Sigrid Beer: „Auf welcher Grundlage sollen Schulen denn jetzt eigentlich planen?“

Haushaltsplan 2019 - Ministerium für Schule und Bildung

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir schließen heute in der Tat an die Haushaltsberatungen von gestern an. Insofern erinnere ich mich gerne an den Eiertanz, den Herr Witzel hier in Bezug auf die Frage aufgeführt hat, wann denn nun endlich die A13-Besoldungserhöhung für die Grundschullehrer und die Lehrer der Sekundarstufe I kommt. Darauf gab es leider keine substanzielle Antwort.
Einmal mehr wird man also den Verdacht hegen dürfen, dass die FDP noch viele Gründe finden wird, warum es die Höhergruppierung leider nicht jetzt geben kann.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Was haben Sie denn in der vergangenen Legislaturperiode gemacht? Gar nichts!)
Dabei wäre in einem Gesamtkonzept zur Stärkung der Grundschulen jetzt dieses Signal wichtig. Die Schulministerin hat aber offensichtlich nicht die Kraft, das durchzusetzen.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
–  Jetzt dazwischenzureden, Herr Witzel, macht Ihre Rede von gestern leider nicht ungeschehen. Das ist das Problem.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie wechseln Ihre Position nicht, sondern machen immer weiter. Schon vor der Wahl haben Sie angekündigt, dass Sie 700 Millionen Euro – auch im Bereich Bildung – aus dem Haushalt von Rot-Grün kürzen wollen. Jetzt sind Sie offensichtlich auch derjenige, der mit auf der Bremse steht, was diese wichtige Frage der Höherbesoldung angeht.
Dabei wäre das Gesamtkonzept zur Stärkung der Grundschulen jetzt als Signal wichtig. Ich frage noch einmal: Hat die Schulministerin die Kraft, das durchzusetzen, ja oder nein? Wir fragen uns das ein ums andere Mal.
In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass wir uns in einer Finanzsituation befinden, in der Sie seit dem Regierungswechsel 6,5 Milliarden Euro mehr zur Verfügung haben. Mit den entsprechenden Investitionen könnten Sie in den Schulen verantwortlich für die Menschen tätig sein, die grundlegend für die Bildungskarrieren sind. Sie könnten das in der Tat finanziell gut stemmen, wenn Sie es wollten.
Ja, Sie haben im Haushalt 2019 mehr getan als im Haushalt 2018. Das war auch dringend notwendig und ist gut. Sie steuern aber nicht sachgerecht und nicht in die richtige Richtung.
Lassen Sie mich das am Beispiel der OGS deutlich machen, Herr Kollege Rock. Mit dem Lachen ist es dann schwierig. In der Bewertung der Schritte, die wir schon unter Rot-Grün unternommen haben …
(Zuruf von Frank Rock [CDU]: Sieben Jahre!)
–  Kommen Sie jetzt nicht wieder mit den sieben Jahren. Denn Sie müssten wissen, dass wir damals nach der Regierungsübernahme in einem ersten Schritt eine Erhöhung um 14 % vorgenommen haben und dann die Dynamisierung eingeführt haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Die Erkenntnis aus all diesen Maßnahmen ist aber doch folgende: In den Kommunen wird Kompensation betrieben. Die Gelder kommen eben nicht überall gleichmäßig an. Die Kommunen sind finanziell auch unterschiedlich ausgestattet.
Das macht die Unterschiede in der Qualität der OGS auch aus. Ich habe es Ihnen vorgetragen, Sie wollen es aber offensichtlich nicht hören: Deshalb muss man in die Strukturen investieren. Deswegen ist es richtig, Personalstellen für Erzieherinnen für die OGS zu schaffen, für multiprofessionelle Fachkräfte. Das ist der Punkt.
Bündeln Sie doch bitte das, was Sie jetzt obendrauf tun – was richtig und gut ist –, und packen es in strukturverbessernde Maßnahmen, dann sind wir auf dem richtigen Weg.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Außerdem ist es ein Skandal, dass Sie die Sätze allgemein anheben und dadurch die Sätze für die Kinder mit besonderen Bedarfen im Prinzip nicht anheben und somit sogar kürzen.
