Reiner Priggen: „Mit 690 Millionen Euro leistet NRW den größte Beitrag aller Länder.“

Unterrichtung der Landesregierung zur Hochwasserhilfe

Reiner Priggen (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir, bevor ich zu dem Inhaltlichen komme, einige Anmerkungen zu Herrn Lindner und Herrn Laumann.
Herr Lindner, es tut mir leid; aber wenn es um einen Wettbewerb der Komödianten geht, sind Sie allemal um Zehnerpotenzen besser als der Finanzminister.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ich will das auch begründen. Herr Lindner stellt sich hierhin und tut so, als ob auf anderen Ebenen Reserven gebildet worden wären. Er war hier in der Landesregierung fünf Jahre und auch in der Bundesregierung maßgeblich mitverantwortlich. In keinem der Jahre, in denen er Verantwortung hatte, sind Reserven gebildet worden. Vielmehr wurden Schulden aufgenommen. Jetzt stellt er es aber anders dar.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Achim Tüttenberg [SPD]: Eigentor!)
Sie irren auch bei einem zweiten Punkt: Ich stimme Ihnen zu, dass in den Bildern rüberkomme, wie die Leute anpacken und aufstehen. Ich habe aber auch Bilder von Leuten gesehen, die verzweifelt waren, weil in dieser Hochwasserkatastrophe zum zweiten Mal ihr Haus ruiniert wurde, und appelliert haben: Gebt uns das Geld; wir fangen woanders wieder neu an.
Das kann jeder nachvollziehen. Wenn ein Haus, das jemand 20 oder 30 Jahre abzahlt, innerhalb von zehn Jahren zwei Mal einen Totalschaden erleidet, kann das ein einzelner Privater nicht schaffen. Die Verzweiflung dieser Menschen habe ich sehr wohl gesehen. Wir müssen schauen, dass wir eine Antwort finden, damit sie nicht in zehn Jahren wieder an der gleichen Stelle stehen. Nun kann man nicht alles berücksichtigen. Dieser Frage sollten wir uns aber stellen. Darauf komme ich nachher noch einmal zurück.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Herr Laumann, ich habe Ihnen wie Herr Römer bei den ersten Sequenzen Ihrer Rede zugestimmt und Beifall gezollt. Das aber, was Sie zur Bundeswehr ausgeführt haben, fand ich nur noch peinlich. Sie sollten sich schämen.
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Das ist doch wahr!)
– Nein. Sie sollten sich schämen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Lutz Lienenkämper [CDU])
– Ich bleibe dabei. Sie sollten sich für diesen Beitrag ganz einfach schämen. Die Ministerpräsidentin hat sich in Ihrer Rede ausdrücklich und eingehend bei den Soldaten und Soldatinnen bedankt.
(Dietmar Brockes [FDP]: Und Sie haben das Gegenteil getan!)
Bei der Flutkatastrophe im Jahre 2002 – ich habe das jetzt nachgelesen –, also zu Zeiten der Regierung Schröder/Fischer, waren 44.000 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz. Auch da haben wir uns bei der Bundeswehr und allen anderen, die damals mitgeholfen haben, die Katastrophe zu mildern, bedankt. Das gehört sich auch. Insofern war das klar. Ihr Beitrag ist eine Entgleisung gewesen, die Sie ritualhaft begangen haben.
(Karl-Josef Laumann [CDU]: Nein!)
Sie sollten sich dafür entschuldigen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Bund und Länder haben einen Konsens gefunden, mit dem es möglich ist, zur Finanzierung der Fluthilfe 2013 das Gesamtvolumen von 8 Milliarden € zusammenzutragen. Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, hat es zusammenfassend so bewertet: „Wir haben … die Kosten einigermaßen gerecht verteilt.“ Wenn man Herrn Kretschmann kennt und weiß, wie vorsichtig er sich äußert, kann man sagen: Diese Bewertung bedeutet, dass es eine vernünftige Aufteilung ist. – Die Ministerpräsidentin hat das ebenfalls erklärt.
Es ist auch klar, dass Nordrhein-Westfalen im Verbund mit allen anderen an dieser Stelle, und zwar nicht das erste Mal, solidarisch ist. Deswegen werden wir unseren Anteil auch übernehmen.
Konkret muss NRW vom Länderanteil von 3,75 Milliarden € einen Anteil von 690 Millionen € tragen, also rund 44 Millionen € pro Jahr über 20 Jahre. Das wird unser Beitrag sein. Dabei handelt es sich um sehr viel Geld. Mit 690 Millionen € ist es der größte Beitrag aller Länder.
