Sigrid Beer: „Es drückt die Schulen vor Ort, dass sie nicht genug Lehrkräfte haben“

Antrag der SPD-Fraktion zum Lehrermangel

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Hannen, ich wollte eigentlich zuerst zum SPD-Antrag sprechen. Aber zu Ihrer Rede mit der Überschrift „sieben Jahre“ muss ich doch noch mal ein paar Takte sagen. Sie waren seinerzeit noch nicht im Parlament. Von daher will ich nur darauf hinweisen, dass wir 2010 sofort die Zahl der Lehramtsanwärterstellen wieder aufgestockt haben. Sonst hätten wir heute fast 7.000 weniger; denn Schwarz-Gelb hatte sie damals weggekürzt.
(Beifall von Jochen Ott [SPD])
Das war die erste Maßnahme. Ich sage auch nichts über die 1.000 Stellen im Schulministerium, die im Haushalt von Schwarz-Gelb damals nicht finanziert waren. Sie mussten nachfinanziert werden, weil sie nicht auskömmlich dringestanden haben. Das haben wir sofort nachgelegt.
 (Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Auch zu den 2013 in Angriff genommenen Ausbildungen im Bereich Sonderpädagogik und zu dem Paket „Berufskolleg-Lehrkräfte“ sage ich nichts.
Aber ich will noch etwas zur Lehrerbedarfsprognose sagen. Wenn Sie sich intensiv informieren würden, dann wüssten Sie, dass 2016 in der Tat die Neuauflage angestanden hätte. Da haben wir aber die Frage der Migration miteinander besprochen und gesagt: Jetzt schauen wir, wie sich das weiterentwickelt. – Allein im ersten Jahr sind 40.000 Kinder und dann noch mal 40.000 Kinder dazugekommen. Natürlich muss man das insgesamt mit berücksichtigen.
Wenn Sie auf die Bevölkerungsprognose … (Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
–  Ach, Herr Witzel, Ihre Bemerkungen brauche ich da gar nicht, weil wir da gut im Film waren.
Wenn man die Frage der Bevölkerungsprognose auch mit einbezieht – das ist ja immer richtig –, müsste man ja jetzt konstatieren, dass die Geburtenrate schon wieder zurückgeht. Es kann ja nicht sein, dass man so kurzfristig rauf- und runtergeht.
Sie wissen auch, in welchen Abständen überhaupt Zahlen zum Beispiel zu den Geburtenraten da sind. Man schaut dann, ob das ein Trend ist. Dann wartet man das nächste Jahr ab. Das bedeutet realistisch, alle fünf bis sechs Jahre eine Bedarfsprognose zu machen. In der Sondersituation mit Zuwanderung und Migration ist in der Tat darauf geschaut worden.
Jetzt komme ich zu dem Antrag der SPD. Er schließt ein bisschen an das an, was wir heute früh schon miteinander diskutiert haben. Wir haben auch in den Haushaltsberatungen schon Bezug darauf genommen. Ich hatte das Ministerium damals gefragt, wie es mit der Kapitalisierung von Stellen aussieht. Wir sind darauf hingewiesen worden – und das ist rechtlich richtig –, dass dieser Begriff der Kapitalisierung differenziert zu sehen ist, wenn es da nämlich um die Lehrerstellen geht, die das Land finanziert, und nicht um die Mittel, die an Dritte gehen, um Angebote im offenen Ganztag oder im Ganztag an der weiterführenden Schule zu gestalten. Aber mir geht es auch um diese Mittel, die landläufig unter „Kapitalisierung“ verstanden werden, wenn es um Lehrerstellen geht.
Da will ich an das anschließen, was die Ministerin heute früh schon gesagt hat. Es geht nicht darum, dann auf der Lehrerstelle plötzlich Tarifbeschäftigte zu beschäftigen, sondern darum, dieses Geld den Schulen zur Verfügung zu stellen, um zu sagen: Ihr könnt auch sichere Verträge mit anderen pädagogischen Professionen machen, die wichtig und auch langfristig sind. Wir werden doch in jedem Jahr Neueinstellungen brauchen. Dadurch wird der Unterrichtsbedarf nicht infrage gestellt.
Sie haben uns damals im Zuge der Haushaltsberatungen gesagt, dass diese Kapitalisierung eigentlich nicht gedeckelt ist. Also geht das sehr wohl, was hier aufs Tapet gebracht wird. Die Zahl soll dadurch begrenzt werden, dass die Sicherstellung der Unterrichtsversorgung dann nicht eingeschränkt werden darf. Natürlich! Aber darauf haben die Schulen vor Ort einen Blick. Die wollen ja auch anderes Personal in diesem Bereich gewinnen, damit der Unterricht sichergestellt ist. Ein Beispiel hat der Kollege Ott eben in Bezug auf die Erteilung von Sportunterricht oder anderen Professionen genannt: bei Künstlerinnen oder bei Künstlern. – Das geht vielfältig darüber hinaus.
Ich will aber auch meine Bedenken anmelden, Herr Kollege, was die Umwandlung in Sachmittel angeht. Es kann nicht sein, dass über diesen Weg dann fehlende Sachmittel ausgebügelt werden, die eigentlich von anderer Stelle kommen sollen. Personalmittel sollen dazu verwendet werden, um Personal zu gewinnen und in den Schulen zu haben; denn es drückt doch die Schulen vor Ort, dass sie nicht genug Lehrkräfte haben.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Bitte?
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage vom Abgeordneten Rock.
Sigrid Beer (GRÜNE): Ja.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Bitte sehr.