(Beifall von der SPD)
Damit setzen Sie ein fatales Signal, was Ihnen diese Kinder insgesamt wert sind.
Bleiben wir bei den fatalen Signalen, die Sie setzen. Dass die Gymnasien in der Regel vom zieldifferenten Lernen ausgeschlossen sind, ist ein sträflicher Fehler. Das hat doch jetzt schon Folgen. Viele Gymnasien haben gezeigt, dass sie es können. Die Gymnasien können zieldifferent unterrichten, aber viele wollen es nicht. Das befördern Sie als Ministerin.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Ja, natürlich. Hören Sie doch die O-Töne aus Konferenzen, die sagen: Gut, dass wir das Thema jetzt nicht mehr bearbeiten müssen. Schwierige Kinder wollen wir auch gar nicht in unserer Schule haben – O-Ton aus einer Lehrerkonferenz.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Damit lassen Sie es zu, dass sich Schulen einer Schulform, in die mehr als 40 % der Kinder in Nordrhein-Westfalen gehen, in der Inklusion einen schlanken Fuß machen. Das geht so nicht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Franziska Müller-Rech [FDP]: Unverschämte Unterstellung!)
Frau Müller-Rech, Sie haben ja gleich die Gelegenheit zu reden. Dann erklären Sie mir doch bitte die Konferenzbeschlüsse von Gymnasien auf kommunaler Ebene, die sagen: Wir steigen komplett aus der zieldifferenten Inklusion aus bzw. wir werden nie damit anfangen.
(Franziska Müller-Rech [FDP]: Es geht um die Motivunterstellung!)
Bei allem begrüßenswerten Haushaltsaufwuchs sind Sie aber nicht bereit – das fand ich auch erstaunlich –,
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Lehrerstellen im Besetzungsverfahren unbürokratisch einer Kapitalisierung zu öffnen. Dann könnten die Schulen auch in schwierigen Besetzungssituationen sehr schnell schauen, dass sie multiprofessionelle Menschen an die Schule bekommen, die der Schule dann auch guttun.
Nein, Sie haben nur die Sparkasse für den Finanzminister aufgemacht. Das ist genau der Punkt. Es gibt Stellen, aber die werden nicht besetzt. Das fließt dann zurück, und dann können Sie natürlich globale Minderausgaben perfekt daraus bestreiten. Aber das hilft den Schulen nicht. Also müssten wir hier anders agieren. Das tun Sie aber nicht. Das ist eine sträfliche Vernachlässigung, und das halte ich Ihnen vor, Frau Ministerin: Sie wollen die Schulen in dieser schwierigen Situation nicht ernsthaft stärken.
(Beifall von den GRÜNEN)
In der Beantwortung meiner Kleinen Anfragen zur Formel 25 / 3 / 0,5 zur Inklusion ist deutlich geworden, wie fragil die Zusagen sind: Die Lerngruppengrößen sind letztendlich nicht verbindlich, die Zahl der Förderkinder in den einzelnen Schulen ist unklar, die Personalausstattung ist mit vielen Unwägbarkeiten verbunden. Auch gibt es die in den Inklusionskonzepten konkret geforderte Handreichung noch nicht. Aber in der Bezirksregierungen werden die Konzepte schon eingefordert – da guckt der Staatssekretär jetzt etwas erstaunt, es ist aber so –, und die Kinder werden schon zugewiesen. Das ist eine Ungleichzeitigkeit, die so nicht geht und die nicht förderlich ist. Deswegen ist da viel Unklarheit im Raum.
Sie müssen doch zugestehen, dass der Erhalt der Mini-Förderschulen überproportional viel an Lehrerstellen kostet, damit überhaupt ein Bildungsangebot vorgehalten werden kann. Das verstärkt in dieser Gesamtsituation den Mangel an Stellen bei den Schulen im gemeinsamen Lernen noch mehr.
