Sigrid Beer: „Das hat nichts mehr mit konsolidierter und seriöser Schulpolitik in diesem Land zu tun, das ist Aktionismus“

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktionen von SPD und GRÜNEN zur Schulpolitik in NRW

Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte gerne zuerst ein Wort der Ministerin aufgreifen. Sie hat von „Inszenierung“ gesprochen – wie trefflich.
Der Kollege Sundermann hat es doch auf den Punkt gebracht.
(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
Die Unterrichtung heute Morgen war ein Ablenkungsmanöver.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das ist Ihr Niveau! Herzlichen Glückwunsch!)
Und dann lädt der Wirtschaftsminister parallel zum Plenum für 11:30 Uhr auch noch die Presse dazu, das heißt am Parlament vorbei, um von einer Ministerin abzulenken, die die Lage längst nicht mehr im Griff hat.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe)
Das ist so durchsichtig.
Das hat man auch an dem Beitrag der Ministerin gesehen,
(Unruhe – Glocke)
die nicht nur in der Debatte hier im Haus schon versucht hat, einen Schulleiter zu diskreditieren, sondern jetzt auch noch versucht, Abgeordnete anhand von Charakterzügen zu beurteilen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Das sagen Sie, Frau Beer!)
Ich finde, das ist unwürdig. Das ist in der Tat unwürdig.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dann erzählt sie uns hier noch, dass ja alles in Nordrhein-Westfalen aufgrund der Rechtsverordnung schon längst möglich ist.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Wissen Sie, was in dieser Rechtsverordnung Priorität hat? – Vertretungsunterricht, Vertretungsunterricht, Vertretungsunterricht.
(Verena Schäffer [GRÜNE]: Könnt ihr mal ruhig sein? Wir sind hier im Parlament! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Ganz flaches Niveau bei dir!)
Das heißt, die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt schon über die Maßen belastet sind, sollen noch zusätzliche Mehrarbeit übernehmen. Sie fahren das System vor die Wand, weil Sie es überbelasten. Das hat nichts mit Konzeption und Plan B zu tun.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Wir müssen in dieser Woche wieder feststellen: Was die Schulministerin anfasst, löst Chaos aus. Das wird an der Frage der vorgezogenen Weihnachtsferien deutlich.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Der Ministerpräsident verspricht im WDR, natürlich werde erst noch mit den Verbänden gesprochen. Aber genau das passiert nicht. Um präzise zu sein: Es werden kurz noch schnell ausgewählte Verbände angerufen. Wer allerdings in Ungnade gefallen ist, wie offensichtlich die GEW, der wird übergangen, der erfährt im Vorfeld gar nichts mehr. – Die Liste der Unprofessionalität der Ministerin und der Unsouveränität wird immer länger. Das kann doch so nicht weitergehen.
Frau Kollegin Müller-Rech, der Flickenteppich in Nordrhein-Westfalen besteht doch längst.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Maulkorberlass à la Beer und Löhrmann!)
Durch die Quarantänesituation in Schulen, durch Teilschließungen, durch Schulschließungen haben wir längst einen Flickenteppich. Klausuren fallen aus und können nicht mehr geschrieben werden. Was ist denn mit den Schülerinnen und Schülern, die jetzt noch im G8 sind? Die werden doch zu einem G7 und zu „G71/2“, wenn es so weitergeht.
(Bodo Löttgen [CDU]: Was ist denn mit den 5.000 an den Schulen, an denen der Präsenzunterricht gemacht wird?)
Wir brauchen noch ganz andere Konzepte, und all das lässt diese Ministerin vermissen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dann gibt es eine Stadt, die anstatt des Ad-hoc-Shutdowns in Schulen ein strukturiertes Vorgehen vorlegt, weil es nämlich darum geht, präventiv dafür zu sorgen, dass so viel Präsenzunterricht wie möglich stattfinden kann. Und das wird dann verboten.
Ich möchte Ihnen den Schulleiter der Gesamtschule Höhscheid, Herrn Braun, zitieren. Er sagt: 308 seiner 764 Schülerinnen und Schüler sind aktuell in Quarantäne, vier Lehrerinnen seien positiv getestet und elf weitere in Quarantäne. Insgesamt ist ein Viertel des Kollegiums im Krankenstand, sagt Braun. Und: Wenn wir die Klassen vorher geteilt hätten, dann wären wir nicht in einer solchen Situation. – Darum geht es genau.
(Bodo Löttgen [CDU]: Was für ein Unsinn! – Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie wissen, dass das falsch ist, und behaupten es trotzdem! – Gegenruf von Josefine Paul [GRÜNE]: Warum ist das falsch? – Henning Höne [FDP]: Unfassbar!)
Das ist genau der Punkt. Es soll keine flächendeckenden Schulschließungen geben,
(Zuruf von Josefine Paul [GRÜNE])
sagt auch der stellvertretende Ministerpräsident hier dauernd. Aber gerade macht es doch die Schulministerin, indem sie die Weihnachtsferien um zwei Tage vorzieht. Das ist flächendeckende Schulschließung und nichts anderes.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Dabei ist es gleichzeitig auch ein Eingeständnis der Infektionslage. Denn was hat RKI-Chef Wieler noch einmal sehr eindrücklich deutlich gemacht? – In der Gruppe der 10- bis 19-Jährigen liegen die Inzidenzwerte bei 160. Das heißt, die sind genauso infektiös wie Erwachsene.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Da fällt mir das alte Lied von Nahles wieder ein: Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt!)
Dass Sie hier mit der Vorquarantäne vor Vorweihnachten argumentieren, ist doch der Beleg, dass für Gesundheitsschutz mehr getan werden muss, aber Sie verweigern sich an dieser Stelle. Das ist so inkonsistent. Sie haben nur versucht, etwas herauszuhauen, um von der eigenen Handlungsunfähigkeit abzulenken. Das war das Manöver, das wir in den letzten zwei Tagen hier erlebt haben, und nichts anderes.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das hat nichts mehr mit konsolidierter und seriöser Schulpolitik in diesem Land zu tun, das ist Aktionismus.
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
Ich will noch etwas dazu sagen, wie die Dinge beurteilt werden. Es ist ja toll, in der „Rheinischen Post“ kann man Ausführungen des Staatssekretärs zu der Frage der Fördermöglichkeiten bei den Ferienprogrammen lesen: „In über 1.200 Gruppen- und Individualmaßnahmen seien bisher über 10.000 Schüler erreicht worden, was die zusätzlichen Fördermöglichkeiten angeht.“
Das wird gepriesen, das ist viel. Aber dass über 50.000 Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen in Quarantäne sind und dass diese Zahlen steigen, ist nicht viel. Darüber gehen Sie hinweg. So kann es in Nordrhein-Westfalen nicht weitergehen!
(Beifall von den GRÜNEN)