Es hat eine Verständigung über weitere Punkte gegeben. Auch das war nur vernünftig: sich zusammenzusetzen und über Entflechtungsmittel und den Fonds Deutsche Einheit zu sprechen.
Wie bei allen derartigen Katastrophen gilt es, als Allererstes zu retten, zu helfen, zu versuchen, die Katastrophenfolgen zu lindern. Es gilt aber auch, danach über die Einordnung der Katastrophe zu diskutieren. Eine solche Katastrophe ist nicht zum ersten Mal passiert. Wie müssen wir das bewerten? Was müssen wir mit Blick auf die Zukunft unternehmen, um – wenn es irgend möglich ist – weitere derartige Katastrophen zu verhindern?
Solche Katastrophen sind, wie gesagt, nicht zum ersten Mal passiert. Passau hat innerhalb von nur 14 Jahren sein viertes „100-jähriges Hochwasser“ erlebt: 1999, 2002, 2005 und 2013. Dabei handelt es sich dann eben nicht mehr um ein 100-jähriges Ereignis, sondern im Schnitt um ein 5-jähriges Ereignis. Man kann den Menschen nur wünschen, dass ein solches Hochwasser nicht in fünf oder in zehn Jahren wiederkommt, muss sich aber vernünftigerweise darauf einstellen, dass es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit geschehen kann.
Wir haben 1997 das Oder-Hochwasser erlebt, das Schäden – im Vergleich zu heute – von „nur“ 320 Millionen € verursacht hat. Aber auch dieses Hochwasserereignis war stark.
Am allerschlimmsten war das Elbe-Hochwasser 2002. Nicht nur waren 21 Menschenleben zu beklagen, sondern die Schäden waren noch höher als die, die bisher für das aktuelle Hochwasser angenommen werden. Am stärksten betroffen war damals Sachsen. Die Deutsche Rückversicherung gibt die Gesamtschäden für die Katastrophe im Jahre 2002 mit 11,6 Milliarden € in Deutschland an. Davon entfallen alleine 8,6 Milliarden € auf Sachsen. Die Sachsen hatten rund 80 % der Schäden zu beklagen. Auch die sind durch eine unglaubliche Solidarität aller Länder und des Bundes getragen worden.
Herr Laumann, ich habe überhaupt kein Problem damit, dass wir uns auch beim Bund bedanken. Das gehört sich an der Stelle auch. Wenn das ein gemeinsames Paket ist, kann man das machen, muss dann aber auch den Beitrag Nordrhein-Westfalens anerkennen. Auch damals, im Jahre 2002, ist es schon so gewesen, dass Nordrhein-Westfalen 581 Millionen € der gesamten Kosten getragen hat.
Sie regen sich wegen möglicher Steuererhöhungen auf. Natürlich ist damals als Lösung eine verabredete Steuersenkung nach hinten verschoben worden. Der Mechanismus, über eine zeitlich befristete steuerliche Abgabe oder über die Aufnahme von Schulden zu gehen, ist einer, über den man diskutieren kann. Es gehört dazu, dass ein Finanzminister solche Fragen diskutiert.
Wir haben als Ergebnis einen Kompromiss gefunden, den man tragen kann und der auch getragen wird. Jedenfalls ist es vernünftig gewesen, in der Debatte auszuloten, was Nordrhein-Westfalen als Beitrag leisten kann und den vernünftigerweise soweit wie möglich zu begrenzen.
Es muss aber auch über die Ursachen solcher Katastrophen geredet werden. Ich habe gerade einzelne Ereignisse angeführt. Natürlich – das können Sie doch überhaupt nicht leugnen – besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das, was uns jetzt in Form von Starkregenereignissen ereilt, Teil des Klimawandels ist. Das ist doch keine Erfindung von Grünen oder Sozialdemokraten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Auch die Bundesregierung mit Ihrer Bundeskanzlerin hat seit nunmehr bald mehr als zehn Jahren diese Erkenntnisse und thematisiert sie. Wir wissen, dass es die sogenannte 5b-Wetterlage ist, bei der über dem Mittelmeer sehr viel Wasser aufgenommen wird und die dann – über Tschechien und Polen reindrehend – im Süden Deutschlands diese Katastrophen anrichtet. Nach allem, was wir jetzt wissen, sind wir – am Rhein liegend – davon nicht so stark betroffen. Wir können nur hoffen, dass das so bleibt.
