Oliver Keymis: “ Ich glaube, dass wir bei der Betrachtung von Medienpolitik ein breiteres Sichtspektrum brauchen als nur eines auf das Internet bezogene.“

Gesetz zur Änderung des Landesmediengesetzes

###NEWS_VIDEO_1###
Oliver Keymis (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Prof. Dr. Dr. Sternberg, das Wort „huldvoll“ ist Ihnen in Ihrer Rede mindestens zweimal untergekommen. Das Wort „huldvoll“ erinnert mich allerdings an eine Zeit und an ein Staatsverständnis, mit dem das, was wir hier zu diskutieren haben, überhaupt nichts zu tun hat.
(Thomas Nückel [FDP]: Oh doch!)
Wer etwas anderes meint, der muss sich, glaube ich, auch mal fragen lassen, was eigentlich sein Staatsverständnis ist. Er müsste sich auch mal fragen, wie die Novellen aussahen, die 2007 und 2009 von der damaligen Landesregierung auf den Weg gebracht wurden. Ich habe das Gefühl: Auch damals wurde einiges reguliert. Ich erinnere mich daran, dass auch damals vieles in ein sehr kompliziertes Gesetz gegossen wurde, von dem die meisten – das zeigt auch das besondere Interesse heute hier im Saale – doch eher Abstand halten, weil es ein Spezialthema ist, Medienpolitik zu gestalten.
Medienpolitik in Gesetzesform zu gestalten, ist ein besonderes Spezialthema. Deshalb glaube ich, dass man mit den pauschalierten Vorwürfen, die Sie hier aus diesem Thema zu schlagen versuchen, nicht weiterkommt. Sie sagen, da herrsche ein Staatsverständnis vor, dass huldvoll Geld verteilen wolle. Sie sagen, hier gehe es darum, dass kein staatsferner Journalismus mehr möglich sei, sondern staatlich gelenkter Journalismus möglich sei.
Ich frage mich im Ernst: Was für ein Staatsverständnis haben Sie eigentlich? Welcher Staat ist das, vor dem Sie solche Angst haben? Das macht mir wirklich Sorge, Herr Kollege Sternberg. Und um die, die dazu „Oh ja!“ schreien, mache ich mir auch gleich Sorgen. Ich finde, dass wir in einem ausgesprochen gut geregelten, demokratisch legitimierten, sich insgesamt seiner verantwortungsvollen Rolle bewussten Staat leben, der den Bürgerinnen und Bürgern sehr viele Freiheiten, sehr viele Möglichkeiten bietet. Es ist eben kein Staat, vor dem man Angst haben muss, so wie Sie das hier deutlich machen. Ich bin etwas verwundert darüber.
Da Sie die ganze Zeit Ihr Staatsverständnis ansprechen, stelle ich meines jetzt einfach dagegen.
Ich lebe gerne in diesem Staat. Ich bin froh, dass er vieles reguliert. Auch ich bin über manche Regulierung nicht glücklich. Ich finde auch, dass manches zu reguliert ist. Aber das sind Fragen, die wir im Einzelfall diskutieren können.
Hier sprechen wir über einen Gesetzentwurf zur Änderung des Landesmediengesetzes; ich nenne mal die Kurzform; der schöne Titel ist von Frau Ministerin und anderen Vorrednern schon mehrfach zitiert worden. Dieser Entwurf ist, wie ich finde, sehr wohl zeitgerecht und sehr wohl auf die digitale Welt angepasst. Das war schließlich der Sinn der Übung, sofern ich es richtig verstanden habe: dass sich die Regierung diese Novellierung vorgenommen hat, nachdem wir als Koalitionsfraktionen, SPD und Grüne, sie in unseren Koalitionsvertrag als Aufgabe hineingeschrieben haben. Wir haben gesagt, dass wir das wollen, und die Regierung aufgefordert, einen solchen Entwurf vorzulegen.
Deshalb darf ich an dieser Stelle ausdrücklich all denen danken, die dieses getan haben. Das ist zuvörderst natürlich die zuständige Ministerin, aber das sind auch der Staatssekretär, Herr Dr. Eumann, und sein Team sowie das Team der Staatskanzlei, die sich mit diesen Fragen intensiv befasst haben und uns heute diesen Entwurf vorlegen. Nochmals: Danke!
