Reiner Priggen: „Man darf nicht Bedingungen schaffen, die es den Akteuren unmöglich macht, ihre Pläne umzusetzen“

Aktuelle Stunde auf Antrag der CDU zur Energiewende

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Reiner Priggen (GRÜNE): Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich habe mich auf die heutige Debatte richtig gefreut. Aber das gerade war wieder einmal original Christian Lindner: Messias mit beschränkter Haftung!
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Er zitiert Gabriel: Die Energiewende ist von den Verantwortlichen unterschätzt worden! – Dann aber kommt: Die FDP wusste es schon 2012 und 2013! – Was für ein albernes Ablenkungsmanöver! Schauen wir ein bisschen in die Vergangenheit: Wer war vier Jahre lang Bundeswirtschaftsminister und Vorgänger von Sigmar Gabriel? –
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Die Herren hießen Brüderle und Rösler. Und wer hat jedes Mal, wenn von Altmaier ein vernünftiger Vorschlag kam, das Ding eine Stunde später zerschlagen? Wer hat sich wie die Kesselflicker geprügelt und nach dem Fukushima-Atomausstieg nichts mehr hinbekommen, also die Komplexität der Aufgabe vernachlässigt? – Das waren in allererster Linie die Bundeswirtschaftsminister der FDP, die federführend zuständig waren. Das muss man ganz klar feststellen.
Eines muss man anerkennen: Der Bundeswirtschaftsminister hat für die Debatte, die wir jetzt führen und die nur ein ganz kleiner Teil der notwendigen Debatte ist, die Eckpunkte schnell geliefert. Über diese Eckpunkte können wir streiten. Es gibt Details, über die zu streiten ist.
Aber dass sie jetzt auf dem Tisch liegen, während sie vorher jahrelang nicht auf den Tisch gekommen sind und keine Diskussionsgrundlage da gewesen ist, muss man anerkennen, weil die Aufgabe jetzt tatsächlich drängt, weil nämlich von denen, die investieren wollen – ob in konventionelle oder moderne Gaskraftwerke oder in erneuerbare Energien –, jetzt niemand mehr weiß, woran er ist. Sogar diejenigen, die vier oder fünf Jahre lang an einer Investitionen gearbeitet haben und die wir gemeinsam motiviert haben, tätig zu werden, stehen jetzt praktisch vor dem Aus. Sie wissen, dass sie unter Umständen viel Geld umsonst investiert haben. An der Stelle ist Vertrauensschutz notwendig.
Lieber Kollege Kufen, das war Mickey-Mouse-Kino und nicht im Ansatz das, was notwendig ist und worauf viele Leute warten, die auch Ihnen nahestehen. Sie hätten lieber Herrn Hovenjürgen oder Herrn Fehring reden lassen, die genau wissen, was an dieser Stelle und in solchen Momenten die umtreibt, die über Jahre geplant haben.
CDU und SPD haben auf Bundesebene eine Vereinbarung getroffen. Die Eckpunkte sind wesentlich detaillierter. Das will ich jetzt aufzeigen und gerne auch Ihnen, Herr Kollege Laschet, sagen.
(Der Abgeordnete hält ein Schriftstück hoch.)
– Das ist – die SPD-Leute müssen jetzt tapfer sein – eine Koalitionsvereinbarung, in der steht: „Koalitionsvereinbarung von CDU und GRÜNEN im Rat der Stadt Aachen“.
(Heiterkeit von der SPD)
Ich war bei der Unterzeichnung dabei. Armin Laschet hat sie ebenfalls unterschrieben. Dort steht: Zwischenziel Städteregion Aachen: Bis 2030 75 % erneuerbare Energien.
Ich habe unseren Thomas Griese gefragt: Wieso setzt ihr euch so ein hohes Ziel? – Daraufhin hat er gesagt: Das war das Wahlprogramm der CDU. Wir als Grüne konnten doch nicht weniger verlangen.
(Heiterkeit und Beifall von den GRÜNEN)
Lieber Armin Laschet, ich will ganz konkret werden, weil dann deutlich wird, warum wir an den Eckpunkten arbeiten müssen: Unsere Stadtwerke Aachen haben, nachdem im Land – Wittke ist zitiert worden – 5 Jahre lang eine Blockade geherrscht hat, im Vertrauen auf das, was wir vereinbart haben, angefangen zu investieren. Unsere Stadtwerke Aachen sagen uns jetzt: 240 Millionen €, die dieses Jahr verbaut werden könnten und woran wir vier Jahre lang gearbeitet haben, stehen auf der Kippe, wenn die Eckpunkte umgesetzt werden.
In den Eckpunkten stehen nämlich Sachen, die nicht Gegenstand der Verhandlungen waren. Wer schreibt, am 22. Januar müsse die Genehmigung vorliegen, der weiß eigentlich genau, dass das nicht machbar ist. Wir können gegenüber den Akteuren nicht so kurzfristig handeln. Das, was im Kreis Aachen die 240 Millionen € sind, sind im Kreis Steinfurt rund 400 Millionen €.
