Reiner Priggen: „Als BürgerInnen gehören heute alle Menschen zu NRW, ganz gleich ob sie glauben oder nicht glauben, ob sie Juden, Muslime oder Christen sind, einer anderen Religion angehören oder eine andere Weltanschauung vertreten.“

Gemeinsame Resolution aller Fraktionen

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Reiner Priggen (GRÜNE): Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich als Erstes bei den anderen vier Fraktionen und meiner eigenen, also bei allen fünf Fraktionen, bedanken. Das ist hier der Ort, an dem wir normalerweise in einem harten politischen Wettbewerb unterschiedliche Vorstellungen vortragen. Das werden wir sicherlich im weiteren Verlauf des Tages, morgen und übermorgen auch machen. Aber es war völlig klar zwischen den Fraktionen, dass wir in diesem ersten Punkt anders vorgehen wollen.
Ich habe viele Anträge erlebt – meinen Respekt für alle –, aber der Antrag, den wir nachher wohl gemeinsam beschließen werden, ist ein sehr guter Antrag, bietet eine gute Grundlage und drückt aus, was wir vor dem Hintergrund der Ereignisse in Frankreich und der folgenden Tage zusammen denken.
(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)
Kollege Lienenkämper hat gesagt, das ist der Aspekt der Solidarität mit dem französischen Volk. Ich will noch eines hinzufügen, was mir ganz wichtig ist: Es ist auch ein Signal an die Menschen in unserem Land, dass wir fünf Fraktionen bei allem Wettbewerb, den wir haben, der in der Sache auch hart sein kann, es so sehen, dass in unserem Land, in dem Menschen aller Regionen, unterschiedlichster Hautfarben, unterschiedlichster Herkunft leben, ein Herabsetzen, ein Angreifen, ein Diskriminieren, ein Verächtlichmachen nicht geduldet wird. Dagegen stehen wir auf.
(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)
Wenn man an das denkt, was in Frankreich geschehen ist, dann sind wir immer noch fassungslos. Menschen sind ermordet worden, weil sie ihr Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch nahmen. Man muss sich vorstellen: eine Redaktion während ihrer Arbeitskonferenz. Sie sind ermordet worden, weil sie als Polizist auf der Straße ihren Dienst taten. Sie sind ermordet worden, weil sie in einem koscheren jüdischen Lebensmittelgeschäft einkaufen wollten. Das ist unvorstellbar.
Wir trauen mit den Angehörigen der Opfer. Wir sind erschüttert über die Kaltblütigkeit und Brutalität der Täter, über das Ausmaß an Gefühllosigkeit.
Unter den Opfern waren Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“, einige der berühmtesten Satiriker Frankreichs, weit über ihr Land hinaus bekannt, Teil einer Kultur, die mit radikaler Offenheit die Unzulänglichkeiten der Gesellschaft aufspießt. Weder Politiker noch Parteien, Kirchen, Religionen wurden ausgespart von ihrer Kritik, die in einem wahrhaft Voltairschen Geist vor nichts und niemandem Angst hatte. Genau diese Einstellung ist es, die der Satire ihre Glaubwürdigkeit verdankt als eine Kunst, die sich nicht funktionalisieren lässt, die mit scharfer Feder ohne Ansehen der Person falschen Schein und Eitelkeit entlarvt und die mit Witz, Spott und Ironie durchaus auch überzeichnet, um klar zu machen, worum es ihr geht. Auf einen solchen Geist können wir in der offenen Gesellschaft nicht verzichten. Er zeigt uns, wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderfallen und wo Verhältnisse verknöchern und versteinern.
Wir sind solidarisch mit Journalistinnen und Journalisten, Künstlerinnen und Künstlern in aller Welt, die mit einem großen persönlichen Einsatz einen solch kritischen Geist wachhalten und sich gegen Ungerechtigkeit, Engstirnigkeit und Intoleranz engagieren. Ein Angriff auf die Freiheit von Presse und Kunst ist ein Angriff auf uns alle.
(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)
Wir setzen darauf, die gesetzlichen Möglichkeiten der Gefahrenabwehr auszuschöpfen, aber wir wissen auch: In einer offenen Gesellschaft kann es einen 100%igen Schutz nicht geben, weil Freiheit, totale Überwachung und Kontrolle nicht zusammengehen.
