Sigrid Beer: „…damit es weiter und stärker selbsttätig gelingt“

Antrag der Piraten zur Inklusion

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Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Bunse! Ja, das ist richtig. Wir nehmen die Rückmeldungen, die aus den Schulen kommen, ernst, natürlich auch die der Kolleginnen und Kollegen. Ich habe eben schon einmal darauf hingewiesen, dass wir auch im Ausschuss gesagt haben: So, wie wir auf verschiedenen Podien miteinander diskutieren, meinen wir das auch ernst mit dem Nachsteuern. Da muss man über die Prozesse gehen.
Ich habe eben schon gesagt: Im Nachtragshaushalt, der heute vorgelegt worden ist, ist schon die Reaktion erfolgt, dass hier eine Tranche von 300 Stellen für das Stellenbudget zusätzlich zu multiprofessionellen Kräften und der Stärkung der multiprofessionellen Teams ausgebracht ist. Das ist wichtig. Egal, wie Frau Pieper das bezeichnet, das ist für die Schulen die notwendige Unterstützung, die sie auch immer einfordern.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Beer, würden Sie eine Zwischenfrage von der von Ihnen gerade angesprochenen Frau Kollegin Dr. Bunse zulassen?
Sigrid Beer (GRÜNE): Aber gern.
Dr. Anette Bunse (CDU): Frau Beer, danke, dass Sie die Frage zulassen. Frau Pieper hat es uns gerade vorgerechnet: 300 Stellen sind 0,75 Stellen pro Kommune. Sie fangen jetzt wieder an, mit Zahlen zu operieren. Meinen Sie nicht, dass es auch darum geht, eine ganz andere Haltung zur Umsetzung der Inklusion an den Tag legen zu müssen? Die fängt ganz einfach mit Zuhören, Wahrnehmen und des darauf Reagierens an. Das ist eine Frage der Haltung, nicht der Zahlen.
(Beifall von der CDU und von den PIRATEN)
Sigrid Beer (GRÜNE): Herzlichen Dank für die Frage. Sie haben gefragt: Nehmen wir das ernst, was aus den Schulen kommt? Natürlich nehmen wir es auch ernst, dass Ressourcenanforderungen kommen, und in diesem Bereich wird nachgesteuert. Das ist etwas, was die Kollegin mit der Durchschnittszahl versucht. Wir schauen genau hin – und es ist auch Aufgabe der Schulaufsicht –, wo an welcher Stelle etwas nachgesteuert werden muss.
Ich will noch einmal mit einem Märchen aufräumen. Es ist kein Prozess mit der Brechstange. Denn von der Ministerin ist eben gesagt worden:
Erstens. Die Gutachter hatten uns eigentlich empfohlen, ganz bestimmte Förderschulen direkt zu schließen und die anderen sehr massiv zurückzuführen. Das haben wir nicht gemacht. Deswegen ist klar, wir brauchen eine stärkere Stellenausstattung.
Zweitens. Jetzt folgen wir natürlich dem System der Schwerpunktschulen. Deswegen muss da die sonderpädagogische Ressource gebündelt werden. Das hilft dann auch. Damit erklärt sich auch die Frage, warum es nicht an allen Schulen dieses Budget gibt.
Ich will noch einmal zu der Frage der Haltung kommen. Lassen Sie mich an dieser Stelle – ich glaube, das ist angemessen – einmal einer Schule in Nordrhein-Westfalen in ganz besonderer Weise gratulieren. Das ist das Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim, das den Jakob-Muth-Preis bekommen hat.
(Beifall von Eva Voigt-Küppers [SPD])
Es ist immer gesagt worden und war auch Teil der Debatte hier: Es kann doch nicht sein, dass an den Gymnasien zieldifferentes Lernen gelingt. Die Schüler und Lehrer des Gymnasiums haben sich auf den Weg gemacht und haben in herausragender Weise Haltung in der Schule verändert, aber mit Ressourcen. Es ist ihnen nämlich gelungen, sowohl das, was wir im Landeshaushalt bereitstellen, als auch das Thema der Jugendhilfe und die Frage der Sozialhilfe zusammenzuführen – wir haben sie in der Anhörung gehört – und in dieser hervorragenden Art zu einem Unterstützungszentrum in der Schule aufzubauen.
Das zeigt, wie tiefgreifend die Veränderung in allen Schulen in Nordrhein-Westfalen ist. Es ist nicht mehr so, dass es wenige betrifft, sondern dieser Prozess ist in der Breite angekommen, und viele Kolleginnen und Kollegen setzen sich damit auseinander. Bei einem so tiefgreifenden Prozess ist doch klar, dass auch die Rückmeldungen in der Breite kommen. Wir unterstützen diesen Prozess, und das gehört dazu, weil uns die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen natürlich sagen: Ihr verlangt von uns eine Haltungsänderung, einen anderen Blick auf das Kind. Aber dazu gehört auch die Unterstützung. Sorry! Das ist dann Ressource, und das leistet die Landesregierung. Denn sonst hätten wir hier noch eine ganz andere Debatte.
Ich will darauf verweisen, was wir innerhalb der mehr als 1 Milliarde € gemacht haben, die wir auf den Weg gebracht haben. Das ist zum Beispiel das Inklusionsleistungsgesetz. Das heißt, dass hier die Ausstattung gerade durch die Schulträger unterstützt wird. Das betrifft sowohl die Schulmaterialien als auch den gerechten Ausbau in den Schulen, wenn die Kinder mit Handicaps dort ankommen. Die Schulen haben im ersten Jahr von den bereitgestellten 25 Millionen € gerade einmal 8,6 Millionen € abgerufen. Ich nehme an, dass wird im zweiten Jahr jetzt mehr werden. Die Evaluation steht noch aus; die werden wir bald vorgelegt bekommen. Aber das ist etwas, das auch im System greift.
