Sigrid Beer: „Es geht um eine lebensnahe und pragmatische Handhabung“

CDU- und FDP-Antrag zu mehr Flexibilität im Offenen Ganztag

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Frau Gebauer außerordentlich dankbar, weil die Melodie und die Intonation, die sie hier vorgetragen haben, dem Anliegen gerecht wird.
Bei Kollegin Birkhahn hatte ich den Eindruck, dass wir kurz vor dem Untergang des christlichen Abendlandes und der Familien stehen. Ich glaube, das ist nicht angemessen. Das hat nichts damit zu tun, dass die Probleme, die vor Ort bestehen, offensichtlich in der Kommunikation von Schulen nicht ernst genommen werden.
Ich würde gerne noch mal grundsätzlich auf einen Punkt eingehen, den Kollegin Hendricks angesprochen hat. Ich möchte Ihnen gerne den Wortlaut des Petitionsbeschlusses aus dem Jahre 2006, der gemeinsam von allen Fraktionen gefasst worden ist, noch einmal vortragen. Er zeigt, diese Fragestellung gab es damals auch schon, und er zieht auch die Punkte klar.
Der Petitionsausschuss hat am 19. September 2006 den folgenden Beschluss gefasst:
„Mit der Petition wird eine flexiblere Handhabung der Ausnahmeregelungen bei der Teilnahme an der offenen Ganztagsschule gefordert. Auch der Petitionsausschuss sieht in der offenen Ganztagsschule in erster Linie ein Bildungsangebot und nicht nur ein Betreuungsangebot. Dies erfordert grundsätzlich die Regelmäßigkeit der Teilhabe. Wichtig sind in diesem Zusammenhang auch die Stärkung des Ganztagsbewusstseins und die Vermeidung einer sogenannten „Drehtürpädagogik“. Insbesondere im Hinblick auf die „eigenverantwortliche Schule“ sollen die Schulleiter auf der Grundlage der geltenden Erlasslage bei Ausnahmeregelungen vor allen Dingen pädagogische Gesichtspunkte im Blick haben. Dies schließt allerdings pragmatische und am jeweiligen Einzelfall orientierte Lösungen nicht aus.“
Deswegen darf es nicht passieren, dass man am Kaffeetrinken zum 80. Geburtstag der Oma nicht teilnehmen kann. Da sind wir uns wohl einig. Deswegen kann es nicht sein, dass gegenüber Eltern, die konsequent nachfragen, Drohungen ausgesprochen werden, im nächsten Jahr vom Ganztag ausgeschlossen zu werden.
(Zuruf von der FDP)
– Dann muss man dem nachgehen; da bin ich vollkommen bei Ihnen.
Das ist damals deutlich gesagt worden. Wir haben ein paar Eckpunkte: Bildungsangebot, Verlässlichkeit – im Übrigen auch für die Träger. Es ist schon eine Entscheidung der Eltern, sich für ein Jahr in einem verlässlichen Rahmen zu binden. Wenn dann der Zahnarztbesuch oder der 80. Geburtstag der Oma anstehen, muss das ermöglicht werden. Aber auf der anderen Seite brauchen auch die Träger Verlässlichkeit.
Da ist es richtig, auch auf das Finanzargument zu schauen. Es kann doch nicht sein, dass wir Gruppen von 25 Kindern ausfinanzieren und zum Schluss sind noch acht, neun oder zehn in der Gruppe. Außerdem muss die Kollegin jedes Mal aus Gründen der Aufsicht den Raum verlassen. Da sind wir uns einig, auch das wollen wir nicht.
Also: Verlässlichkeit für die Träger mit ihrer Personalplanung, auch in der Verantwortung für die Steuergelder, die wir zum großen Teil sehr gut finanziert in die OGS geben, und auf der anderen Seite ein Sensibilisieren für die wohl begründeten Ausnahmeregelungen. Dann hat sich auch der Ganztagserlass, wie er seit 2003 besteht, bewährt, und es geht um eine lebensnahe und pragmatische Handhabung, aber nicht darum, das Ganze aufzuweichen und in ein Szenario zu stellen, wie es Frau Birkhahn getan hat. Da bitte ich um eine andere Tonlage. Ich glaube, da sind wir überhaupt nicht auseinander. Das kann man auch im Ausschuss in der gebotenen Sachorientierung miteinander diskutieren. Dann werden wir zu den Dingen kommen, die den Eltern entgegenkommen, die aber auch eine klare Linie der Verlässlichkeit für alle Beteiligten zeichnen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Abgeordnete, es gibt gleich zwei Interessenten für Zwischenfragen.
