Norwich Rüße: „Wenn Sie aber den Naturschutz schleifen, dann müssen Sie mit unserem Widerstand an der Stelle rechnen“

Antrag der SPD-Fraktion und der GRÜNEN im Landtag zur Artenvielfalt"AfD"-Fraktion zur Roten Hilfe e.V.

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 14. Februar 2019 ist für den Artenschutz und den Naturschutz in Deutschland zu einem historischen Datum geworden. Ich glaube, dass 1,8 Millionen Unterschriften unter ein Volksbegehren für den Naturschutz ein deutliches Signal sind und eines klargemacht haben: Der Naturschutz – die Artenvielfalt – interessiert die gesamte Bevölkerung. Das ist kein Thema mehr nur für Experten aus dem Naturschutz, sondern es interessiert die Mitte der Gesellschaft, und die Menschen wollen von uns, von der Politik eine Antwort darauf haben, wie wir dieses erkennbare Problem zu lösen gedenken.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich glaube, klar ist auch eines: Das Volksbegehren in Bayern ist auch das logische Ergebnis einer Politik, die sich jahrelang geweigert hat, dem Naturschutz den notwendigen Stellenwert einzuräumen. Eines ist nämlich klar – ich glaube, Bayern war da immer vorne mit dabei –: Wenn das nächste Gewerbegebiet und die nächste Umgehungsstraße anstehen und am Ende auch bei der Frage: „Wird ein Pestizid weiterhin genehmigt oder nicht?“ wird oftmals so entschieden, dass ökonomische Interessen weit vor der Ökologie rangieren.
Das Ergebnis ist so, wie es ist: Der Zustand der Natur ist genau aus dem Grund so schlecht, wie er ist.
Wir haben bei den Rebhuhnbeständen ein Minus von 90 % zu verzeichnen. Frau Ministerin, Sie kennen die Zahlen des LANUV. Wir haben ja eine Behörde, die die Zahlen erhebt. Für den Zustand bei den Kiebitzen ist die Kartierung des Kreises Warendorf ein Beispiel: Wenn man sieht, dass sich der Kreis Warendorf auf der Karte innerhalb von 30 Jahren von einer grün kartierten Fläche – überall sind Kiebitze – in ein fast komplett rot dargestelltes Gebiet verwandelt hat, was bedeutet, dass im Kreis Warendorf fast überhaupt keine mehr Kiebitze zu finden sind, erkennt man, wie dramatisch das ist.
(Beifall von den GRÜNEN – Zurufe von der CDU und der FDP)
Wir haben das Gleiche – auch das ist eben angesprochen worden – bei den Insekten. Die Forschungsergebnisse der Entomologen aus Krefeld, die konstatiert haben, dass mittlerweile bis zu 80 % der Insektenmasse einfach fehlen, zeigen das. Es ist auch dramatisch, dass es ehrenamtliche Forscher waren, die das gemacht haben, dass wir als Gesellschaft mit unseren universitären Instituten nicht in der Lage waren, diese Leistung zu erbringen. Vielmehr ist das von Ehrenamtlern gemacht worden, und das ist inakzeptabel.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Hovenjürgen?
Norwich Rüße (GRÜNE): Ja, immer.
Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte schön, Herr Hovenjürgen.
Josef Hovenjürgen (CDU): Herr Kollege Rüße, herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. Herr Rüße, ist Ihnen bekannt, dass wir zum Beispiel auch da einen Druck auf Kiebitzpopulationen erleben, wo die Zahl der Weißstörche zunimmt? Denn diesen ist offensichtlich nicht bekannt, dass die Jungenaufzucht bei den Kiebitzen unter Schutz steht, und wir können es ihnen schwerlich erklären. Ich will damit nur deutlich machen: Es gibt nie nur einen Grund für den Druck auf Arten.

Norwich Rüße (GRÜNE): Herzlichen Dank, Herr Hovenjürgen, für Ihre Zwischenfrage, die ich folgendermaßen beantworten möchte: Die Diskussion führen wir ja seit Langem. Die haben wir auch im Rahmen des ökologischen Jagdgesetzes geführt. Der Zusammenhang zwischen Raubtieren und anderen Tieren ist natürlich da. Natürlich werden Gelege ausgeraubt, gar keine Frage.
