Sigrid Beer: „Die Berufskollegs werden nicht in ein Zwangskorsett gesteckt“

Antrag der FDP zu Berufskollegs

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Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss mich schon fragen, in welcher Debatte und zu welchem Zeitpunkt der Entwicklung wir hier eigentlich sind. Wir haben in diesem Landtag gemeinsam einen Integrationsplan auf den Weg gebracht. In jedem Ausschuss wurde darüber diskutiert, welche Maßnahmen auch im Bildungsbereich angelegt sind. Trotzdem habe ich hier Beiträge gehört, die so klangen, als hätten wir in diesem Haus nie darüber geredet. Das macht mich fassungslos, muss ich sagen.
Eigentlich hätte doch ankommen müssen – haben wir da ein Bildungsproblem, Frau Schmitz? –, dass wir in Nordrhein-Westfalen wie in keinem anderen Bundesland die Vielfalt der Bildungswege verbunden mit dem Recht auf Bildung vorhalten. Wir haben mittlerweile 109 Millionen € in der gemeinwohlorientierten Weiterbildung, die sowohl abschlussbezogen ist als auch die Grundlagen im kulturellen Umgang, im sozialen Umgang und im gesellschaftspolitischen Umgang vermittelt, und natürlich die Sprachförderung. Wir haben es auf uns genommen, das zu schultern, und sind da mit großem Engagement hineingegangen.
Zu dem, was unsere Schulen mit den Internationalen Förderklassen leisten, kommt jetzt an einer Nahtstelle ein Vorkurssystem dazu. Dabei handelt es sich nicht um einen Fachunterricht mit einer berufsbezogenen Vorbereitung. Wir haben es nämlich mit den Internationalen Förderklassen schon angelegt, eine Berufsorientierung hineinzubringen und direkt den Übergang in Einstiegsqualifikation bzw. in berufsvorbereitende Maßnahmen zu schaffen.
Genau das ist auch die Rückmeldung aus den Berufskollegs, die wir hier ja gemeinsam diskutiert haben. Sie haben erklärt: Wir wollen dieses System, um Jugendliche und junge Erwachsene überhaupt fit zu machen, damit sie starten können, weil sie mehr Zeit brauchen, als in einem Jahr oder maximal zwei Jahren in einer Internationalen Förderklasse zur Verfügung steht. Dazu braucht es für eine ganz bestimmte Gruppe noch einen Vorkurs. Genau das wird angeboten; genau das startet jetzt in diesem Bereich.
Es ist auch sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir eine sehr heterogene Gruppe von Zugewanderten mit unterschiedlichsten Erfahrungen haben. Sie verfügen über Berufserfahrungen in verschiedenen Konstellationen, zum Beispiel schon als Familienfrauen. Dafür haben wir ganz flexible Möglichkeiten geschaffen. Wir wollen, dass die jungen Frauen und Mädchen diese Bildungsmaßnahmen auch wahrnehmen. Deswegen gibt es zum Beispiel Brückenkurse, bei denen die Betreuung von Kindern gewährleistet ist, damit sie da ihren Einstieg finden. Das ist wirklich ein ausgefeiltes System auf den unterschiedlichsten Ebenen.
Und was machen Sie, Frau Schmitz? Sie betreiben hier wieder Legendenbildung und malen Gemälde von Dingen, die so einfach richtig sind, nach dem Motto: Die Gymnasien werden vernachlässigt – das ist so eine Ente, die Sie in die Welt setzen –, wir wollten Stellen abbauen – das werden wir gleich auch noch klären –, und die FDP habe sich erneuert. Das ist alles falsch.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Entschuldigung, Frau Kollegin Beer. Frau Kollegin Bunse würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie sie zu?
Sigrid Beer (GRÜNE): Ja, gerne, Frau Bunse. Zu diesem Punkt komme ich aber gleich noch einmal zurück.
Dr. Anette Bunse (CDU): Wir sind gespannt, Frau Beer. – Frau Beer, Sie haben jetzt ganz weit ausgeholt und sind dabei auch ein bisschen erregt. Sie bekommen doch gar nicht überall Widerspruch.
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Das ist meine Betriebstemperatur; das geht nicht anders!)
– Die schätze ich ja auch. – Frau Beer, man sollte sich jetzt aber einmal auf das Wesentliche konzentrieren, denke ich. Der Punkt ist doch, dass mit diesem Programm, wie auch immer es auslaufen wird, zunächst einseitig eine Schulform ganz massiv belastet ist. Diese Schulform – das habe ich mir jedenfalls berichten lassen – muss dann auch Lehrerpersonal zur Verfügung stellen, ohne dass sie dafür mehr Lehrerpersonal bekommen hat. Dafür muss dann unter Umständen auch regulärer Unterricht gekürzt werden.
Das ist der eigentliche Punkt, über den die FDP in ihrem Antrag diskutiert hat und über den auch wir diskutieren, nicht die vielen Punkte, die Sie gerade angerissen haben.