(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)
Gabor Steingart hat es in einem bemerkenswerten Kommentar im „Handelsblatt“ klar benannt und gleichzeitig dazu aufgerufen, keine publizistische Verzagtheit aufkommen zu lassen. Er hat gesagt:
„Es gibt für die Pressefreiheit nur ein Garantieren durch Praktizieren.“
Dem schließen wir uns an.
(Beifall von den GRÜNEN und Holger Ellerbrock [FDP])
Er hat aber noch auf eine zweite Gefahr für die Freiheit hingewiesen. Er hat die Lust der Extreme aller Länder benannt, die Lust am Zurückschlagen. Ich zitiere in diesem Zusammenhang noch einmal Gabor Steingart:
„Man könnte meinen, Pegida, Front National und die Salafisten arbeiten in derselben Munitionsfabrik. Ihr Ziel: Der religiöse Kulturkampf, ein Reimport aus dem Mittelalter, soll auf den Marktplätzen des 21. Jahrhunderts ausgetragen werden.“
Die Gefahr, die er hier beschreibt, ist real. Wir haben es mit zwei Extremen zu tun, die sich im Kampf gegeneinander die Bälle zuspielen, um eine Konfliktlogik nach der Art sich selbst erfüllender Prophezeiung in Gang zu bringen.
Aber – und das ist das Erfreuliche der letzten Tage bei uns in Deutschland und auch in Frankreich – die große Mehrheit unserer Gesellschaft will diesen Streit nicht. Bei den vielen Zehntausend Menschen, die in den vergangenen Tagen auf die Straße gegangen sind und sich engagiert haben, handelt es sich um Menschen, die die Straßen und Plätze nicht freigeben für dumpfe, völkische Ressentiments. Es sind Menschen, die die Straße nicht freigeben für das Schüren von Islamophobie. Sie wollen ein friedliches und gedeihliches Zusammenleben der Kulturen und Religionen.
Deswegen ist es so wichtig, dass wir in der Mehrheitsgesellschaft in dieser Frage eng zusammenstehen. Zivilgesellschaftliche Initiativen, Parteien, Unternehmen, Gewerkschaften, Verbände und vor allem auch die verschiedenen Konfessionen, Kirchen, Gemeinden und Religionsverbände – sie alle, wir alle müssen ein Zeichen dafür setzen, dass keine vom Krieg der Kulturen und Religionen gespaltene Gesellschaft von uns gewollt wird. Wenn wir diese Spaltung zulassen, haben die Kultur- und Religionskämpfer schon gesiegt.
Unser Land Nordrhein-Westfalen – Herr Kollege Römer hat das bereits gesagt, und ich kann es nur bestätigen – ist seit weit mehr als 100 Jahren Einwanderungs- und Integrationsland. Wir haben eine lange Geschichte. Diese Einwanderung hat unser Land stark und erfolgreich gemacht, und sie bereichert uns noch immer.
Unsere Bürgerinnen und Bürger gehören alle zu Nordrhein-Westfalen, ob sie glauben oder nicht glauben, ob sie Juden, Muslime oder Christen sind, irgendeiner anderen Religion angehören oder eine andere Weltanschauung vertreten. Hier in unserem Land hat jeder Mensch das Recht, friedlich seine Religion zu leben. Niemand hat das Recht, einen Menschen auf seine Religion zu reduzieren, und niemand muss sich für seine Religion rechtfertigen. Das ist unsere gemeinsame Grundüberzeugung.
(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)
Alle Fraktionen haben festgestellt – und das ist mir wichtig –: Es ist keine Religion, die unsere Freiheit bedroht, es ist der Fanatismus, und es ist die Angst, die unser Zusammenleben vergiften soll. Deswegen ist es wichtig, dass heute alle demokratischen Fraktionen und Parteien aus diesem Parlament ein gemeinsames Signal senden. Deswegen ist es richtig, dass wir den Antrag zusammen beschließen.
Nordrhein-Westfalen steht für Demokratie und Vielfalt über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall von allen Fraktionen und der Regierungsbank)