Interessanterweise war das aber immer so in der Geschichte der Natur. Es sind immer Tiere da gewesen, die Gelege ausgeraubt haben. Es war früher so, dass beim Kiebitz zum Beispiel dann ausreichend Nachkommen da waren, weil die Natur das vorsieht, dass ein Teil der Nachkommen eben durch Krankheiten stirbt oder durch Raubtiere geraubt wird. Aber wenn ein Bestand so klein ist, dass er sich nicht mehr selbst erhalten kann, dass er sich nicht gegen Raubtiere wehren und den Bestand erhalten kann, dann zeigt das einfach an, dass die Lebensbedingungen …
Herr Hovenjürgen, das geht nicht, dass Sie jetzt mit Ihrem Kollegen ein Gespräch führen, sondern Sie müssen aufmerksam zuhören, wenn ich jetzt Ihre Frage beantworte.
(Beifall von den GRÜNEN)
Von daher, glaube ich, müssen wir beide erkennen, dass das Lebensumfeld des Kiebitzes so schlecht ist, dass wir dringend etwas tun müssen.
Zum Kiebitz möchte ich dann auch noch ergänzen: Der Kiebitz ist ja schon aus seinem ursprünglichen Habitat geflüchtet. Er ist ja schon gar nicht mehr dort, wo er eigentlich hingehört, sondern er ist schon auf den Acker geflüchtet. Im Ursprung ist er ja woanders; das wissen Sie ja. Sie kommen aus dem Regierungsbezirk Münster. Sie wissen, was wir im Regierungsbezirk Münster gemacht haben. 70.000 ha Grünland innerhalb von 40 Jahren weg – das ist das Problem, das wir haben. Es ist nicht der Fuchs.
Wir müssen trotzdem natürlich an der Stelle gucken: Muss man da auch etwas tun? – Da bin ich ja bei Ihnen. Aber im Ursprung müssen wir das Habitat der Tiere so wiederherstellen, dass sich die Populationen halten können. Das gilt für den Kiebitz. Das gilt für das Rebhuhn. Das gilt zum Beispiel auch für die Feldlerche.
(Beifall von den GRÜNEN)
Lieber Herr Hovenjürgen, weil Sie das angesprochen haben: Das sind doch alles Auswegdiskussionen, die wir da führen. Das ist genau das, was die Menschen draußen ärgert. Die spüren nämlich ganz genau, dass diese Veränderungen da sind und dass die Lebensräume nicht mehr stimmen, dass wir an der Stelle etwas tun müssen, und sie verlangen Antworten von uns als Politik. Wenn die Antworten nicht gegeben werden – so wie in Bayern, wo die CSU die Antworten seit Jahren nicht gegeben hat –, dann nehmen es die Menschen eben selbst in die Hand. Dann gibt es ein Volksbegehren. Dann werden wir als Politik gezwungen, die Antworten zu geben, die notwendig sind.
Meine Damen und Herren, ich möchte eigentlich nicht, dass wir uns als Politik treiben lassen. Ich möchte, dass wir als Politik die Lösungen machen, dass wir dafür sorgen – das ist unser Job hier im Parlament, Ihr Job als Ministerin, Frau Heinen-Esser –, dass die Lebensräume in Nordrhein-Westfalen so sind, dass wir eine intakte und vielfältige Natur haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich bin seit 2010 im Landtag. Seitdem – natürlich braucht Politik ja immer einen zeitlichen Rahmen – diskutieren wir über den Verlust an Arten. Wir haben 2015 – das war Ergebnis des Prozesses – die Biodiversitätsstrategie gemacht. Wir haben bei Gesetzen Änderungen vor- genommen. Ich sage ausdrücklich: Die Änderungen im Landesnaturschutzgesetz sind der Minimalkompromiss gewesen. Es ist ja nicht so, dass ich mir nicht noch viel mehr vorstellen könnte.
Warum wenden wir in Naturschutzgebieten Pestizide an? Unsere Bundeskanzlerin Frau Merkel hat mal gesagt, dass sie das nicht versteht. Sie hat es für völlig unmöglich gehalten, dass das so sein kann, dass in einem Naturschutzgebiet, wo die Natur Vorrang haben soll, Pestizide eingesetzt werden. Wenn Sie das im Landesnaturschutzgesetz ändern, dann haben Sie uns an Ihrer Seite. Dann sagen wir: Ja, das ist genau der richtige Weg.
Wenn Sie aber den Naturschutz schleifen, dann müssen Sie mit unserem Widerstand an der Stelle rechnen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die Verantwortung der Landwirtschaft ist da. Es ist aber nicht nur die Verantwortung der Landwirtschaft. Das finde ich immer wichtig an der Stelle.
Zum Flächenverbrauch und LEP: Seitdem Sie regieren, geht es um Entfesselung. Das kann aber nicht sein. Ökonomie vor Ökologie ist nicht mehr zeitgemäß.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie müssen Ökonomie und Ökologie in Einklang bringen. (Stephan Haupt [FDP]: Tun wir doch!)
