Oliver Keymis: „Es gibt kein Bundesland in unserer Republik, das so viel coronabedingt in die Kultur investiert hat wie Nordrhein-Westfalen“

Antrag der "AfD"-Fraktion zum "Kultur-Lockdown"

Oliver Keymis (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns liegt ein Antrag der AfD-Fraktion vor, der fordert, dass wir die Kultureinrichtungen umgehend wieder öffnen. Der Antrag ist insofern von besonderer Brisanz, weil Sie sich ja ansonsten mit diesen Einrichtungen, sagen wir einmal, relativ schwertun, wie Herr Bialas eben schon aus einem Redebeitrag, der an diesem Pult von 197 Tagen gehalten wurde, zitiert hat. Wenn man auf der einen Seite alle verdächtigt, dass sie links und was weiß ich sind und im Grunde überhaupt nicht …
(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Selbst dann haben sie das Recht zu spielen!)
– Natürlich haben sie das Recht zu spielen, aber Sie haben ja Ihre Vorstellungen dazu, wie gespielt werden soll.
(Gabriele Walger-Demolsky [AfD]: Nein, haben wir nicht! – Andreas Bialas [SPD]: Das ist ja ein Linksruck bei der AfD!)
Vor dem Hintergrund ist es ein bisschen wohlfeil, sich hierhin zu stellen. Ich denke, es nimmt Ihnen draußen auch keiner ab.
Ich finde es jedoch viel interessanter, ich will nicht sagen schlimmer, dass Sie in Ihrem Antrag Zitate von Leuten bringen, die sich für dieses Thema wirklich engagieren, die Sie sozusagen in Ihr Konglomerat mit einbauen.
Nehmen wir den Kulturrat, den Sie unter anderem zitieren. Ich habe jetzt auch etwas vom Kulturrat mitgebracht. Das, was da am Anfang der Erklärung vom 04.11. steht, ist die Marschlinie, auf der wir uns im Moment politisch bewegen. Ich meine, dass das auch die richtige Marschlinie ist. Es ist interessant, dass der Kulturrat es ähnlich sieht wie zumindest der überwiegende Teil der Fraktionen hier im Hohen Hause.
Ich zitiere den Vorsitzenden Gerhart Baum mit seinen folgenden Worten und mit Erlaubnis unserer Präsidentin:
„Der jetzige Lockdown trifft das Leben in Deutschland hart. Es ist eine Jahrhundertkatastrophe – und wir stehen erst am Anfang düsterer Monate. Ganz Europa steht unter Schock. Nirgendwo haben Konzerthäuser und Theater geöffnet – im Übrigen auch keine Restaurants. Wir können nur hoffen, am Ende des Monats unter den Bedingungen, die vorher galten, die Kultur wieder anzufahren. Es geht auch nicht gerecht zu – das hat die Kanzlerin gestern eingeräumt. Es wurde zwischen Schließung und Öffnung abgewogen. Alles muss auf das Grundrecht des Lebensschutzes bezogen werden.
Die Debatte hat insgesamt eines bewirkt: Die Bedeutung der Kultur für den einzelnen und für die Gesellschaft ist deutlicher ins öffentliche Bewusstsein gebracht worden.“
Das ist eine objektive Beschreibung der derzeitigen Lage. Vor dem Hintergrund sind diese Entscheidungen getroffen worden, die selbstverständlich der Kulturrat akzeptiert. Auch der Deutsche Bühnenverein akzeptiert diese Entscheidungen. Das sind keine Entscheidungen, die irgendwie getroffen wurden.
Es gibt Unmut, weil man sagt: Wir haben doch eigentlich alles dafür getan, dass bei uns nichts passiert. – Dann sagen wir, die wir darüber politisch beraten: Ja, das ist auch so, aber dadurch, dass ihr das, was ihr anbietet, anbietet, erzeugt ihr natürlich Kontakt.
Ein Beispiel ist im Kulturausschuss von Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen genannt worden. Sie hat uns erklärt, dass die Wiedereröffnung der Musikschulaktivitäten im November rund 300.000 Kontakte mehr bedeutet. Diese Fragen wurden zwischen dem Gesundheits- und dem Kulturministerium diskutiert. Man hat sich dann für das Risiko dieser Kontakte entschieden, weil man den Kindern diesen Einzelunterricht ermöglichen wollte. Aber die Diskussion darüber wird intensiv geführt, und diese Art von Abwägungspolitik findet im Moment statt, und der kommen Sie mit Ihrem Antrag in keiner Weise nach.
Ich zitiere jetzt gerne auch noch von Theaterschaffenden. Zum Abschluss sollte man die auch noch zu Wort kommen lassen. Sie zitieren ja auch Verschiedenes. Es gibt auch welche, die sich fürchterlich geäußert haben und furchtbar betroffen sind. Ich bin nun selber aus dem Fach und weiß, wie die Emotionen hoch gehen, wie es bei den Proben ist. Man ist ganz unter sich, und das Theater ist das Wichtigste im Leben. Das ist auch gut so, und deshalb machen die ihren Job ja auch gut.