Die Wahrscheinlichkeit aber, dass das dieses Phänomen abnimmt, ist nach allem wissenschaftlichen Sachverstand – egal ob wir das Max-Planck-Institut oder das Potsdam-Institut nehmen – gering. Es besteht für uns eher die Verpflichtung, uns auf weitere mögliche Ereignisse vorzubereiten, die nicht als 500- oder 1.000-jährige Hochwässer irgendwann kommen, sondern schon in absehbarer Zeit.
Die Ministerpräsidentenkonferenz und vorher schon die der Finanzminister haben sich sehr stark darauf konzentriert, eine Lösung für das zu finden, was jetzt an finanziellen Hilfspaketen notwendig ist. Das ist genau richtig, weil die Hilfe im Bundestag und Bundesrat ganz schnell beschlossen und anschließend organisiert werden muss, damit sie dort wirksam wird, wo jetzt Hilfe gebraucht wird.
Die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich aber auch verabredet, die Grundsatzfrage, wie Flutopferprävention stärker gemacht und besser koordiniert werden kann, auf die Tagesordnung zu setzen.
Dazu gehört auch, ganz nüchtern zu analysieren: Was ist nach 2002 getan worden? – Es geht ja nicht darum, nur Geld zu geben, sondern man muss auch überprüfen: Ist ausreichend koordiniert worden, oder sind auch Fehler gemacht worden?
Vergegenwärtige ich mir, dass die Sachsen 2002 sehr viele Baumaßnahmen um Dresden herum vorgenommen und Dresden dadurch erfolgreich geschützt haben, das allerdings mit der Konsequenz, dass diesmal das Desaster in Magdeburg und in Sachsen-Anhalt eingetreten ist, kann es ja nicht Linie sein, dass sich jeder schützt, bis das Hochwasser irgendwann in Hamburg landet und Hamburg dann wiederum eventuell das Glück hat, dass keine Flut ist, sondern man das Wasser so durchlaufen lassen kann. – Das ist nicht die Lösung.
Schaut man sich an, dass die Sachsen von den für technischen Umweltschutz aufgewendeten 530 Millionen € nur 5 Millionen € für Rückhalteräume oder Flutpolder eingesetzt haben und von 49 in diesem Zusammenhang beschlossenen Vorhaben innerhalb von zwölf Jahren nur zwei umgesetzt worden sind, muss man daraus die Erkenntnis ziehen, dass es entlang der Flusssysteme eines koordinierten Eingreifens bedarf.
Bei uns gilt das schon lange als Verpflichtung. Wir könnten auch sagen: Warum sollen wir am Niederrhein noch Polder anlegen? Nach uns kommen die Niederländer. Wenn das Wasser bei uns durch ist, trifft es die.
Das machen wir deshalb nicht, weil wir solidarisch sind und es richtig ist, im Verbund der Flusssysteme nicht nur deutschland-, sondern europaweit zu denken. So, wie das im Südosten mit den Tschechen und anderen passieren muss, machen wir das gemeinsam mit den Niederländern und kommen damit unserer Verpflichtung nach.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Norbert Römer hat eben den ersten und zweiten Punkt des Entschließungsantrags angesprochen. – Ich will versuchen, noch einmal zu erklären, warum auch der zweite Punkt richtig und vernünftig ist. Über den ersten Punkt ist vielfach diskutiert worden. Dort gibt es, so denke ich, einen Konsens:
Es gibt im Rahmen der „Gemeinschaftsaufgabe Agrar- und Küstenschutz“ der Bundesregierung einen Sonderrahmenplan der Bundesregierung von Frau Merkel, der – ich zitiere – heißt: „Maßnahmen des Küstenschutzes in Folge des Klimawandels“.
Die Forderung, sich jetzt analog damit zu befassen, ob man analog einen „Maßnahmenplan zum Hochwasserschutz im Binnenland in Folge des Klimawandels“ entwickelt, ist nur die nüchterne Konsequenz aus dem, was wir an Ereignissen zwischen 1997 und 2013 erlebt haben. Das ist weder Teufelswerk noch Spinnerei. So, wie man das vernünftigerweise an den Küsten macht, müssen wir es auch im Binnenland machen, weil das eine ganz langfristige Aufgabe ist und natürlich nicht hilft, wenn wir beim ersten Mal 600 Millionen €, jetzt wieder über 600 Millionen € und in zehn Jahren erneut 600 Millionen € für Katastrophenhilfe ausgeben müssen. Sondern dann ist es vernünftig, dass sich alle damit befassen.
Es ist schade, wenn CDU und FDP nicht mitmachen. Es ist aber trotzdem nötig. Wir werden auch dem gerne zustimmen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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