Aber, Frau Ministerin, den Knaller haben Sie sich jetzt mit dem tiefen Eingriff in die Stundentafel zum Thema „Fach Wirtschaft“ geleistet, um Wirtschaft überall in die Poleposition zu bringen. Wir haben überhaupt keinen Dissens, dass wir eine ökonomische Grundbildung brauchen. Aber dafür müssen die Stundentafeln nicht derartig umgekrempelt werden, worauf die Schulen gerade in der jetzigen Situation wirklich noch gewartet haben. Das Fach Politik/Wirtschaft wird zu einem Fach Wirtschaft minus Politik. Ich finde, das ist schon ein entsprechendes Zeichen, das Sie hier gesetzt haben. Ich stimme ausdrücklich mit dem Kollegen Ott überein: Wir brauchen mehr politische Bildung, wir brauchen mehr Demokratiebildung in den Schulen. Das brauchen wir in dieser Zeit – und nicht, dass das Fach Wirtschaft überall vor die Klammer gezogen wird.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Jetzt wird es besonders lustig, denn in der gerade erst verschickten APO-SI-Änderung – Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Sek I – stehen all diese Maßnahmen gar nicht. Was sollen denn die Schulen davon halten? Was sollen die Verbände davon halten?
(Ministerin Yvonne Gebauer: Unfassbar!)
Das, was in der Presseerklärung gesagt worden ist, steht gar nicht in dem Entwurf drin. Das finde ich vollkommen untauglich. Auf welcher Grundlage sollen Schulen denn jetzt eigentlich planen, auch für die Stundenpläne?
Das Fach Wirtschaft soll ja schon zum Schuljahr 2019 eingeführt werden. Da geht es gleich weiter: Die Lehrkräfte sind gar nicht ausreichend vorhanden. Das ist noch so eine Nummer.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Das Fach Wirtschaft steht also nicht im Entwurf. Aber das Fach Informatik steht verbindlich für die Gymnasien in dem Entwurf. Das ist auch wieder toll, weil es die Frage aufwirft, wohin die Lehrkräfte organisiert werden. – Sie werden in Richtung Gymnasium organisiert, das ist ganz deutlich. Gymnasien sollen verpflichtend Informatik machen, Gesamtschulen dürfen es machen und bei den anderen steht es nicht auf der Stundentafel. Das nenne ich Separation nach Vorgaben der FDP.
(Ralf Witzel [FDP]: Oh!)
In einem anderen, sehr aktuellen Sachverhalt möchte ich von der Ministerin noch heute eine klare Antwort: Ist es richtig, dass die Landesregierung die Grundgesetzänderung zum Art. 104c zur Lockerung des Kooperationsverbots in der Bildung nicht im Bundesrat unterstützen will? Ist das richtig? – Erklären Sie sich bitte hier und heute dazu!
(Beifall von den GRÜNEN)
Das ist für mich ein dicker Hund. Wenn Sie für das Scheitern verantwortlich sind, bedeutet das einen Verlust von über einer Milliarde Euro für die Schulen und Schulträger.
Ich habe die Position von Wilfried Kretschmann in der Frage, die lange bekannt ist, nie geteilt und kritisiere sie auch heute.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Ich erwarte von der Landesregierung, dass diese Vereinbarung der Großen Koalition, beschlossen mit Grünen und FDP im Bundestag, umgesetzt wird. Das erwarte ich, und nicht, dass Sie sie im Bundesrat blockieren. Ich möchte Tacheles von Ihnen hören, was Sie dazu planen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Ganz zum Schluss zum Thema digitale Ausstattung: Das von mir beim Wissenschaftlichen Dienst bestellte Gutachten ist da. Professor Wrase hat es bearbeitet. Ich werde es so schnell wie möglich der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ich nenne Ihnen dazu drei Kernaussagen: Die Schulträger sind in der Ausstattungspflicht. Das Land hat dabei eine Fürsorgepflicht als Dienstherr und muss über die Schulaufsicht und gegebenenfalls über die Kommunalaufsicht dafür Sorge tragen, dass die Ausstattung stimmt. Lehrkräfte, in deren Schulen das nicht der Fall ist, können bei Ihnen – beim Land – Ersatz einklagen.
Das Gutachten sagt klar: Konnexität ist gegeben, …
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Sigrid Beer (GRÜNE): … was die Standards der Ausstattung angeht. Auch da sind Sie gefordert, und darüber werden wir hier gemeinsam reden müssen.
Wie weit dann eine Kooperation, ein Verwaltungsabkommen mit den Schulträgern, mit den KSVen gelingt, werden wir ebenfalls zum Thema machen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD) 

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