Aber wenn man das alles in einen Zusammenhang stellt – und manchmal machen das auch Theaterleute –, dann kommt ein Zitat heraus wie dieses, mit dem ich abschließen möchte. Es ist von Theaterleuten aus Frankfurt. Das theaterperipherie und die Landungsbrücken haben eine Stellungnahme zu einer Pressemitteilung von Kollegen verfasst, und darin heißt es unter anderem – ich darf wieder zitieren, Frau Präsidentin –:
„Theater ist aber keine Insel. Auch keine Insel der Seligen. Wir sind Teil der Gesellschaft. ‚Ja zu Maßnahmen, aber bitte nicht bei uns, denn wir haben schon genug Opfer gebracht‘ kann keine sinnvolle Forderung sein. Die Schließung der Kultureinrichtungen steht im Kontext der Schließung vieler anderer Branchen, die ebenfalls bereits unter dem ersten Lockdown gelitten haben: Clubs, Nagelstudios, Tattoo-Studios, Gastronomie, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, die ebenso eine Reihe aufwändiger Hygienemaßnahmen eingerichtet haben und nun ebenso schließen mussten.
Auch wenn man davon ausgehen mag,“
schreiben die Theaterleute aus Frankfurt weiter,
„dass sich im Theater niemand ansteckt, was im Übrigen bei ca. 75 % der Ansteckungen, die nicht nachvollziehbar sind, gar nicht mal erwiesen ist, sind wir im Theater nicht im luftleeren Raum unterwegs. Auch nicht gut belüftet. Wenn sich alle einig sind, dass man Kontakte so weit es geht reduzieren muss, dann ist das so und nicht zu diskutieren. Gegen ein Virus lässt sich nicht protestieren, mit einem Virus lässt sich nicht diskutieren bzw. dem Virus ist das völlig egal, wer sich ungerecht behandelt fühlt. Es geht hier nicht um uns, sondern um die Gesamtgesellschaft.“
Mehr ist zu Ihrem Antrag nicht zu sagen. – Ich bedanke mich.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Dr. Günther Bergmann [CDU])
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Herr Abgeordneter Keymis. – Es wurde ein Kurzintervention der Abgeordneten Walger-Demolsky angemeldet. Er steht Ihnen frei, diese hier oder an Ihrem Platz entgegenzunehmen.
(Oliver Keymis [GRÜNE]: Ich bleibe hier am Pult!)
Dann darf sich Frau Walger-Demolsky bitte einmal kurz eindrücken. – Danke, das erleichtert mir, das Mikrofon für 90 Sekunden freizuschalten. Bitte.
Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Zum einen möchte ich feststellen: Nehmen Sie einfach zur Kenntnis, dass es auch AfDler mit einem Theaterabonnement gibt, und das sogar in Bochum. Das zum einen.
Aber wir sprechen hier ja nicht nur über Theater, wir sprechen zum Beispiel auch über Museen. Sie sprechen in der Regel von den Anbietern. Ja, die Anbieter werden aktuell durch Steuergelder noch sehr gut aufgefangen, insbesondere in Nordrhein-Westfalen. Aber was ist mit dem Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe und auf Kultur? Das heißt, die Nutzerperspektive wird von Ihnen allen überhaupt nicht gesehen.
(Beifall von der AfD)
Oliver Keymis (GRÜNE): Frau Walger-Demolsky, ich finde es prima, wenn Sie nach Bochum ins Theater gehen und dort auch ein Abonnement pflegen. Das hilft in jedem Falle, insofern ist es immer gut, das zu tun.
Ich bin nicht der Meinung, dass wir übersehen, dass die Nutzer im Moment nicht ins Theater können. Das ist ein Opfer, das die Gesellschaft bringt. Ich habe eben über das Grundrecht auf Schutz des Lebens gesprochen. In der Abwägung geht es genau um diese Frage, was dann wichtiger ist. Darüber kann man natürlich verschiedener Meinung sein, wie immer im politischen Leben. Da es aber nun entschieden ist, wie es entschieden ist, und zwar von denen, die das gemeinsam entschieden haben, und wir es hier zumindest in der großen Breite des Hohen Hauses mittragen, muss man sich damit auch politisch abfinden.
Ich will aber die Gelegenheit nutzen, meinen Dank auch einmal an die Regierung dieses Landes aussprechen. Wenn ich darf, Herr Bialas, schließe ich mich gerne Ihren Worten an. Sie haben das eben nämlich sehr richtig gesagt. Wir im Kulturausschuss sind uns sehr einig darüber gewesen – da habe ich von Ihnen keine Widerrede vernommen –, dass die Hilfsmaßnahmen, die diese Landesregierung in den letzten Monaten für die Künstlerinnen und Künstler coronabedingt auf den Weg gebracht hat, ausgesprochen wichtig und hilfreich waren, dass sie konkret waren, dass die Künstlerinnen und Künstler weit über die Institutionen hinaus davon groß profitiert haben. Und – das möchte ich deutlich sagen – es gibt kein Bundesland in Deutschland, in unserer Republik, das so viel coronabedingt in die Kultur investiert hat wie Nordrhein-Westfalen. Das kann man auch einmal feststellen, wenn das so ist.
Herr Bialas hat es getan, ich tue es auch sehr gerne. Also Dank an die, die das machen. Daran sind viele Menschen beteiligt, die Ministerin steht vornean, aber ich weiß, dass das Haus, die Bezirksregierung und alle möglichen in den letzten Wochen und Monaten daran enorm gearbeitet haben, damit das Geld auch zu den Leuten kommt und die Unterstützung funktioniert. Es ist schön, dass ich noch die Gelegenheit hatte, das hier sagen zu können. – Danke für Ihre Kurzintervention zu diesem Punkt.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)