Oliver Keymis: „Genau hinter dieser Eile und hinter der Geheimniskrämerei vermuten wir Grüne versteckt große Nachteile für uns alle wenn wir dieses Abkommen so abschließen, wie die Amerikaner sich das im Wesentlichen wünschen.“

Antrag der Piraten zum Freihandelsabkommen TTIP

Oliver Keymis (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schick, bei den von Ihnen erwähnten 119 Milliarden € handelt es sich um eine offizielle Zahl der EU-Kommission. Bei solchen Zahlen bin ich immer skeptisch – vor allen Dingen, wenn sie so genau sind. Schließlich könnten es auch 121 Milliarden € sein. Vielleicht sind es aber auch nur 117 Milliarden €. Daher halte ich mich bei solchen Einschätzungen immer sehr zurück.
Wie Sie wissen, hat die grüne Fraktion zum Thema „TTIP“ eine dezidiert andere Position eingenommen. Wir haben am 4. Februar dieses Jahres einen Fraktionsbeschluss gefasst, mit dem das Freihandelsabkommen insgesamt kritisch eingeschätzt wird. Das hat vor allen Dingen damit zu tun – es ist hier schon erwähnt worden –, dass dieses Abkommen hinter verschlossenen Türen verhandelt wird.
Ich bin meinem Kollegen Stefan Engstfeld besonders dankbar, weil er als europapolitischer Sprecher unserer Fraktion diese Problematik immer wieder in die Fraktion getragen hat und frühzeitig deutlich gemacht hat, dass wir hier sehr gut aufpassen müssen
(Reiner Priggen [GRÜNE] hebt die Hände.)
– genau, Herr Fraktionsvorsitzender; wir sollten ihn einmal hochleben lassen –, weil es um ganz viele kritische Punkte geht, die mit diesem Abkommen für uns alle zur Diskussion gestellt werden. Da sollte man sich nicht vertun.
Ich habe den Eindruck – wenn ich das so offen sagen darf, Herr Lamla –, dass Ihr Antrag das auch macht. Ich finde es nicht falsch, es auf die Kreativszene, die Sie beschreiben, herunterzubrechen. Aber es ist eben nicht das Ganze, sondern es ist ein ganz kleiner Teil unserer Kreativszene.
Da waren wir voriges Jahr – darauf hat Herr Bialas eben bereits hingewiesen – doch schon weiter. Wir haben genau das alles mit unserem Beschluss hier im Landtag am 7. Mai gemeint. Sehr frühzeitig waren gerade die Kultur- und Medienleute sensibilisiert, weil uns klar war und ist, dass der Bereich „Kultur und Medien“, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, aber auch die Kulturförderung Teile der Daseinsvorsorge in Nordrhein-Westfalen, in der Republik überhaupt sind, letztlich ein Stück Identifikationsmerkmal des – wie Herr Bialas es eben so schön zitierte – alten Europa.
Vor diesem Hintergrund ist Ihr Ausschnitt nicht schlecht gewählt; man kann auch diesen Teil darin sehen. Aber Ihr Antrag kommt natürlich ein Jahr zu spät, und er greift im Grunde nichts wirklich Neues auf an einer Stelle, wo wir uns im Grundsatz einig sind, dass wir dies vor dem Zugriff der Konzerne schützen wollen.
Da zielt meiner Ansicht nach Ihre Argumentation – jedenfalls so, wie ich es wahrgenommen habe – ein Stück daneben. Die eigentliche Gefahr geht doch nicht davon aus, dass wir das Urheberrecht nicht vernünftig der digitalen Zeit anpassen wollen, sondern die Gefahr geht davon aus, dass Unternehmen wie Google, Amazon, Microsoft und andere große amerikanische Player es mit all diesen Dingen überhaupt nicht ernst meinen und eine ganz andere Linie verfolgen, als wir sie hier in Europa, in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen zu diesen Themen verfolgen.
Ich habe den Eindruck, vor diesem Hintergrund müssen wir uns mit dem Antrag im Ausschuss durchaus noch mal befassen. Wir tun das auch gerne. Aber die Diskussionen zu TTIP müssen in allen anderen Gebieten mindestens ebenso intensiv stattfinden. Ich weiß, dass Sie das auch in keiner Weise ausschließen.