Sigrid Beer (GRÜNE): Aber herzlich gerne. Wem darf ich eine Antwort geben?
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Zunächst Herrn Kollegen Schatz von den Piraten und dann Herrn Kollegen Jostmeier von der CDU. – Ersterer hat das Wort.
Sigrid Beer (GRÜNE): Erst Herr Schatz. Bitte schön.
Dirk Schatz (PIRATEN): Sehr geehrte Frau Beer, danke, dass Sie meine Zwischenfrage zulassen. Sie haben gerade ausgeführt, es sei okay, wenn man zum 80. Geburtstag der Oma oder auch zum Zahnarztbesuch früher abgeholt wird. Das sind aber eher Ausnahmetatbestände. Was ist mit regelmäßigen Dingen, zum Beispiel dem Besuch des Sportvereins etc.?
Frau Hendricks sagte gerade, die Vereine müssten in die OGS eingebunden werden. Das ist in der Praxis aber noch nicht der Fall. Ich bin selber Vater eines siebenjährigen Sohnes und genau in der Situation. Wenn ich meinen Sohn um 14 Uhr zum Turnverein abhole, dann werde ich angesprochen, ich solle aufpassen, dass er nicht aus der OGS herausfliegt. Was ist das für ein Mist?
(Beifall von der CDU)
Sigrid Beer (GRÜNE): Es ist in der Tat die Praxis, dass die Sportvereine einbezogen werden, dass es Angebote von Sportvereinen, von kulturellen Vereinen gibt.
(Dirk Schatz [PIRATEN]: Aber sind sie doch nicht!)
– Ich rede ganz normal zu Ihnen und würde mich freuen, wenn das auch entsprechend zurückkäme. Zu der Frage, wie man die OGS gestaltet, welches Angebot es gibt: Die Vereine haben sich inzwischen auf die Zeiten eingestellt. Als Eltern werden Sie sich einmal verbindlich für ein verlässliches Angebot in der OGS entscheiden müssen. Es geht um die Gruppenpauschale. Sie können auch mit Ihrem Schulträger über das Angebot reden, wenn Sie zum Beispiel nur eine Übermittagsbetreuung bis 13 Uhr benötigen. Dann hat er andere Möglichkeiten, das zu steuern. Denn für jede dieser Gruppen, Herr Kollege Schatz, gibt es 5.500 €, die vom Schulträger an den Standorten – gegebenenfalls auch gebündelt – eingesetzt werden können. Das heißt, die Steuerungsfähigkeit ist gegeben.
Ich würde Sie bitten – das begrüße ich außerordentlich –, dass Sie sich als Elternteil vor Ort einbringen, dass Sie genau diese Dinge in die Gestaltung aufnehmen. Es ist nämlich Sache des Schulträgers, darauf einzugehen. – Jetzt ist gerne der Kollege Jostmeier dran.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Jetzt ist in der Tat der Kollege Jostmeier dran. Bitte sehr.
Sigrid Beer (GRÜNE): Danke, Herr Präsident.
Werner Jostmeier (CDU): Dafür vielen Dank, Frau Kollegin Beer, liebe Sigrid, wenn ich das so sagen darf. Wenn Sie bereit sind, Ausnahmen für den Geburtstag der Großeltern oder eine Sportveranstaltung zuzulassen, wären Sie dann in der Konsequenz auch bereit, der GPA, der Gemeindeprüfungsanstalt, zu sagen, dass sie nicht so stark hinterherhängen und die Gemeinden nicht zwingen soll, die Fördergelder zurückzahlen?
Sigrid Beer (GRÜNE): Das finde ich ja ganz interessant. Das sagt die Fraktion, die uns beim Haushalt jedes Mal vorrechnet, was wir einzusparen, wie wir mit Steuergeldern umzugehen haben. Es gibt eine ganz klare Bemessungsgrundlage, und da sollen wir nicht so genau hingucken?
(Karl-Josef Laumann [CDU]: So sind wir doch nicht!)
– So wären Sie niemals, Herr Laumann. So kenne ich Sie auch gar nicht, das ist in der Tat wahr.
Es kann doch nicht sein, Herr Jostmeier, dass Sie jetzt ernsthaft sagen: Seht nicht so genau hin, ob es nun acht oder nur fünf Kinder sind und gebt ihnen das Geld für 25. – Das ist doch nicht Ihr Ernst. Geben Sie das der Präsidentin des Landesrechnungshofs bitte schriftlich. Auf die Recherche werde ich mich dann sehr freuen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN – Werner Jostmeier [CDU]: Wie wollen Sie denn die Ausnahme zulassen?)

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