Reiner Priggen: „Es gibt keine Lücke bei der Stromversorgung. Das ist völliger Unfug!“

FDP-Antrag auf Aktuelle Stunde zur Energiepolitik

Reiner Priggen (GRÜNE): Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Als ich die beiden Anträge von CDU und FDP gelesen habe, habe ich mich auf die heutige Debatte gefreut. Denn damit kommt ein Thema auf die Tagesordnung, mit dem wir uns in der Tat qualifiziert und viel länger beschäftigen müssen. Es geht um das zukünftige Strommarktdesign. Es geht um die Frage von Kapazitätsmärkten. Das ist das Entscheidende.
Wenn ich mir den Antrag der FDP auf eine Aktuelle Stunde angucke, dann finde ich dort zwei Punkte, die wie so oft völlig falsch und in der Sache nicht zutreffend sind. Ihr erster Satz lautet, dass Nordrhein-Westfalen eine erhebliche Lücke bei der Stromversorgung droht. Das ist völliger Unfug.
Weiter schreiben Sie:
„Aufgrund mangelnder Rentabilitätsaussichten stehen momentan keine Investitionen in konventionelle Kraftwerke in Aussicht.“
Sie haben einfach keine Ahnung, und Sie sind auch nicht im Land unterwegs.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Kollege Brockes, wir beide machen zwölf Jahre Energiepolitik im Landtag. So etwas von Ahnungslosigkeit habe ich aber noch nicht gesehen. Sie müssen doch nur 1.000 Meter weiter gehen.
(Ministerpräsidentin Hannelore Kraft: Genau!)
Da wird von den Stadtwerken Düsseldorf eines der modernsten Gaskraftwerke der Welt geplant und gebaut. Die Turbine ist bei Siemens bestellt. Dort hat man sich umentschieden. Das wollen Sie aber nicht kapieren. Was wir brauchen, sind Kraftwerke, die heute ein anderes technisches Design haben als früher. Ein altes, langsames Kraftwerk kann mit den neuen technischen Herausforderungen nicht vernünftig umgehen. Deswegen hat man sich in Düsseldorf umentschieden. Dieses Kraftwerk, das dort mit einer hohen Wärmeauskopplung gebaut wird, gehört genau zu den Kraftwerkstypen, die Chancen haben.
In Hürth wird eines gebaut, auch die RheinEnergie in Köln hat einen Doppelblock beschlossen, und auch in Krefeld laufen die Planungen für einen Doppelblock. Es gibt also eine ganze Reihe von Investitionsplanungen, die zurzeit laufen. Auch RWE hat kürzlich verkündet, dass Planungen für ein neues Gaskraftwerk laufen. Allerdings sagt RWE ehrlicherweise dazu, dass die Letztentscheidung darüber, ob es gebaut wird oder nicht, davon abhängt, wie sich der Markt entwickelt. RWE weiß aber, dass nur dieser Kraftwerkstyp in Zukunft eine Chance haben wird, und deshalb plant RWE in diese Richtung. Das Gegenteil steht allerdings in Ihrem Antrag, und das zeigt, dass Sie keine Ahnung haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Aber, Kollege Brockes, zum Schluss steht dort ein Satz, der nicht von Ihnen kommen kann, der allerdings – Sie müssen einen guten wissenschaftlichen Mitarbeiter haben – richtig ist:
„Es besteht dringender Handlungsbedarf und die Notwendigkeit, das Strommarktdesign grundlegend zu überarbeiten, um den neuen Rahmenbedingungen gerecht zu werden.“
Das genau ist die Aufgabe, der ganz entscheidende Punkt.
Nur verstehe ich vor dem Hintergrund nicht, wieso Sie, die Fraktionen von CDU und FDP, das ausblenden.
(Widerspruch von Dietmar Brockes [FDP])
Sie sind Teil der Bundesregierung. Wenn irgendjemand die Aufgabe hat, dieses Design zu diskutieren und Vorschläge zu machen, dann ist das die Bundesregierung und Ihr Wirtschaftsminister. Da aber zeigt sich krachendes Versagen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Doch immerhin steht ja ein vernünftiger Satz in Ihrem Antrag.
Jetzt komme ich zum CDU-Eilantrag. – Lieber Herr Kufen, ich habe Sie als jemanden erlebt, der in seinem alten Themenbereich Kompetenz hatte und da sehr gut war. Jetzt arbeiten Sie sich in ein neues Gebiet ein. Mit diesem Eilantrag der christdemokratischen Fraktion liefern Sie eine energiepolitische Insolvenzerklärung ab. Legen Sie so etwas nie wieder vor!
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich sage Ihnen, warum. Wir reden über Strommarktdesign und Kapazitätsmärkte. Wir reden über die technisch und politisch schwierig zu lösende Frage, wie Märkte zukünftig aussehen werden – und das vor dem Hintergrund, den Ihre Bundeskanzlerin in der Großen Koalition und in der jetzigen Regierung seit Jahren als energiepolitische Linie vorgibt.
Und Sie kommen hier mit der Forderung: Erstens. Die Landesregierung wird aufgefordert, das Gutachten öffentlich zu machen. – Dazu sage ich Ihnen: Ich habe hier mit Frau Thoben jahrelang gestritten. Sie hat beim Wuppertal Institut eine Studie über KWK-Potenziale in Auftrag gegeben. Selbstverständlich – das wissen Sie genau – gibt eine Regierung – wie auch die Fraktionen – Studien und Untersuchungen in Auftrag. Anschließend wertet man die aus. Dann entscheidet die Regierung, ob und wie sie sie öffentlich macht. Wir als Parlamentarier wollen sie haben. Das ist völlig in Ordnung.