Ich will Sie noch auf einen großen Leak hinweisen, der dank der Europafraktion der Grünen stattgefunden hat, die das geleakt haben, was in geheimen Hinterzimmern sozusagen als Verhandlungsmandat definiert worden war. Wenn es nicht zu entsprechender Transparenz bei TTIP kommt, dann, glaube ich, müssen wir insgesamt diesem Abkommen sehr kritisch gegenüberstehen.
Herr Schick, entschuldigen Sie. Auch im Hinblick auf die 119 Milliarden €, die Sie genannt haben: Das Handelsabkommen stellt uns vor große Probleme. Ein Punkt, auf den schon mal hingewiesen worden ist …
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Kollege Keymis, bevor Sie zum Ende kommen und ich ein Problem bekomme: Der Herr Kollege Kern würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Oliver Keymis (GRÜNE): Ja, bitte.
Nicolaus Kern (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Kollege Keymis, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben gerade zu Recht ausgeführt, dass wir uns in diesem Hause schon mit TTIP befasst haben und dass bei den Verhandlungen der audiovisuelle Bereich jetzt herausgenommen wurde. Sie sagten, wir haben eigentlich schon weitgehende Regelungen bekommen, und haben so getan, als wäre das ein bisschen überflüssig.
Teilen Sie mit mir die Auffassung, dass damit nicht der Bereich des sogenannten geistigen Eigentums ausgeklammert ist, dass das Verhandlungsmandat, das jetzt noch besteht, über TTIP genau diesen Bereich neu regeln will und dass damit dieser kulturelle Bereich durchaus weiterhin betroffen und bedroht ist?
Oliver Keymis (GRÜNE): Der kulturelle Bereich ist aus meiner Sicht durch das Investorenschutzabkommen, das damit verbunden wäre, bedroht, nämlich dass man sagt: Es gilt das Rechtsprinzip des Ortes, von wo aus der Handelnde aktiv ist. – Das ist das Problem, mit dem wir zu kämpfen haben.
(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Ein weiteres Problem!)
Das betrifft möglicherweise auch Urheberrechtsfragen; das ist richtig. Wir unterhalten uns über das Urheberrecht in Deutschland viel differenzierter, als das aus amerikanischer Sicht passiert.
(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das ist ja die Gefahr!)
Ich glaube, an dem Punkt sind wir uns einig. Wir unterhalten uns auf einem Level, wo wir sagen: Für User und Produzenten muss es zu einem gerechten Ausgleich kommen. Da mag es zwischen Piraten und Grünen noch gewisse Unterscheidungen geben, was dann im Einzelnen gerecht ist.
(Nicolaus Kern [PIRATEN]: Das hoffe ich!)
Aber vom Prinzip her bin ich der Meinung, dass wir die eigentliche Gefahr unterschätzen, die davon ausgeht, dass die Amerikaner in einer Rekordzeit – wenn man sich überlegt: im Juli 2013 sind die Verhandlungen begonnen worden, Ende 2015 sollen sie abgeschlossen sein – auch über die kleinste Regelung beraten, auch darüber, welche Rücklichter an welchen Fahrzeugen wie montiert werden. Soll das alles innerhalb von zwei Jahren verhandelt werden? Ich halte das eh für sehr gewagt.
Genau hinter dieser Eile und hinter der Geheimniskrämerei vermuten wir Grüne – das haben wir auf den verschiedenen Ebenen deutlich gemacht: im Europaparlament, in Berlin, aber auch hier in Düsseldorf – versteckt große Nachteile für uns alle, wenn wir dieses Abkommen so abschließen, wie die Amerikaner sich das im Wesentlichen wünschen.
Außerdem soll es ja – so habe ich Stefan Engstfeld immer verstanden –ein Vorbildabkommen für alle Länder sein, mit denen wir solche Abkommen auch noch schließen sollen. Das birgt doppelt Gefahr.
Wir werden uns im Ausschuss weiter darüber unterhalten. Ich denke, dass wir uns insgesamt über das, was hier schon gesagt wurde, sehr einig sind. Auch wir haben im Hinblick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Folgen für unsere Kunst- und Filmförderung große Befürchtungen, dass hier Löcher aufgerissen werden, die jenseits der von Ihnen im Antrag angesprochenen Problematik für uns eine Gefahr darstellen.
Deshalb freue ich mich auf weitere Debatten und hoffe, dass wir insgesamt einem Abkommen, das nicht unseren Interessen hier in Europa, in Deutschland, in Nordrhein-Westfalen dient, nicht zustimmen müssen. Das wird noch ein spannender Prozess. – Danke für die Aufmerksamkeit.
(Beifall von den GRÜNEN)