Reiner Priggen: „Wir werden Hilfe leisten. Die Erwartung, dass wir das alles ersetzen würden, ist aber unrealistisch.“

Unterrichtung der Landesregierung zu den Auswirkungen des Unwetters vom 9.6.14

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Reiner Priggen (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Orth, ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihren Beitrag; denn genau wegen der Geisteshaltung, die aus diesem Beitrag herauskam, habe ich mich veranlasst gesehen, in diesem Zusammenhang ein paar Worte zum Landeshaushalt zu sagen. Dass die Vorstellung, wir könnten den Schaden ersetzen, der in Nordrhein-Westfalen bei dem Orkan an Bäumen entstanden ist, von jemandem geäußert wird, der uns, wenn wir es denn könnten und täten, übermorgen wieder mit dem Vorwurf, nicht richtig mit dem Geld umzugehen, vor das Verfassungsgericht zerren würde, das finde ich schon abenteuerlich.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich weiß ja, dass Sie vom Klimaschutz wenig Ahnung haben und dass das für Sie immer noch ein singuläres Ereignis ist. Sie haben aber auch den Hofgarten und den Grafenberger Wald mit den durch Kyrill geschädigten Wirtschaftswäldern gleichgesetzt. Sie müssen mal ein bisschen zuhören, wenn der Minister redet. Strukturell ist das ein anderer Schaden.
Sie sollten auch klar sagen, ob Sie erwarten, dass die Landesregierung aus dem Haushalt des Landes diese Schäden – die in Düsseldorf immens sind; sie sind wirklich schlimm; wir haben uns das angesehen – erstattet. Das kann sie nicht, um das ganz klar zu sagen. Das Geld dafür haben wir nicht. Aufgrund der schwierigen Haushaltssituation können wir überhaupt nicht alles das erstatten, was jetzt angefallen ist. Wir werden Hilfe leisten; das hat das Kabinett schon beschlossen. Die Erwartung, dass wir das alles ersetzen würden, ist aber unrealistisch. Herr Dr. Orth, genau das ist der Geist, der eben bei Ihren Ausführungen durchkam. Wenn Sie eine klare Antwort haben wollen: In dem Ausmaß, in dem Sie Erstattungen fordern, kann das Land das nicht leisten. Das müssen Sie doch selber wissen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich will nicht alles wiederholen, was andere Kollegen schon gesagt haben. Es war ein Schadensereignis, wie wir es jetzt öfter erlebt haben und – das ist auch absehbar – erleben werden. Kyrill war 2007. Im Juli 2013 hatten wir ein ganz großes Sturmereignis, das Sturmtief Andreas. Damals hat es Baden-Württemberg getroffen. Es gab Schäden in Höhe von 1,9 Milliarden € in privaten Haushalten. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass so etwas immer wieder vorkommt.
Insofern stellt sich natürlich die Frage, wie wir damit umgehen – zum einen, was wir tun, um es zu reduzieren, zum anderen aber auch, wie wir in den Städten fachlich mit der Wiederbepflanzung und allem anderen umgehen. Diese Frage muss in den Städten qualifiziert diskutiert werden – wie überhaupt die gesamte Klimaanpassung in allen Bereichen besprochen werden muss. Das ist das Richtige.
Dieser Orkan hat aus meiner Sicht aber vor allen Dingen gezeigt, dass die in Nordrhein-Westfalen vorhandene Katastrophenschutzorganisation sehr gut funktioniert. Man kann es noch verbessern. Das ist richtig. Da bin ich auch bei Herrn Kufen. Man muss gucken, wo Mängel bestehen und wo wir noch besser werden können. Es war aber schon gut, am Abend des Pfingstmontags und am Dienstag zu sehen, wie die THW-Kollegen, die Feuerwehrleute, die Polizisten und viele andere aus den Kommunen tätig waren und wie sofort reagiert wurde.
Es war auch gut, auf den Nachrichtenbildern des WDR zu sehen, wie in den Tagen darauf ganze Feuerwehrkolonnen vom Niederrhein, von Ostwestfalen und auch von uns, Aachen, ins Ruhrgebiet, zum Beispiel nach Essen, fuhren, um dort bei den Aufräumarbeiten mitzuhelfen, weil die Schäden dort so erheblich waren. Das zeigte: Das funktioniert. Die Solidarität ist da. Es gibt tatsächlich eine gute Organisation.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
31.000 Einsätze und 36.000 Kräfte! Eben habe ich die Bundeswehr vergessen zu erwähnen. Neben der Feuerwehr und dem THW war auch die Bundeswehr – gerade hier in Düsseldorf – im Einsatz.
