Norwich Rüße: „Wir könnten auf Tierversuche deutlich besser verzichten“

Antrag der fraktioinslosen Abgeordneten Langguth, Neppe und Pretzell zu Tierversuchen

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Grundsätzlich ist es gut, dass wir über Tierversuche hier im Landtag sprechen. Es ist ein wichtiges Thema.
In der vergangenen Woche habe ich an einem WDR-Stadtgespräch in Münster zu genau diesem Thema teilgenommen. Die Verantwortlichen vom WDR waren sehr überrascht, wie voll es war, wie übervoll der Raum war, in dem das stattfand. Damit haben sie nicht gerechnet. Das zeigte einmal mehr, dass dieses Thema die Menschen in Nordrhein-Westfalen bewegt.
Frau Winkelmann, Sie haben gesagt – ich sehe sie jetzt gar nicht; nicht mehr da –, Sie wollen, dass das Thema sachlich angegangen wird. Ja, das ist grundsätzlich richtig, aber es fällt einem schwer, sachlich über Tierversuche zu sprechen, wenn man die Bilder aus Hamburg im Kopf hat, die Bilder des Versuchslabors LPT, das jetzt geschlossen wird, das aber jahrelang mit seiner Arbeit so akzeptiert worden und durch Kontrollen so durchgegangen ist. Das überrascht einen an der Stelle schon und zeigt, dass in diesem Bereich nicht alles so in Ordnung ist, wie es sein müsste.
Der Tierschutz ist seit 20 Jahren im Grundgesetz verankert. Das will ich deutlich sagen. Dies verändert einiges. Wir haben als Politik den Auftrag, die Tiere zu schützen. Bei einigen Tierversuchen, die stattfinden, kann man sehr wohl die Sinnfrage stellen, warum wir das machen, warum man Tieren das antut.
Es ist nicht nur im Grundgesetz, sondern – wie gesagt – auch bei den Menschen zutiefst verankert. Herr Diekhoff, ja, Sie haben recht, wir alle wollen neue Medikamente haben. Die Frage ist aber – diese stellen sich auch die Menschen, wenn sie sich mit dem Thema intensiv auseinandersetzen –, welchen Beitrag Tierversuche tatsächlich noch leisten bei dem Finden neuer Medikamente, wenn man weiß, dass bei Tierversuchen Substanzen als wirksam und für den Menschen verträglich getestet werden, aber von 100 Substanzen, die aus dem Tierversuch heraus- und in die klinische Studien hineingehen, gerade einmal fünf Substanzen übrigbleiben, weil sie eben doch nicht vom Menschen vertragen werden oder sie beim Menschen nicht die Wirkung erzielen, die sie erzielen könnten.
Und da sind wir bei einem Kernproblem: Tier und Mensch unterscheiden sich fundamental. Man muss sich natürlich mal die Frage stellen, ob es Sinn macht, Bandscheibenersatzsubstanzen am Schaf zu testen. Die Belastung der Wirbelsäule des Menschen ist vollkommen anders als die des Schafes. Es macht überhaupt keinen Sinn, einen solchen Test durchzuführen. Den mag man vorschreiben, aber sinnvoll ist er an der Stelle noch lange nicht.
Eben wurde gesagt, wir sind bei der Vermeidung von Tierversuchen vorangekommen. Nein, die Anzahl der Tierversuche stagniert. Sie geht mal etwas herunter, dann geht sie wieder herauf. Wir haben einen Austausch erlebt. Die Pharmahersteller verwenden in der Tat immer weniger Tiere, gehen längst auf Alternativmethoden über. Dr. Klaus Brehm von Bayer hat es deutlich gesagt. Er glaubt, dass in 20 Jahren Tierversuche überflüssig sein werden.
Für seine Sparte ist das so.
Aber wir erleben, dass in der Grundlagenforschung immer mehr Tiere verwendet werden. Vor 30 Jahren waren es in der Grundlagenforschung in Nordrhein-Westfalen von 300.000 Tieren 10 %, heute ist es die Hälfte der Tiere.
Wir müssen uns fragen: Was passiert denn da? Sind diese Versuche alle sinnvoll? – Es muss einem doch wirklich zu denken geben, wenn der Leiter des amerikanischen Krebsforschungsinstituts sagt, man könne seit Jahrzehnten Krebs an Mäusen heilen, nur kriegt man es beim Menschen nicht hin.
Dann müssen wir doch darüber nachdenken, welchen Sinn diese Tierversuche machen, wenn wir an Tieren etwas ausprobieren und hinbekommen, es aber überhaupt nicht in die Realität übertragen bekommen.
Bei LPT ist jetzt aufgedeckt worden, dass dort ist in riesigem Umfang geschlampt worden. Tierversuche wurden gefälscht. Affen wurden, wenn sie gestorben sind, einfach durch illegale Affen ersetzt. Man hat einfach einen anderen Affen an die Stelle gesetzt und gesagt: Da ist gar nichts passiert.
(Unruhe und teilweise Heiterkeit)
Es ist unmöglich, an der Stelle so vorzugehen.
Wir haben mittlerweile eine Menge anderer Möglichkeiten, Substanzen zu testen. Wer sich mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzt, wird feststellen, dass wir sehr wohl sehr viel weiter sein und auf sehr viele Tierversuche verzichten könnten.
Wir haben die Multiorganchips, wir haben Organoide, wir haben so viele gute Ansätze, die viel bessere Testmöglichkeiten ermöglichen als Tiere. Für einen klassischen Tierversuch im Bereich der Medikamentenforschung braucht man 1.000 Tiere; das ist vergleichsweise wenig.
Wenn man das an Zellkulturen macht, könnte man gleichzeitig 10.000 Tests machen, deutlich mehr, deutlich sicherer. Daher könnten wir auf Tierversuche deutlich besser verzichten.
Das CERST ist erwähnt worden; das wird in Ihrem Antrag nicht erwähnt, was ich äußerst traurig finde. Es fehlt so einiges.
Auch dass der Antrag direkt abgestimmt wird, halte ich für falsch. Es ist ein wichtiges Thema, über das wir diskutieren sollten; das tun wir nicht. Deshalb werden wir den Antrag ablehnen.
Wir verstehen gar nicht, dass die für den Tierschutz zuständige Ministerin hier und heute nicht diskutiert, sondern Sie, Frau Pfeiffer-Poensgen. Dafür fehlt mir das Verständnis. – Vielen Dank.

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