Es gibt aber ein Verfahren, bis eine solche Studie fertig ist. Sie wissen genau, dass die Regierung die Studie zunächst auswertet und dann weitergibt. Das ist normaler Verlauf. Das, was Sie tun, ist billig. Das ist aber nicht das Schlimmste. Das Schlimmste kommt in Punkt 2 Ihres Beschlussvorschlages:
„Die Landesregierung wird aufgefordert, sich klar und deutlich zum Kraftwerkserneuerungsprogramm zu bekennen …“
Das ist die Politik, die Sie machen. Die entscheidenden Punkte werden im Bund geregelt. Hier waren Sie fünf Jahre in der Verantwortung. Sie fordern „Bekenntnisse“.
Wie sieht denn die Situation real aus? Wir alle, die wir mit Kraftwerksunternehmen sprechen – ob RWE, E.ON oder die Stadtwerke –, wissen es doch; wir haben in der Landschaft seit 2007 Diskussionen geführt.
Dazu habe ich mir noch einmal das Protokoll der interessanten Plenardebatte vom 16. Oktober 2007 durchgelesen. Schon damals haben wir Grüne gesagt: Wenn es so weit kommt, dass die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung – damals war das noch eine Große Koalition – umgesetzt werden, wird der Strommarkt für Kraftwerke, die jetzt in der Grundlast laufen, enger. – So ist das.
Diejenigen, die 2007 auf Ihre politische Linie hin gebaut haben, sind diejenigen, die uns heute sagen: Leute, wir bauen Kraftwerke, von denen wir wissen, dass sie ans Netz gehen und 40 Jahre lang laufen müssen. Aber diese Kraftwerke werden die Investitionen nicht mehr erwirtschaften. – Und das, weil Sie sie in eine Lücke hineingeschickt haben! Sie wussten, dass es nicht genügend Betriebsstunden geben wird.
(Beifall von den GRÜNEN – Widerspruch von Thomas Kufen [CDU])
– Herr Kufen, das nützt nichts. Ich bin 2007 in Hamm und andernorts gewesen. Wir haben diskutiert und um Lösungen gerungen. Jetzt lese ich folgende Zeitungsmeldung: Dortmunder Stadtwerke bauen 70 Stellen ab, weil die Beteiligung am RWE-Kraftwerk in Hamm jedes Jahr 14 Millionen bis 16 Millionen € Verluste bringt. – Das ist eine nüchterne Erkenntnis.
Sie als CDU haben von 30 % Erneuerbaren, 25 % KWK gesprochen, Herr Weisbrich von 18 % Stromeinsparung. Das war mehr als im Bund. Wenn ich dieses Ziel 2020 erreicht habe, wird der Rest für Kraftwerke, die in der Grundlast laufen, geringer.
Die Firmen reagieren doch alle. Was meinen Sie denn, warum die Stadtwerke hier und auch Trianel in Krefeld so handeln? Wir haben uns ja lange um das Kohlekraftwerk in Uerdingen gestritten. Jetzt planen die einen Doppelblock Gas, weil man damit wesentlich schneller über Wärmeauskopplung in den Markt gehen und vernünftig arbeiten kann.
(Widerspruch von Thomas Kufen [CDU])
– Herr Kufen, das ist die Grundlage. Sie müssen sich bei einem neuen Thema schon die Mühe machen und mit RWE und den Stadtwerken reden.
Ihr Parteivorsitzender, Herr Kollege Laschet, und Herr Lindner fordern draußen ein Quotenmodell für Windkraft. Darauf sagen Trianel und RWE: Was macht Ihr denn? Wir haben bei Borkum eine Investition von 850 Millionen € geplant, von denen 350 Millionen € gefertigt sind! Wenn Ihr in eurem Dilettantismus in Berlin ein Quotenmodell macht, sind 300 Millionen € versenkt. – Das ist Ihre faktische politische Antwort. Sie versagen an der Stelle!
(Beifall von den GRÜNEN – Widerspruch von Thomas Kufen [CDU])
– Herr Kufen, winken Sie nicht ab. Wir haben nach Fukushima im Konsens über alle damaligen Fraktionsgrenzen hinweg – die Piraten waren noch nicht dabei – den Atomausstieg beschlossen. Dann ist die nüchterne sachliche Konsequenz, dass ich die weiteren Schritte gerade beim Umbau der Energiepolitik in einem größeren Konsens gehe und breiter zusammenarbeite.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege.
Reiner Priggen (GRÜNE): Sie versagen bei allem. Beim Netzausbau bekommen Sie noch nicht einmal mehr 3.000 km hin. Und Sie liefern nicht den Masterplan Energie, der notwendig wäre.
(Thomas Kufen [CDU]: Wir?)
– Ja, wer stellt denn die Bundesregierung? Ich bitte Sie!
Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit.
Reiner Priggen (GRÜNE): Hoffentlich nicht mehr lange! Das ist – entschuldigen Sie – ja der stärkste Grund zu sagen: So dilettantisch, wie Sie den Netzausbau und dieses Kraftwerksverbotsprogramm betreiben, darf keine Bundesregierung mit diesem Thema umgehen.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Priggen.
Reiner Priggen (GRÜNE): Entschuldigung, Frau Präsidentin! – Dass sich diese Landesregierung sachkundig macht, ist etwas, was sie machen muss. Deswegen finde ich den Beitrag, den die Regierung dazu leistet und uns dann auch liefern wird, nur vernünftig. Das, was Sie gemacht haben, war wirklich eine Insolvenzerklärung energiepolitischer Art.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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