Es ist heute unsere Aufgabe als Parlament, liebe Kolleginnen und Kollegen, diesen Entwurf intensiv zu beraten. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, dass wir uns jetzt gegenseitig vorhalten, wer welches Staatsverständnis hat. Vielmehr müssen wir uns um die Details kümmern.
Und die Details sind interessant. Ich finde es zum Beispiel falsch, Herr Kollege Sternberg, davon zu sprechen, dass das Bürgerradio eine völlig veraltete Form ist. Es gibt ganz viele Leute, die immer noch gerne in sogenannten Radiowerkstätten arbeiten und dieses Format – Sie haben das in Ihre eigene Novelle hineingeschrieben – auch an die Schulen herantragen.
Dort wird Radio auf die althergebrachte Art gemacht: Man recherchiert ein Thema, man geht mit dem Mikrofon herum, man sammelt Meinungen und Stimmungen ein und macht daraus Berichte, die man dann senden will.
Wir sollten nicht glauben – das ist eben nicht so; dies ist der große Irrtum im Umgang mit dem Internet –, Herr Sternberg, dass das, was wir ins Internet setzen, in dem Augenblick allgemein bekannt wird. Das ist nicht so. Das Internet ist nach wie vor ein Abrufmedium. Sie müssen draufklicken, um das zu hören, zu sehen oder abzurufen, was Sie wollen. Das ist der Unterschied zu einem Radio: Wenn Sie das einschalten, bekommen Sie etwas gesendet. Das Verhältnis von Sender zu Empfänger ist ein völlig anderes als das zwischen Internetnutzern und Leuten, die etwas ins Internet einstellen. Das muss man, glaube ich, versuchen zu verstehen.
Ich habe gerade gelesen, dass 280.000 Menschen in Deutschland twittern. Widerspricht jemand? – Nein. Bei allem Respekt vor diesen Menschen: In Deutschland leben 80 Millionen Menschen; das Twittern hat für mich daher noch nicht die entscheidende Relevanz – auch wenn es sicher eine hat.
Man muss sich aber darüber klar sein, dass das Internet eine unserer Plattformen ist. Es ist eine wichtige und eine – davon bin ich genauso überzeugt wie die meisten hier im Hohen Hause –, die noch wichtiger wird. Es ist aber nicht die einzige.
Ich weiß, dass gerade, wenn man den lokalen Bezug in der medialen Verbreitung sucht, nicht unbedingt das Internet die erste Stufe ist, sondern eine lokale Zeitung oder sogar ein lokales Radio. Das ist der Grund, warum unsere Lokalradioangebote im Schnitt relativ erfolgreich sind. Das wird hier keiner bestreiten.
Vor dem Hintergrund wäre es schön und wichtig, wenn wir – Ansätze dafür sind im Entwurf erkennbar – deutlich machen würden, dass die Bürgermedien bestehen bleiben. Ich bin dankbar für den Vorschlag der Plattform, wo man das sozusagen konvergent anbieten, ausbauen und die Bürgerteilhabe im wahrsten Sinne des Wortes leben kann. Wir sollten aber auch dafür sorgen, dass die Menschen, die vor Ort in Bezug auf die Themen, die sie bewegen, Sorgen haben, eine technische Plattform haben, um diese auch verbreiten zu können. Deshalb bin ich froh, dass wir mit Blick auf den klassischen Bürgerfunk eine Verankerung der Förderung desselben gefunden haben. Wir werden im Zuge der Diskussion über dieses Gesetz hierzu sicher auch noch das eine oder andere miteinander austauschen.
Ich glaube nämlich, richtig verstandene Teilhabe heißt, dass sich Menschen in die Prozesse, die in der Regel vor Ort und lokal wahrgenommen werden, aktiv einbringen können. Das wird dadurch, dass lokale Zeitungsangebote sich auf dem Rückzug befinden, eigentlich immer schwieriger. Deshalb glaube ich, dass Bürgermedienangebote – auch Bürgerradio in ganz klassischem Sinne auf entsprechenden Frequenzen in der Region – nach wie vor ihre Bedeutung in der Region haben und nach unserer hoffentlich klugen Gesetzesbefassung und Entscheidung noch stärker haben werden.
Insofern bin ich an der Stelle ganz anderer Meinung als Sie, Herr Kollege Sternberg. Ich halte es für das Projekt der Teilhabe. Es betrifft aber auch viele andere Bereiche. Wir haben hier schon eine Reihe von Hinweisen auf die technischen Entwicklungen und Anpassungen bekommen, die vorgenommen werden.
