Rolf Beu: „Statt schon viel früher umzudenken und in den Erhalt von Straßen und in den ÖPNV zu investieren, wurde in immer neue Straßen investiert.“

Antrag der Piraten zum Verfall der Infrastruktur im ÖPNV

Rolf Beu (GRÜNE): Sehr geehrter Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werter Herr Bayer, völlig richtig ist, dass die ÖPNV-Zukunftskommission sehr gute Arbeit geleistet und klare Ziele und Aufgaben definiert hat. Im Ausschuss werden wir weiterhin genau beraten, wie diese Ziele erreicht werden können.
Sie haben auch recht, dass der ÖPNV aus Klimaschutzgründen erhalten, gestärkt und ausgebaut werden muss – dort, wo es wirklich Sinn macht. Nicht überall macht ein Neubau oder eine Sanierung Sinn, wenn man beispielsweise an die vielen überdimensionierten Tunnelanlagen infolge des Stadtbahnbaus in den 60er‑ und 70er‑Jahren denkt. Das Ziel muss sein, ökonomisch und ökologisch vernünftig auszubauen und zu optimieren.
Das von Ihnen angeprangerte Problem des Sanierungsstaus in der kommunalen Verkehrsinfrastruktur und den Einrichtungen des öffentlichen Nahverkehrs ist völlig unbestritten. Der Sanierungsstau ist über Jahre gewachsen und oftmals das Ergebnis der Sparmaßnahmen vieler Oberbürgermeister und vor allem vieler Stadtkämmerer, die nicht zwingend notwendige Maßnahmen gerne immer weiter schieben und genauso wie die Verkehrsunternehmen keine Rücklagen bilden. Hier steht man vor dem Problem jahrelang unterlassener Unterhaltungsmaßnahmen und fragt: Wie weiter? Dann ist es relativ einfach, immer nach dem Land als Finanzier zu schreien.
Statt schon viel früher umzudenken und in den Erhalt von Straßen und in den ÖPNV zu investieren, wurde in immer neue Straßen investiert. Deshalb stieg zeitgleich zum Straßenneubau der Sanierungsstau im gesamten Land immer mehr an. Und auch beim ÖPNV muss der Erhalt den Vorrang vor dem Neubau haben.
Wichtig ist, dass Rot-Grün in NRW dieses dringend notwendige Umdenken im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat und jetzt sogar die Bundesregierung dieses Umdenken – zumindest auf dem Papier – übernommen hat.
Die Prioritätensetzung „Erhalt statt Neubau“ muss sich in den Finanzierungswegen widerspiegeln. In den anstehenden Gesprächen der Länder mit der neuen Bundesregierung wird es auf eine für NRW gerechtere Mittelverteilung ankommen. Aber es wird auch um die Fortschreibung und die Dynamisierung der Entflechtungsmittel und der GVFG-Mittel gehen.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Beu, entschuldigen Sie, dass ich Sie jetzt auch unterbreche. Herr Kollege Schemmer würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Rolf Beu (GRÜNE): Aber gerne.
Bernhard Schemmer (CDU): Schönen Dank, Herr Beu. – Sie sprachen davon, dass Sie jetzt die Prioritäten geändert hätten. Die Koalition, die jetzt regiert, steht für Erhalt vor Neubau. Dann schaue ich mir die Ergebnisse an:
Die frühere Landesregierung hatte im Jahre 2009 – ich habe das noch einmal nachgesehen – 80 Millionen € für den Erhalt der Landesstraßen und 70 Millionen € für den Neubau ausgegeben. Das waren insgesamt 150 Millionen €. Dem stehen im Jahre 2014 90 Millionen € für den Erhalt und 42 Millionen € für den Neubau – das sind 132 Millionen € – gegenüber. Das heißt also 150 Millionen € für die Landesstraßen in 2009 und 132 Millionen € im Jahr 2014. Das bedeutet für 2014 ein Weniger von 18 Millionen €.
Ist nicht das, was auf Bundesebene passiert ist, nämlich das Zurverfügungstellen von zusätzlichen Finanzmitteln für den Straßenbau, genau das Gegenteil von dem, was Sie hier machen, nämlich die Mittel für den Straßenbau zu reduzieren?
Rolf Beu (GRÜNE): Nein, Herr Schemmer; Sie werden sich nicht wundern, dass ich die Frage nur verneinen kann. Ich habe eben das Verhältnis gesehen. Wenn ich Ihre Zahlen einfach übernehme, dann kommen Sie doch bei dem von Ihnen genannten Fall zu der Zeit, als Sie die Mehrheit hatten, zu einem Verhältnis 9:7 oder 9:8. Bei der jetzigen Regierung kommen wir zu einer Quote von 2:1 für den Erhalt gegenüber dem Neubau. Das ist natürlich völlig richtig.
Die andere Diskussion, Herr Schemmer, kann ich mir wirklich sparen – die Diskussion nach dem Motto: Schuldenbremse – und am Ende ausgeglichener Haushalt: Wann kommen wir dahin? –, wenn Sie gleichzeitig immer fordern, mehr Geld ins Verfahren zu geben. Geschieht dies, werfen Sie uns am Ende immer wieder vor, es wäre letztendlich nicht richtig gewesen. Dies kann man einfach nur immer wieder zur Kenntnis zu nehmen. Ihre eigenen Zahlen belegen, dass jetzt Erhalt vor Neubau richtig ist, was damals mit einer Quote von 50:50 nicht der Fall war. Die Zahlen, Herr Schemmer, haben Sie selber geliefert.