Wir haben in Korb II auch zusätzliche personelle Unterstützung angeboten. Es ist wichtig, dass sich hier ein Paradigmenwechsel anbahnt, wir die Unterstützungsstrukturen in der Schule haben und Eltern, die gerade mit ihren Kindern mit Behinderungen zum Beispiel auf Schulbegleitung setzen, nicht erst einen individuellen Anspruch nach SGB stellen müssen, sondern im System schon Strukturen vorfinden. Dafür haben wir einen Impuls gegeben, um das bei den Schulträgern mit zu initiieren. Da sind wir in der Frage zusammen.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Frau Kollegin Beer, Frau Kollegin Dr. Bunse ist noch nicht zufrieden und würde Ihnen gern noch eine weitere Frage stellen. Ich vermute, die Frage lassen Sie zu.
Sigrid Beer (GRÜNE): Ja.
Dr. Anette Bunse (CDU): Liebe Frau Beer, ich möchte nur klarstellen, es geht mir nicht um die Haltung der Lehrer und Lehrerinnen. Ich glaube, die wissen schon, wie sie sich verhalten müssen. Es geht mir um die Haltung der Politik im Sinne einer Wertschätzung, darüber, was Lehrer und Lehrerinnen jetzt tun. Es ist vorhin bei Frau Gebauer – glaube ich – angeklungen,
(Sigrid Beer [GRÜNE]: Von Frau Gebauer und von Frau Pieper!)
wie mit der Wertschätzung und mit der beschämenden Art und Weise, wie inzwischen Aufgaben an die Lehrer und Lehrerinnen übertragen werden, umgegangen wird. In diese Richtung habe ich diesen Ausdruck „Haltung“ angewandt. Ich glaube, in diesem Sinne kann die Landesregierung noch etwas besser werden.
Vizepräsident Dr. Gerhard Papke: Das war zwar jetzt keine Frage, aber nehmen wir es so hin.
(Dr. Anette Bunse [CDU]: Eine Richtigstellung!)
Sigrid Beer (GRÜNE): Es ging darum, ob ich die einzelnen Haltungen unterscheiden kann. Ich denke, das war zur Kenntnisnahme. Danke schön.
Natürlich geht es auch um die Haltung der Politik gegenüber den Lehrerinnen und Lehrern. Ich habe das meines Erachtens heute schon mehrfach deutlich gemacht und möchte es jetzt auf meine persönliche Situation beziehen. Es ist wahrhaftig keine Floskel, wenn wir gerade gegenüber den Schulen, die sich auf diesen Prozess jetzt ganz neu eingelassen haben, wie auch gegenüber den Schulen, die schon über 30 Jahre Erfahrungen sammeln, diese Wertschätzung auszusprechen. Ich habe das gemeinsame Lernen an einer Schule im Unterricht mit meinen Kindern, die bis zum Ende der Klasse 10 auch gemeinsam mit Kindern mit Behinderung beschult worden sind, mitaufgebaut, und zwar mit allen Höhen und Tiefen. Diese Prozesse, die da zu leisten sind, sind mir sehr wohl bekannt, Ich weiß, was darin an Leistungen enthalten ist. Das ist überhaupt keine Frage.
Aber ich habe es eben schon einmal deutlich gemacht: Es ist eine Anforderung an alle. Wir haben uns als Bundesrepublik Deutschland und Nordrhein-Westfalen damit auch verpflichtet, den Prozess der Inklusion so zu gehen und wirklich sorgfältig umzusetzen. Ich will es noch einmal sagen: Das haben wir gut vorbereitet. Wir haben die Ausbildung auf andere Füße gestellt und haben mehr Ausbildungsplätze an den Hochschulen und an Fortbildung geschaffen.
Wenn ich mir die Rückmeldungen, auch der schulinternen Fortbildung, gerade zum Thema Umgang mit Heterogenität und der Vielfalt der Kinder anschaue, dann sehe ich auch, dass das ankommt. Aber es ist und bleibt eine Herausforderung für viele, die gesagt haben: Für den Umgang mit diesen Kindern bin ich nie ausgebildet worden, und jetzt verlangt ihr mir das ab. – Ja. Da bin ich sehr bei dem Spruch von Maria Montessori: Hilf mir, es selbst zu tun. – Alle Unterstützung soll da sein, damit es weiter und stärker selbsttätig gelingt. Deswegen sage ich auch sehr klar, dass dies eine Generationenaufgabe ist. Das wird nicht morgen erledigt sein. Wir müssen diesen Prozess weiter begleiten.
Zum Schluss möchte ich noch einmal deutlich machen, dass es eben nicht übers Knie gebrochen ist. Denn seit dem Jahr 2010 ist in den Schuljahren jeweils der Anteil der Kinder mit Behinderungen im gemeinsamen Lernen in den allgemeinen Schulen von 3 % bis max. 4,6 % gestiegen. Zum letzten Schuljahr waren es 3,8 %. Das sind kleinere Schritte als wir es am Anfang erwartet haben. Deswegen haben wir die Förderschulen auch stärker noch in der Landschaft. Gerade im Bereich der Förderschule Lernen war die Tendenz vorher schon so, dass sich das Elternwahlverhalten geändert hat.
Ich denke, wir müssen diesbezüglich mit den Schulen in diesem Diskurs bleiben, das ist überhaupt keine Frage. Die Landesregierung nimmt aber ihre Verantwortung auch wahr. Wir werden darüber weiter im Ausschuss reden. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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