Das ist der Job, den Sie erledigen müssen. Das tun Sie aber nicht. Sie heizen den Flächenverbrauch in NRW wieder an mit Ihrem LEP. So sieht es aus.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich glaube, die Menschen spüren ganz genau, ob man draußen zum Naturschutz Sonntagsreden hält und dann an den Werktagen wieder die Bagger und Planierraupen durchs Land schickt
(Lachen von der CDU und der FDP)
oder ob man wirklich bereit ist, etwas für die Natur zu tun, (Josef Hovenjürgen [CDU]: Wir haben mehr Wald!)
ob man wirklich bereit ist, der Natur den entsprechenden Raum zur Verfügung zu stellen. – Herr Hovenjürgen, Ihr Zwischenruf „Wir haben mehr Wald“ trifft ja nicht das Problem. Denn die Arten, die im Wald leben, sind stabil in ihrem Bestand. Unser Problem ist das Offenland, Herr Hovenjürgen. Bei der agrarisch definierten Landschaft haben wir die Probleme.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dort müssen wir zu Veränderungen kommen. Dass Sie den Ernst der Lage bei der Artenvielfalt noch nicht ganz erkannt haben, hat sich auch im letzten Plenum gezeigt, als Sie hier den Antrag eingebracht haben zu Neonikotinoiden. Sie haben gesagt, Sie wollen diese Gifte wieder zur Verfügung stellen, obwohl es einen breiten Konsens in Deutschland gibt, genau das nicht zu tun, weil es so starke Insektengifte sind, und zu sagen: Diese Gifte sind mitverantwortlich für den Insektenschwund. Deshalb werden diese Gifte erst einmal nicht weiter zugelassen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, unser Antrag gibt Ihnen jetzt aus unserer Sicht eine Chance, noch einmal innezuhalten, noch einmal genau zu überlegen: Sind wir auf dem richtigen Kurs oder müssen wir unseren Kurs etwas ändern?
Zu dem, was wir damals gemacht haben – Landesnaturschutzgesetz, Landeswassergesetz, LEP sind die entscheidenden Punkte –, meine ich: Angesichts dessen, was mittlerweile bei der Artenvielfalt weiter passiert ist, muss man eigentlich noch einen Schritt weitergehen. Ich fordere Sie auf, das zu tun, mehr zu tun für die Natur, vielleicht sogar noch viel, viel mehr zu tun, als wir es geschafft haben. Wenn Sie das täten, hätten Sie uns an Ihrer Seite. Wenn nicht, werden die Menschen in NRW Ihnen auch die Antwort darauf geben.
Wenn Sie nicht bereit sind, die Artenvielfalt in diesem Land zu stabilisieren, enttäuschen Sie die Menschen draußen, und dann wird es vermutlich ähnlich laufen wie in Bayern: Man wird Sie zum Handeln zwingen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Redebeitrag von
Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, ich fand es sehr gut, dass Sie „Fridays For future“ erwähnt haben und dass Sie das Volksbe- gehren insgesamt und das dahinterstehende Engagement gelobt haben. Aber in beiden Fäl- len ist eines klar: Die Menschen erwarten, dass wir jetzt auch handeln.
Es geht nicht mehr, wieder das zu tun, was Herr Diekhoff sagte und was auch in der Rede von Herrn Deppe anklang, nämlich noch einmal zu forschen, zu forschen und zu forschen. Ich glaube, dass das nicht geht.
Wenn ich in den Einzelplan 10 Ihres Haushalts schaue, kann ich nicht sehen, dass da etwas passiert, dass da mehr Mittel hineinkommen. Sie haben im Landeshaushalt mehr Spielräume. Da müsste viel mehr passieren. Sie müssten viel mehr Mittel dafür vorsehen.
Ich will noch den Direktor des Senckenberg Deutsches Entomologisches Instituts zitieren. Er hat ganz aktuell gesagt: Wenn wir jetzt nicht das Ruder herumreißen, ist es irgendwann zu spät. Sofortiges Handeln ist angesagt.
Deshalb reicht es nicht aus, wenn wir weiterhin nur diskutieren. Wir müssen jetzt etwas tun und dann auch einmal sagen – denn es ist einfach so –, dass die Landwirtschaft als ein Hauptfaktor identifiziert ist. Dann muss man auch einmal ein Pestizid mehr aus Verdachts- gründen herausziehen, statt immer wieder zu sagen: Wenn wir es nicht genau wissen, lassen wir es doch lieber zugelassen. – Das ist genau der falsche Weg.
Wir müssen jetzt ambitioniert herangehen. Da muss deutlich mehr Druck hinein. Das spüren die Menschen. Deshalb gibt es dieses Volksbegehren. Die Menschen spüren, dass wir als Politiker nicht genug tun. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)