Es ist natürlich gut, wenn wir unser Zwei-Säulen-Modell in Nordrhein-Westfalen stärken, indem wir der privaten Säule eine weitere, stärkere Möglichkeit eröffnen, ohne dem öffentlich-rechtlichen Rundfunkangebot auf seinen Frequenzen in irgendeiner Weise zu nahe zu kommen.
Ich fand auch den „Open-Government-Prozess“, den die Regierung im vorigen Jahr eingeleitet hat, sehr beispielhaft. Ich übersetze das einmal ins Deutsche: „Offenes Regieren“. Wir zeigen in einem vierwöchigen öffentlichen Prozess, wie wir das Ganze anlegen wollen.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Sternberg, ich habe eben gesagt, dass in Deutschland 280.000 Menschen twittern. Sie haben recht: Wenn in einem Land wie Nordrhein-Westfalen ein paar Tausend Menschen an solch einem Konzentrationsprozess teilnehmen, dann ist das in Relation zu den 80 Millionen Einwohnern nicht bedeutend.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Marsching zulassen?
Oliver Keymis (GRÜNE): Ja klar, wenn er will.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Bitte schön.
Michele Marsching (PIRATEN): Wenn ich nicht wollte, würde ich nicht drücken. Vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich musste kurz googeln; das hat etwas gedauert. Aber Sie haben ja quasi dazu aufgefordert, die Zahl infrage zu stellen. Von daher: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in Deutschland 800.000 Menschen Twitter benutzen und gleichzeitig 27 Millionen Deutsche einen Facebook-Account haben?
Oliver Keymis (GRÜNE): Das nehme ich gerne zur Kenntnis, finde das auch sehr beeindruckend. Trotzdem widerspricht das der Argumentation nicht. Ich hatte die Zahl 280.000 vor einigen Tagen in der Zeitung gelesen; aber Ihre Zahl wird stimmen. Ich bin gerne bereit, das so zur Kenntnis zu nehmen.
(Michele Marsching [PIRATEN]: Ich wollte nur die Zahl korrigieren!)
Auch 800.000 sind im Verhältnis zu 80 Millionen keine beeindruckende, aber eine schöne Zahl. Das will ich nicht in Abrede stellen oder bedeutungsmäßig schmälern. Ich glaube aber, dass wir bei der Betrachtung von Medienpolitik, Herr Kollege Marsching, ein breiteres Sichtspektrum brauchen als nur eines auf das Internet bezogene. Das Internet ist eine für mich entscheidende, wichtige Arbeitsplattform; aber es ist nicht die einzige. Ich kenne noch eine ganze Menge Menschen, die durchaus auch das lineare Programm, also das sowohl im Fernsehen als auch im Hörfunk zeitlich in einer bestimmten Reihenfolge gesendete Programm, wahrnehmen. Man kann doch nicht so tun, als ob keiner mehr Radio hört. Das stimmt nicht. Millionen Menschen hören Radio, viele Millionen Menschen schauen Fernsehen. Ganz besonders beeindruckend ist nach wie vor am Sonntagabend um 20.15 Uhr die Gemeinde der „Tatort“-Zuschauer – zumindest wenn die dazu erhobenen Quoten stimmen.
Also, machen wir uns nichts vor: Die Welt verändert sich an bestimmten Stellen sehr schnell; aber die Menschen haben durchaus auch Bedarf an der alten, etwas langsameren Welt. Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetzentwurf genau in diesem Übergangs- und Spannungsverhältnis umgehen und eine entsprechende Diskussion führen müssen.
Ich will zu guter Letzt auf das entscheidende Stichwort hinweisen: Wir versuchen ja eigentlich, mit diesem Gesetzentwurf auch ein Stück Freiheit zu sichern, indem wir Meinungsfreiheit erhalten sowie Medienvielfalt fortschreiben und sichern. Ich glaube, dass es genau auf dieses Spannungsfeld auch beim Landesmediengesetz ankommt.
Deshalb freue ich mich auf die weitere Debatte im Ausschuss und auf die wahrscheinlich stattfindende Anhörung. Weiter freue ich mich auf einen hoffentlich weisen Beschluss irgendwann im Sommer des Jahres 2014. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN)

Mehr zum Thema

Kultur & Medien