(Beifall von den GRÜNEN)
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Beu, bevor Sie fortfahren: Es gibt einen weiteren Wunsch, eine Zwischenfrage stellen zu dürfen, und zwar von Herrn Kollegen Bayer von den Piraten.
Rolf Beu (GRÜNE): Ja.
Oliver Bayer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Beu. – Ich schließe gleich an Herrn Schemmer an. Können Sie mir sagen, wie viel Geld, wenn es denn im Koalitionsvertrag steht, das Land momentan für Instandhaltung von ÖPNV und generell ausgibt, wenn man die durchgeleiteten Bundesmittel wie Regionalisierungs- und Entflechtungsmittel ausnimmt?
Rolf Beu (GRÜNE): Ich hatte Ihnen, Herr Bayer, gerade versucht darzulegen, dass es primär Aufgabe der jeweiligen Gebietskörperschaften, der jeweiligen Kommunen und der jeweiligen Verbünde gewesen wäre, im Laufe der Zeit Rücklagen zu bilden und ihre entsprechende Infrastruktur über die Jahre zu erhalten.
Wenn Sie beispielsweise ein Eigenheim besitzen – ich weiß nicht, ob das der Fall ist –, dann müssen Sie natürlich auch dafür Sorge tragen – und zwar desto mehr, je größer es ist –, dass es unterhalten werden kann. Sie können diese Aufgabe nicht auf die Allgemeinheit, in diesem Fall auf das Land, primär abschieben. Das ist halt so. Das heißt, die Eigenverpflichtung muss nachgewiesen werden.
Wir haben ganz bewusst eine dezentrale Struktur im öffentlichen Nahverkehr in diesem Land gewählt; andere Bundesländer haben einen anderen Weg gewählt. Dann ist es also primär Aufgabe der entsprechenden Gebietskörperschaften, dafür Sorge zu tragen, rechtzeitig entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen.
In den anstehenden Gesprächen der Länder mit der neuen Bundesregierung wird es auf eine für NRW gerechtere Mittelverteilung ankommen. Aber es wird auch um die Fortschreibung und Dynamisierung der Entflechtungsmittel und der GVFG-Mittel gehen. Denn hier hat die neue Bundesregierung ja in ihrem Koalitionsvertrag keine klaren Aussagen getroffen, aber eine Einigung mit den Bundesländern in Aussicht gestellt. Denn der Koalitionsvertrag im Bund hat zwar das Problem benannt, aber die vereinbarten zusätzlichen Mittel für den Verkehrsbereich liegen deutlich unter dem Bedarf, ermittelt durch die Daehre-Kommission, und auch unter dem Ansatz der Empfehlung der Bodewig-Kommission. In diesem Punkt stimmen wir Ihnen durchaus zu.
Es gibt auch keine klaren Aussagen zu der Verteilung der Mittel zwischen Bund, Länder, Gemeinden und Verkehrsträger. Wer enthält welche Summe? Auch da ist es natürlich nicht richtig. Gerade bei Regionalisierungs- und Entflechtungsmitteln sowie GVFG bleibt man im Ungefähren, was die Perspektiven insbesondere nach 2019 angeht. Perspektiven braucht es aber; Entscheidungen müssen noch in dieser Bundeslegislaturperiode getroffen werden, damit wir zukunftsweisend tätig werden können.
Weil da noch viele Details fehlen, kann ein Land auch nicht einfach ein Sonderprogramm zur Vorfinanzierung auflegen. Denn wir wissen noch gar nicht, was am Ende für uns in NRW zur Verfügung gestellt werden wird. Wenn diese für das Land, für die Aufgabenträger, für die Kommunen und für den ÖPNV so wichtige und entscheidende Hürde genommen ist, werden wir diese Mittel natürlich, wie bereits im Entflechtungsmittelzweckbindungsgesetz bereits beschlossen, dann an den ÖPNV und somit auch für den Erhalt weitergeben.
Die Frage einer ÖPNV-Abgabe wurde schon mehrfach von Ihnen thematisiert. Ebenso wurden die damit einhergehenden systematischen Schwierigkeiten bereits benannt. Das sollte deshalb eigentlich getrennt von der Frage des Sanierungsstaus betrachtet werden.
Ich bin gespannt auf die weiteren Beratungen im Ausschuss und würde mir dort von Ihnen eine konstruktive Mitarbeit wünschen und hoffe, dass Sie dort noch andere Ideen einbringen als die sogenannte ÖPNV-Abgabe und Ihr überall und ständig publiziertes Bürgerticket.
Denn um ein solches Ticket einzuführen, brauchen wir erst einmal die notwendige Infrastrukturausweitung. Und die scheitert in NRW nicht nur am fehlenden Geld, sondern teilweise auch am fehlenden Raum und am fehlenden Platz, der letztendlich fehlt, um das zu ermöglichen.
Aus all diesen Gründen ist es richtig, diesen Antrag in den zuständigen Ausschuss zu verweisen und dort weiter zu debattieren, wie man das von allen als wichtig anerkannte Thema gerade vor dem Hintergrund der neuen Bundesregierung wirksam im NRW-Interesse vorantreiben kann. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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