und die Kriterien gemeinsam entwickeln.
Wenn Sie ernst zu nehmen sind, machen Sie dabei mit. Wenn Sie aber weiter auf diesem Stammtischniveau argumentieren wollen,
(Dietmar Brockes [FDP]: Unsinn!)
kommen wir nicht zusammen. Das ist leider sehr, sehr durchsichtig.
Ich will auch noch darauf hinweisen, dass sich hier eine Art politischer Gedächtnisverlust eingeschlichen hat; denn diese Stichprobe lehnt sich nur in Teilen an das an, was Frau Sommer gemacht hat, und differenziert mehr nach dem, was der Landesrechnungshof uns auch ins Stammbuch geschrieben hat. Eigenverantwortlicher Unterricht fiel früher unter „besonderer Unterricht“ und wurde nicht extra ausgewiesen. Auch die Auflösung von Doppelbesetzungen wurde nicht extra ausgewiesen. Das macht man jetzt alles.
Und was passiert? – Frau Vogt sagt: eigenverantwortlicher Unterricht – Teufelszeug! – Das klang unter Ihrer Ägide noch ganz anders. Da war der Kollege Kaiser, glaube ich, auch fachlich beteiligt.
Also kommen wir doch wieder zurück auf den Teppich und unterhalten uns über die Dinge, die wirklich nach vorne zu entwickeln sind. Dann kommen wir einen Schritt weiter, und zwar im Sinne der Qualität des Unterrichts und in dem gemeinsamen Anliegen, Unterrichtsausfall so gering wie möglich zu halten. Aber bitte verschonen Sie uns mit den Plattitüden. – Danke.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Frau Beer. – Es gibt eine Kurzintervention von Herrn Kollegen Kaiser, beantragt von der CDU-Fraktion.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Ist ja wunderbar!)
Schon ist Frau Beer auf dem Rückweg zum Pult.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das verlängert ja immer die Redezeit! Danke!)
– Ja, das verlängert den Tag überhaupt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Sigrid Beer [GRÜNE]: Aber mit Freude! Über die Dinge tauscht man sich doch gerne aus!)
– Wir haben gerade noch festgestellt, dass es ein wunderbares Instrument ist, das wir vorher nicht hatten. Die Kurzintervention ist gerade bei direkt abzustimmenden Anträgen von besonderer Bedeutung. – Herr Kollege Kaiser, 1:30 Minuten für Sie, und dann antwortet Ihnen Frau Beer.
Klaus Kaiser (CDU): Herr Präsident! Dieses Instrument habe ich selber noch gar nicht ausprobiert. Daher bin ich jetzt natürlich ganz aufgeregt, insbesondere nach der Rede der hochgeschätzten Kollegin Beer.
Wir beide kommen ja durchaus aus dem ländlichen Raum und wissen, was Stammtische sind. Deshalb wissen wir natürlich auch, dass wir die politische Zukunft nicht an Stammtischen bestimmen können.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Danke!)
Wenn ich von Rot-Grün oder von grüner Schulpolitik eines gelernt habe, dann, dass man sagt: Es geht um eine Verantwortungsgemeinschaft kommunal-staatlicher Zusammenarbeit. – Deshalb sehe ich überhaupt kein Problem, in der Zusammenarbeit mit den Schulträgern und den kommunalen Spitzenverbänden – egal, wer welche Software angeschafft hat – zu dem Ergebnis zu kommen, bei den 2.200 Schulen, die heute schon mit der Software arbeiten, auf die Daten zuzugreifen. Ich billige auch gerne zu, dass man vielleicht einen Stufenplan entwickelt, bis eine Vollversorgung aller Schulen gegeben ist. Es geht um eine Gesamtinvestition von 3.000 € pro Schule. Das ist ein Bruchteil dessen, was Sie eigentlich in die Vertretungsreserve stecken sollten.
Wichtig ist – das hat auch die Intervention des Kollegen Stein eben deutlich gemacht –: Wir haben offensichtlich gar keine verlässlichen Informationen darüber, ob die Vertretungsbudgets ausreichend sind. Mit der Software können wir feststellen: Wird Unterricht fachfremd erteilt? Wie ist die Planung? Können wir Fachunterricht vorziehen? Wie hat sich das im Einzelnen ergeben? Denn wir können für jedes einzelne Fach ein Stundensoll festlegen. Es ist also kein Problem, wenn aufgrund von Skifreizeiten oder Wandertagen eine Englischstunde vorgezogen oder eine Deutschstunde nachgeschoben wird.
Vizepräsident Oliver Keymis: Und so kurz sind 1:30, Herr Kollege Kaiser. Sie sind schon etwas drüber.
Klaus Kaiser (CDU): Ach so! Ich habe hier keine Uhr.
Vizepräsident Oliver Keymis: Ja, das müssen Sie bei der Premiere dann auch berücksichtigen.
Klaus Kaiser (CDU): Ich bin voll bei Ihnen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön.
Klaus Kaiser (CDU): Ich komme jetzt zum Schluss.
Vizepräsident Oliver Keymis: Der ist, ehrlich gesagt, schon erreicht. Sollen wir versuchen, dass sie antwortet? Sonst wird es zeitlich schwierig. Wir sind schon 30 Sekunden drüber.
Klaus Kaiser (CDU): Bei der Strenge des Präsidenten akzeptiere ich das wohl.
Vizepräsident Oliver Keymis: Ausnahmsweise, weil es schon die zweite im Rahmen dieses Blocks ist. – Bitte schön, Frau Kollegin.
Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Herr Präsident. – Danke schön für die Frage, Herr Kollege. Dann müssen wir uns ja erst mal darüber unterhalten – ich habe es eben gesagt –: Was bringt uns das an Steuerungswissen? – Das ist das Erste. Die Frage des Kollegen Stein wird dadurch immer noch nicht beantwortet. Daher müssen wir uns das angucken.
(Klaus Kaiser [CDU]: Aber sind die Budgets …)
Das Zweite ist: Schauen wir doch mal, welche Module dieser Firma die Schulen überhaupt haben. Ich denke ja immer, es ist ein FDP-Mittelstandsprogramm für Softwarefirmen, das jetzt plötzlich ausgelobt wird; das hat gar nichts mit der richtigen Sache zu tun.
(Klaus Kaiser [CDU]: Nein! – Heiterkeit von Eva Voigt-Küppers [SPD])
Welche Module haben die Schulen, und was muss dann dazu organisiert werden? Und dann ist es leicht, von Verantwortungsgemeinschaft, Konnexität und all den Dingen, die Sie doch eigentlich am besten wissen müssten, zu reden. Sonst müssen wir uns in der Sache mal mit Herrn Bürgermeister Vogel zusammensetzen.
(Minister Guntram Schneider: Genau! Der Vogel weiß Bescheid!)
Also: Welche qualitativen Ergebnisse gibt es? Das ist wichtig. Was macht die Qualität von Unterricht aus? Wie bekommen wir die Steuerungsprobleme, die Herr Stein angesprochen hat, anders in den Griff? Wenn wir uns dazu mal zum sachorientierten Dialog zusammensetzen würden, würde ich mich sehr freuen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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