Frank Rock (CDU): Frau Beer, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie wissen, ich schaue immer gern nach hinten. Welche Maßnahmen hatte die damalige Landesregierung ergriffen, um für die Mittel, die ja jahrelang auch an den Finanzminister zurückgeflossen sind, weil Sie die Stellen auch nicht besetzt bekommen haben, den rechtlichen Rahmen zu schaffen, um die Kapitalisierung, die Sie ja heute hier befürworten, in die Wege zu leiten? Welche Maßnahmen hat die damalige Regierung da ergriffen?
Sigrid Beer (GRÜNE): Genau. Das ist ein guter Hinweis, weil Sie diese Kapitalisierung ja weiter vorangetrieben haben, damit das dann auch möglich ist. Sie haben zum Beispiel im Bereich der Grundschule die Mittel aufgestockt. Das müssten Sie eigentlich wissen; denn Sie sind ja selbst Grundschulleiter gewesen.
Genau diese Frage drückt uns ja immer weiter. Deswegen müssen wir auch weiter daran arbeiten. Wir haben heute eine Anzahl unbesetzter Lehrerstellen und wissen, dass das Tischtuch extrem dünn ist. Von daher kann man nur wünschen, dass solche Maßnahmen jetzt vorangetrieben werden. Sie sollten eigentlich auch Interesse daran haben, dass die Schulen vor Ort entsprechend besetzen können.
Das ist besonders deshalb wichtig, weil es ja für die Schulen darum geht, auf dem knappen Markt anderer pädagogischer Fachkräfte entsprechende langfristige Verträge schließen zu können. Wir haben im Bereich der Sozialpädagoginnen ja schon gesehen, dass das Betttuch da auch nicht unendlich ist. Wir sollten sehen, dass langfristige und gute Verträge für die Kolleginnen und Kollegen geschlossen werden können, die für die multiprofessionelle Zuarbeit in den Schulen dringend gebraucht werden.
Von daher bitte ich, alle Möglichkeiten auszuloten, das den Schulen vor Ort wirklich an die Hand zu geben und auch die Lehrerstellen entsprechend anders zu besetzen, und zwar im Landesdienst. Es ist nicht daran gedacht, im Rahmen der Kapitalisierung zu sagen: „Wir geben noch mehr Mittel an Dritte weiter“, sondern daran, Landesstellen zu besetzen, weil dann garantiert ist, dass sie in die Unterrichtsversorgung fließen. Das kann man auch in dieser Situation durchaus auch mit anderen Professionen machen.
Ich möchte noch eine Bitte anschließen. Es hat schon eine Antwort darauf gegeben, was die Absolventinnen im Grundschulbereich aus anderen Bundesländern und deren Qualifikationen angeht. Wir müssen im Augenblick wirklich alle Korridore nutzen. Man muss perspektivisch sicherlich auch im KMK-Konzert darauf hinwirken, wie Ausbildung noch weiter miteinander vereinbart werden kann. Aber es kann nicht sein, dass Kolleginnen und Kollegen, die in Niedersachsen ausgebildet worden sind, sich hier in NRW bewerben und dann vor die verschlossene Tür laufen. Das können wir uns einfach nicht erlauben. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der zweite Wortbeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wenn es noch eines Zeichens dafür bedurft hätte, dass die AfD nicht auf der Höhe der Zeit ist, hätte man es jetzt gehört. Denn die Kommunen haben die Gelder alle abgerufen. Das muss man noch einmal deutlich sagen. Und das ist auch gut so.
Deswegen möchte ich Ihnen auch noch einmal einen Hinweis geben, Frau Hannen. Wir können über vieles reden. Aber machen wir doch bitte nicht diese simple Nummer auf. Denn wir haben 6 Milliarden Euro zwischen 2010 und 2017 in Bildung investiert: 2 Milliarden mit „Gute Schule 2020“, 4 Milliarden zur Aufstockung des Schulhaushalts. Wenn Sie jetzt weitermachen, ist das gut und richtig. Aber das, was Sie hier präsentieren, ist leider nicht hinreichend.
Nach dem Beitrag von Herrn Zimkeit würde ich gerne auch noch einmal an die SPD appellieren. Ich wüsste wirklich gerne, was es denn jetzt sein soll. Ich bin sehr dabei, wenn man sagt, dort Schulleitungsassistenzen und IT-Support hinzuzunehmen. Warten wir aber doch einmal ab, was der Digitalpakt bringt. Meines Erachtens muss man die Sachen konzeptionell nebeneinanderpacken. Aber wir haben sicherlich im Rahmen der Beratung im Ausschuss die Gelegenheit, das noch einmal ein bisschen zu sortieren. Denn konzeptionell sollte es ineinandergreifen.
Ich habe schon bei den Haushaltsberatungen genau in dieser Richtung nachgefragt. Wir ha- ben einen Haushaltsantrag gestellt, der von den regierungstragenden Fraktionen abgelehnt worden ist. Es freut mich, dass die Ministerin den Ball trotzdem aufgenommen hat und dass etwas in dieser Richtung passiert.
Wir müssen uns darum bemühen, dass das Personal für den Unterricht vorhanden ist, und zwar vielfältig und auch multiprofessionell. Wir sollten Künstlerinnen und Künstler sowie Handwerkerinnen und Handwerker mit in die Schulen hineinnehmen, um die entsprechenden Fächer abzudecken.
Darin liegen die Chancen. Das werden wir im Ausschuss sicherlich gut beraten können. – Danke.
(Beifall von Arndt Klocke [GRÜNE] und Jochen Ott [SPD]) 

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