Das heißt, wenn man mit denjenigen fair umgeht, die so einen Vorlauf in Kauf nehmen und auch wissen, dass die Vergütungen in Zukunft sinken werden und auch nach unten angepasst werden müssen, dann sage ich als Grüner nicht Nein. Das ist völlig klar. Dann muss man diesen Vertrauensschutz aber auch gewährleisten.
Josef Hovenjürgen weiß das ganz genau, Hubertus Fehring weiß das auch. Hubertus, wir haben euch im Raum Höxter besucht. Ihr macht das genauso. Wir haben alle Kommunen, alle Stadtwerke aufgefordert, tätig zu werden, und mit denen müssen wir sorgfältig umgehen.
Ich will an der Stelle weiter fachlich argumentieren. Man kann mit einem atmenden Deckel die Fotovoltaik eingrenzen.
(Zuruf: Was ist das?)
– Atmender Deckel bedeutet, dass die Leistung, die pro Jahr gewährt wird, limitiert wird. Das kann man bei PV machen. Denn wenn sich jemand entscheidet, eine PV-Anlage zu betreiben, dann bestellt er diese Anlage, und dann wird diese sechs Wochen später auf seinem Dach installiert; wenn es eine größere Anlage ist, dauert es drei Monate.
Bei Windkraftanlagen – das wissen wir alle aus den Kommunen – dauert der Vorlauf aber vier Jahre; beispielsweise müssen über eine Vegetationsperiode Risiken und Schäden für die Natur beobachtet werden. Außerdem sind Planungsvorläufe und kommunale Mehrheiten nötig. Schließlich wollen wir die kommunale Autonomie an der Stelle nicht antasten, und diese entscheidet, ob sie Standorte ausweist. Insofern sind mehrere Jahre Vorlauf nötig, und daher kann man auch nicht mit einem atmenden Deckel operieren. Josef, du weißt das ganz genau, schließlich bist du bei dir in der Gegend tätig.
Also, wenn das Grundziel darin besteht – und dieses Ziel hat die Große Koalition –, die Erneuerbaren weiter auszubauen – jetzt könnte ich als Grüner wieder 5 % mehr fordern –, dann darf man nicht gleichzeitig Bedingungen schaffen, die es handelnden Akteuren unmöglich machen, ihre Pläne umzusetzen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Keine landwirtschaftliche Genossenschaft, kein Bürgerwindpark kann über vier Jahre im Vorlauf planen, mehrere Hunderttausend Euro in die Hand nehmen und Fachprüfungen machen, wenn dann mit einem atmenden Deckel argumentiert und gesagt wird, dass nicht sicher ist, was sie in vier Jahren bekommt. Dann findet man auch keine Bank, die sich an einer Finanzierung beteiligt. Insofern sind das ganz konkrete Punkte, die – das akzeptiere ich – nicht Gegenstand der Koalitionsverhandlungen waren, die nicht in den Eckpunkten stehen und bei denen wir daher nachbessern und nachverhandeln müssen.
Darüber hinaus wissen wir alle: Ein Koalitionsvertrag ist das eine, die konkrete Ausgestaltung ist das andere. Dass wir bestimmte Punkte etwas anders sehen oder etwas stärker in den Blick nehmen als unser Koalitionspartner, ist völlig nachvollziehbar. Mir wäre es ja lieb, wenn Sie beide ganz konkret bezüglich der jeweiligen Punkte argumentieren würden. Dann könnten wir darüber streiten. So müssen wir es regeln. Wir haben es in Nordrhein-Westfalen geregelt und die Blockade aufgebrochen.
Ich bin zuversichtlich – jedenfalls noch jetzt; denn ich weiß, dass unsere Ziele im Koalitionsvertrag klar beschrieben sind –, dass wir es auch im Diskurs mit Berlin schaffen werden, dafür zu sorgen, dass die Entwicklung hier in Nordrhein-Westfalen nicht abgebrochen, sondern weitergeführt wird. Das wird unsere Arbeit sein, und wir werden genauso weiterarbeiten wie bisher.
Deshalb kann ich sagen: Die Koalitionsvereinbarung in Berlin ist die Grundlage. Die Eckpunkte sind vorgelegt. Es gibt viel größere Probleme, die vor uns liegen; beispielsweise die Marktgestaltung und den Punkt, Speicher in den Markt bringen. Aber nach vier Jahren der Agonie ist das wenigstens ein Schritt nach vorne, über den man diskutieren kann. Der Rest obliegt unserer Arbeit hier in Nordrhein-Westfalen, und ich bin ganz zuversichtlich, dass wir da noch etwas hinbekommen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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