Ich will ganz klar sagen: Wir können analysieren. Wir können gucken, wie wir besser vernetzen können. Wir können auch gucken – das ist zu Recht angesprochen worden –, welche Konsequenzen wir in der Ausbildung ziehen. Wir haben einen großen Katastrophenschutzkongress durchgeführt. Wir wissen, dass wir für das Ehrenamt mobilisieren müssen. Wir wissen, dass wir auch gucken müssen, welche Teile der Bevölkerung, denen das System des THWs und des Ehrenamtes nicht so vertraut ist, wir noch ansprechen können. Da gibt es Potenziale – gerade auch bei Menschen mit Migrationshintergrund.
Alles das sind Aufgaben nach vorne. Trotzdem ist man dann, wenn man in der Fernsehberichterstattung sieht, wie diese Kolonnen unterwegs sind, auch schon ein bisschen stolz darauf, dass das System insgesamt funktioniert und man in der Lage ist, tatsächlich da Hilfe zu leisten, wo sie am dringendsten notwendig ist.
(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])
Wir haben alle gemerkt, dass die Schäden an der Infrastruktur des öffentlichen Nahverkehrs sehr massiv waren. So mussten wir feststellen, dass es mehr als eine Woche dauert, um die Hauptnahverkehrsachse zwischen Dortmund und Köln wieder zu reparieren. Am Anfang konnten Mitarbeiter nicht bei der Arbeit erscheinen, weil es einfach unmöglich war, in die Stadt hineinzukommen. Daran merken wir auch, wie verwundbar das System ist. Auch da muss man gucken, was man noch verbessern kann. Immerhin ist es aber geschafft worden, das innerhalb einer bestimmten Zeit wieder hinzukriegen.
Unser Mitgefühl gilt natürlich den Angehörigen derjenigen – das haben die Kollegen schon gesagt –, die ihr Leben verloren haben, und denjenigen, die sich verletzt haben – auch im Einsatz.
Es ist auch richtig – das hat Kollege Kufen bereits angesprochen; daran wird aber auch immer gearbeitet –, dass diejenigen, die dort im Einsatz sind, abgesichert sein müssen, wenn sie einen Schaden erleiden, wenn sie verletzt werden. Das ist eine gemeinsame Aufgabe. Dieser Aufgabe stellt man sich auch. Daran wird weiter gearbeitet.
Die Schäden sind erheblich. Die Versicherer haben Schäden in Höhe von 650 Millionen € an privaten Gebäuden und Autos in NRW, Hessen und Niedersachsen gemeldet. Es gab 250.000 Schäden an privaten Wohngebäuden und rund 100.000 Schäden an Kraftfahrzeugen in einem im Umfang von allein 250 Millionen €. Das sind schon erschreckende Zahlen.
Was die Schäden bei den Kommunen angeht, ist die Frage, ob der EU-Solidaritätsfonds hier hilft, aus meiner Sicht wahrscheinlich negativ zu beantworten, weil ein solcher Schaden bestimmte Größenordnungen erreichen muss. Nach allem, was wir jetzt wissen, haben die Schäden hier einen niedrigeren Umfang. Man kann das zwar versuchen, natürlich würde man diese Hilfe gerne in Anspruch nehmen, aber wir müssen davon ausgehen, dass das unter Umständen nicht möglich ist.
Sehr positiv finde ich auch die Beispiele von Initiativen, die in den Kommunen tätig geworden sind. Auch das ist eben schon angesprochen worden. Nicht zuletzt hier in Düsseldorf melden sich Bürger, aber auch Unternehmen, die Baumpatenschaften übernehmen wollen, um Bäume neu anzupflanzen. Das haben wir auch bei uns in Aachen erlebt. Als auf dem Aachener Lousberg, einem alten Park, die alten Alleen kaputtgegangen waren, sind wir angesprochen worden und haben Baumpatenschaften übernommen. Ich kann mich erinnern, dass wir als Familie 400 € für eine Buche gespendet haben, die mit einem Namensschild versehen worden ist und die wir uns beim Spazierengehen immer wieder angucken können. In den Kommunen ist also eine Reihe von Initiativen in Gang gesetzt worden.
Ich will auch die Initiative der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ loben, die das im Ruhrgebiet angestoßen hat. Das sind Initiativen, die dafür sorgen, dass sicherlich in vielen Städten noch Weiteres passieren wird.
Auch das von Bürgern angestoßene Aufräumen in Essen – dort haben die Privaten angefangen, mit sehr viel Eigeninitiative ihren Beitrag zu leisten, weil die örtlichen Feuerwehren gar nicht in der Lage waren, das alles in den Wohnvierteln zu räumen – verdient unsere Anerkennung und Unterstützung.
