Norwich Rüße: „Wir machen ernst mit deutlich mehr Tierschutz. Wir wollen klare und verbindliche Haltungsvorschriften haben.“

Antrag von SPD und GRÜNEN zur Putenhaltung

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist jetzt ziemlich genau ein Jahrzehnt her, dass hier im Landtag das Thema „Putenhaltung“ schon einmal thematisiert wurde, und zwar mittels einer Kleinen Anfrage des damals zuständigen Abgeordneten Reiner Priggen.
Wenn man die Antwort des Ministeriums liest, dann kann man nur eines feststellen: Alle Probleme in der Putenhaltung, die wir heute kennen und die unbestreitbar sind, waren damals schon bekannt und sind damals in der Antwort auf die Kleine Anfrage auch benannt worden. Ein übertriebener Medikamenteneinsatz ist thematisiert worden, Qualzuchten sind thematisiert worden und natürlich auch die unsägliche Praxis des Schnäbelkürzens.
Aus genau dieser Zeit gibt es parallel ein umfängliches Gutachten einer Professorin zu der Frage, wie man die Stallhaltung der Puten verändern müsste, damit die Lebensbedingungen der Tiere endlich akzeptabel sind. In diesem Gutachten geht es darum, wie man die Besatzdichten und die Stallstrukturen verändern müsste, damit die Tiere ihr Verhalten ausleben können. Es geht darum, wie man das Futter verändern müsste. – Es gibt also seit über einem Jahrzehnt viele Antworten auf die Zustände in der Putenhaltung.
Was hat sich seitdem getan? – Herzlich wenig! Die Missstände in der Putenhaltung sind immer noch so, wie sie vor zehn Jahren waren. Wir alle wissen ja – das ist ein geflügeltes Wort –: Der Fortschritt ist eine Schnecke. Bezogen auf die Putenhaltung kann man sagen: eher eine Wanderdüne.
Wenn wir auf die bundeseinheitlichen Eckwerte zur Haltung von Mastputen schauen, die gerade aktualisiert worden sind, wird das ganz deutlich. Alle Experten sagen uns, wir müssten die Besatzdichte in den Putenställen deutlich verringern, um zu Verbesserungen zu kommen.
Wenn die Missstände so sind, wie sie sind, würden wir ja erwarten, dass bei der Erneuerung dieser freiwilligen Haltungsvereinbarung die Besatzdichte wirklich mal deutlich gesenkt wird.
Aber: Wir lesen in der erstmaligen Vereinbarung von 1999 von 52 kg weiblicher Puten pro Quadratmeter, und in der Neuauflage von 2013 finden wir wieder 52 kg weiblicher Puten pro Quadratmeter. Das ist erbärmlich! Nicht mal 100 g weniger pro Quadratmeter haben die Putenhalter zugestanden. Die Puten müssen immer noch eng an eng leben. Was uns dort geboten wird, ist deutlich zu wenig.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Das ist ein Armutszeugnis angesichts der gesellschaftlichen Debatte über Tierhaltung, die sich in den letzten zehn Jahren noch deutlich verstärkt hat. Hier hätte ich viel mehr erwartet. Daher ist für uns auch klar, dass freiwillige Vereinbarungen an dieser Stelle überhaupt nicht ausreichend sind und dass wir endlich zu einer gesetzlichen Regelung kommen müssen.
Ich will noch eine Sache erwähnen. Minister Remmel hat in puncto Hähnchenmast mit der Antibiotikastudie ja wirklich Aufsehen erregt. Wir haben damals dargestellt, wie stark der Antibiotikaverbrauch ist; 80 % der Hähnchen sind damit behandelt. Wenn man die Putenmast hinzunimmt – die Ergebnisse werden noch kommen –, stellt man fest: Da ist es noch deutlich schlimmer. Wenn man Antibiotika als einen Indikator für schlechte Haltungsbedingungen nimmt, dann muss man sagen, dass die Haltungsbedingungen in der Putenmast zu 100 % schlecht sind.
(Beifall von den GRÜNEN)
Obwohl wir die Tiere dauermedikamentieren, haben wir noch Entzündungen an den Fußballen, Brusthautentzündungen, Gelenkdegenerationen und Herz-Kreislauf-Probleme bei den Puten aufgrund von Überzüchtung.
Deshalb ist ein „Weiter so!“ mit uns nicht mehr machbar. Es ist auch deshalb nicht machbar, weil die Pute die einzige wichtige landwirtschaftliche Nutztierart ist, die nicht gesetzlich geregelt ist. Wir verstehen überhaupt nicht, wie man hier noch darauf beharren kann, das freiwillig weiterzumachen. Warum sollen wir die Pute nicht mit Rind, Schwein oder Masthuhn gleichstellen? Die Nutztierhaltungsverordnung kann genauso gut Regelungen für die Pute vorsehen wie für alle anderen Tiere. Das ist auch gerecht beispielsweise gegenüber den Schweinemästern. Denn für sie gibt es klare gesetzliche Bestimmungen. Sie können sich ihre Haltungsvorschriften auch nicht aussuchen. Daher werden wir da bei der Pute nachziehen. Das ist macht Sinn, das schafft Rechtsgleichheit für alle Tierhalter.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, wir machen ernst mit deutlich mehr Tierschutz. Wir wollen klare und verbindliche Haltungsvorschriften haben.
Wir wollen auch ein klares Signal bei der Schnabelkürzung haben. Um es deutlich zu sagen: Wir wollen die Schnabelkürzung abschaffen.
Aber – dafür steht auch diese Koalition, dafür steht auch der Minister – wir machen ein faires zeitliches Angebot an die Branche. Wir sagen nicht: „von heute auf morgen“, sondern wir geben noch mal eine Frist. Zwar hätten die letzten zehn Jahre genutzt werden können; trotzdem gibt es dieses Angebot. Wir erwarten aber auch, dass dann Schluss ist.
Wir wollen mit anderen gesetzlichen Standards gute, bessere Haltungsbedingungen in den Ställen erreichen, auch wenn wir wissen, dass es immer noch Nutztiere sind.
Präsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Norwich Rüße (GRÜNE): So, wie es jetzt ist, geht es nicht. Wir wollen weniger Erkrankungen, weniger Antibiotikaeinsatz. Das sind wir den Tieren, aber auch den Menschen hier in NRW schuldig, die eine andere Haltung wollen.
Zum Schluss sage ich noch: Heute steht mediterranes Putengeschnetzeltes auf dem Speiseplan der Landtagskantine. Ich persönlich tue mich schwer damit, das zu essen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)

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