Sigrid Beer (GRÜNE): Damit komme ich zu einer wunderbaren Schleife, Frau Bunse. Das verbinde ich nämlich mit der Antwort in Richtung FDP; das will ich doch gerne tun.
Also: Eins und eins ist zwei, und einen Flüchtling kann man nicht teilen; der zählt auch nur einmal. Wir haben Folgendes gemacht – und das ist auch die Antwort auf das, was Frau Schmitz vorgetragen hat; das ist einmalig in diesem Haus, das will ich noch einmal sagen –: Die Zugewanderten sind zu uns gekommen. Bevor die Umverteilung in die Kommunen passiert ist, bevor sie in den Schulen angekommen waren, hat die Landesregierung die Stellen zur Verfügung gestellt. Normalerweise ist die Systematik anders, das wissen Sie eigentlich auch. Dann werden die allgemeinen Schuldaten abgefragt: Wer ist wo?
Das haben wir umgekehrt. Das heißt, wir haben die Ressourcen fortlaufend vorher zur Verfügung gestellt. Entweder kann der oder die Geflüchtete in der internationalen Förderklasse am Berufskolleg oder im Vorkurs sein, in beiden geht nicht. Das heißt, die Schulen haben die Mittel bekommen, und sie können jetzt differenzierter als vorher eingesetzt werden. Die Haushaltsmittel sind erst einmal bis zum Jahr 2017/18 beschrieben. Wir müssen dann natürlich schauen, wie sich das fortsetzt. Wer kommt denn wo an?
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es jetzt losgeht. Die Berufskollegs werden ja nicht in ein Zwangskorsett gesteckt, sondern sie entscheiden sich, dieses Programm anzunehmen und sich zu engagieren. Viele nehmen es wahr, weil sie sagen: „Jetzt können wir diese Vorstufe anlegen“, im Übrigen auch mit multiprofessionellen Teams, Frau Bunse. Wir haben hier im Haus lange genug darüber geredet, wie das zusammengeht. Damit haben wir die Basis, die Zugänge. Wir brauchen jeden Platz, um das Recht auf Bildung für die Menschen, die zu uns gekommen sind, unabhängig von der Bleibeperspektive umzusetzen. Das ist ein Baustein, der sinnvoll ist und der das Ganze ergänzt.
(Eva Voigt-Küppers [SPD]: Ja!)
Ich habe die Debatten um die Frage der Schulpflicht in Bayern noch im Ohr. Dazu haben wir den Experten hier gehabt. Was war das denn? Es ist ein Potemkinsches Dorf gewesen.
(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])
Da sind die Plätze und die Schulpflicht ausgerufen worden, aber die Lehrer waren nicht da. Dann wurde staatlicherseits ein Großteil der Geflüchteten von der Schulpflicht befreit, weil die Optionen gar nicht existierten.
Das gibt es in Nordrhein-Westfalen so nicht, sondern wir bringen jeden jungen Menschen so schnell wie es geht in die Schule und ins Bildungssystem, in die Weiterbildung, jetzt in das System der Vorklassen. Der Weg führt dann in die Internationalen Förderklassen und möglichst natürlich auch in die berufsqualifizierenden Maßnahmen.
Wir müssen auch bei jedem hinschauen, was richtig ist. Ist es der Weg in die Schule? Mit welchen Vorerfahrungen kommen sie? Ist es der Weg, der gegebenenfalls direkt in den Arbeitsmarkt führt, mit unterschiedlichen Maßnahmen? Auch die Bundesagentur für Arbeit ist ja dabei.
Ich stelle allen beteiligten Kolleginnen gern die Gesamtübersicht der Maßnahmen zur Verfügung. – Die Ministerin hält sie dankenswerterweise hoch. Man bekommt sie über das Bildungsportal. Wir haben sie vorgelegt und diskutiert.
Das Sittengemälde, das Sie hier aufgezeigt haben, Frau Schmitz, funktioniert so nicht. Es ist einfach nur ein plumper Versuch, hier, nachdem das Programm gerade erst angelaufen ist, schlechte Stimmung dafür zu machen.
(Zuruf von Ingola Schmitz [FDP])
Alle anderen Dinge werden wir weiter begleiten, natürlich auch in der nächsten Legislaturperiode. Dann werden die Stellen auch haushaltstechnisch fortgeschrieben. Das ist die Koalition, die die Stellen aufgebaut und nicht abgebaut hat. So geht es auch weiter.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ich verweise noch einmal auf meinen Beitrag von eben. 10.000 Stellen hatten Sie schon abgeschrieben. 700 Millionen €, 14.000 Stellen wollte der Kollege Witzel streichen. All diese Dinge wollen wir doch einmal nebeneinanderstellen. Wer hat was gemacht?
Wir sind verlässlich in dem weiteren Fortschreiben der Ressourcen. Das werden wir weiterhin tun. Durch einen solchen Antrag lassen wir uns nicht verwirren. Wir nehmen unsere Verantwortung wahr, schauen darauf und führen es weiter.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD) 

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