Irritiert hat mich – das habe ich auch klar angesprochen –, dass wir sehr unterschiedliche Preisnotierungen bekommen haben, was die Aufräumarbeiten und die Wiederanpflanzungen angeht. Natürlich ist alles das, was zum Wert von Bäumen in der Stadt gesagt worden ist, richtig.
Wir alle wissen, wie wertvoll gerade alte Bäume sind, wie sehr es ein Stadtbild prägt, wenn man in den Parks und in der Stadt einen schönen Baumbestand hat. Aus den ersten Erhebungen hören wir aber – so berichtet zum Beispiel die „WAZ“ am 01.07. –, dass alleine in Mülheim pro Baum 1.050 € anfallen, in Witten nur 200 €, in Gelsenkirchen zwischen 1.300 und 1.500 €, in Essen sind es 2.000 € und in Bochum bis zu 3.800 €. Das sind Zahlen, die sehr unterschiedlich ausfallen.
Ich will nicht bezweifeln, dass die Kosten im Einzelfall so hoch sind. Wenn ein großer Stadtbaum umfällt und dabei etwas kaputtmacht, muss man auch diese Schäden beheben. Hierbei geht es um Zahlen, die in 10.000er- und 20.000er-Einheiten hochgerechnet werden. In Essen stehen für Bäume insgesamt 40 Millionen € an, in Bochum sind es 50 Millionen €.
Ich finde es sehr gut, dass der Innenminister eben gesagt hat, dass nach Kriterien gesucht wird, die es nicht notwendig machen, dass wir uns damit befassen, warum der einzelne Baum in welcher Stadt wie viel kostet. Das ist nicht unsere Aufgabe.
Durch die Debatte bin ich sehr gut darüber informiert, was das Bäumepflanzen und -fräsen in den unterschiedlichsten Kommunen in Nordrhein-Westfalen kostet. Ich könnte einen Preisüberblick erstellen und eine Empfehlung geben, in welcher Kommune man am günstigsten einkauft. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, das zu machen. Insofern finde ich es gut, nachvollziehbare Kriterien zu bekommen, um dann zu sagen, welche Unterstützung wir leisten können.
Ich will einen Satz zitieren, der ein bisschen so ist wie die von Herrn Orth. Ich habe von einem Stadtbaurat in Nordrhein-Westfalen einen Brief bekommen, in dem er sich mit mir über die Frage der Wertigkeit von Grün auseinandersetzt. Er schließt seinen Brief: So gesehen möchte ich an Ihre Unterstützung in der Sache glauben und weiter auf die Zuwendung nach Schadensbilanz hoffen. Alles andere wäre unlauter.
Ich will ganz klar sagen: Genau so können wir es nicht leisten. Alle Unterstützung in der Sache und Sympathien dafür, dass das wieder aufgebaut werden muss. Aber wir können nicht nach Schadensbilanz zahlen. Es ist auch nicht unlauter zu sagen: Liebe Leute, wir müssen auch unseren Haushalt im Auge behalten. Helfen – ja. Wir definieren die Kriterien, ziehen Konsequenzen aus dem Ereignis und verbessern den Katastrophenschutz. Trotzdem müssen wir an der Stelle unsere eigenen Möglichkeiten ein Stück weit im Auge behalten.
Herr Kufen hat mich als den Yoda bezeichnet. Ich gebe zurück an den R2D2 der Kollegen der CDU: Den Haushalt werden wir beachten müssen, lieber Kollege von der CDU! Auch das gehört dazu. Sie waren mit bei den Ersten, die über die Presse veröffentlicht haben, was gewünscht wird.
Sie haben es eben zwar nicht mehr gesagt, aber gerade Ihr Ruhrgebietsvorsitzender Oliver Wittke, der immer ganz schnell ist, hat bilanziert: 500 Millionen € Schaden alleine in Essen. – Das war die Lawine, die losgetreten worden ist. Es kam eine Zahl nach der anderen.
(Armin Laschet [CDU]: Das war der Oberbürgermeister von Essen!)
– Oliver Wittke ist ja raffiniert und sagt das nicht selber, sondern sagt: Der Oberbürgermeister der Stadt Essen hat mir gesagt, es seien 500 Millionen.
Ich will nur Folgendes sagen: Es gibt einen Wettbewerb. Zahlen werden in den Raum gestellt, die immer weiter anwachsen. Dann kommt Herr Orth und sagt: Ich will wissen, ob ihr uns die Rechnung bezahlt oder nicht. – Morgen zieht er dann vor das Verfassungsgericht.
Ich fasse zusammen: Es ist sehr gut gearbeitet worden. Wir ziehen viele Konsequenzen und schauen uns alles an. Das Land hilft auch. Aber es muss Verständnis dafür herrschen, dass das Land seinen Haushalt beachten muss und deshalb in seinen Unterstützungsleistungen ein gewisses Maß halten muss. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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