Norwich Rüße: „Wenn es nach der FDP ginge, würden die Züge nur noch zwischen Köln und Berlin fahren“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der FDP zum Ländlichen Raum

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute in einer Aktuellen Stunde unter dem Titel „Städtische und ländliche Räume nicht länger gegeneinander ausspielen!“ Meine beiden Vorredner haben es schon gesagt: Dieser Titel ist völlig falsch in einer politischen Debatte, in der wir uns fair darüber unterhalten sollten, wie ländliche Räume und städtische Räume unterstützt werden können. Diese Überschrift will spalten, Herr Rasche. Das sollte man nicht tun.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Sie sind schon lange hier im Landtag. Ich bin jetzt auch schon ein paar Jahre hier und habe die ganzen Debatten um GFG-Mittel mitbekommen. Egal, ob es eine schwarz-gelbe oder eine rot-grüne Regierung war oder jetzt die schwarz-grüne Regierung ist: Immer wieder wurden die Prioritäten ein bisschen von hier nach da verschoben. – Das liegt daran, dass es unterschiedliche Sichtweisen und unterschiedliche Schwerpunktsetzungen gibt.

Niemandem würde ich aber unterstellen – auch Ihnen nicht –, dass man tatsächlich andere Räume zugunsten des ländlichen Raums oder zugunsten der Städte benachteiligen will. Deshalb sollten wir auf solche Überschriften verzichten.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich will das Wort „Überlaufbecken“ aufgreifen, das gerade gefallen ist; das fand ich nicht schlecht. Wir haben eine gewisse Unruhe im ländlichen Raum. Ihn stört am meisten, dass er sich häufig als Verfügungsmasse empfindet,

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

auf die man zurückgreift, um bestimmte Dinge tun zu können.

Das Wertvollste, was der ländliche Raum hat, sind Grund und Boden. Der ländliche Raum hat die Fläche, auf der tatsächlich Verkehrswege gebaut werden müssen und auf der Naturschutzprojekte umgesetzt werden können. Das kann man im Zweifelsfall nur im ländlichen Raum machen.

Den Menschen ist aber wichtig, dass es immer gut begründet geschieht, wenn es denn geschieht, und dass wir immer wieder das Signal senden, dass wir nur die Fläche in Anspruch nehmen, die wirklich absolut notwendig ist, ohne darüber hinauszugehen.

Beim Rheinischen Revier kann man sich schon fragen, ob wir in der Vergangenheit eigentlich das Recht hatten, die Braunkohle dort so abzubauen, wie es geschehen ist. Denn es hätte die Alternative gegeben, konsequent Energie einzusparen, um eben nicht solche Eingriffe vornehmen zu müssen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Das Gleiche gilt für den Kiesabbau am Niederrhein und auch für den Kalksteinabbau im Kreis Steinfurt, bei dem es um die Zementwerke geht.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Die Menschen sagen: Es kann doch nicht sein, dass hier immer weitergemacht wird wie seit Jahrzehnten, obwohl wir gleichzeitig wissen, dass es Möglichkeiten gibt, den Bauschutt aufzubereiten und wiederzuverwenden. – In diesem Land landet Bauschutt aber immer noch auf der Deponie. Das kann nicht sein. Es muss beendet werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Natürlich müssen wir uns die Frage stellen, ob die großen Logistikzentren beispielsweise von Amazon, die in der jüngsten Vergangenheit entstanden sind, tatsächlich in dieser Form sein müssen. Bäuerinnen und Bauern, die diese Flächen von zig Hektar sehen, fragen sich schon, welchen Wert eigentlich ihr Ackerland hat, wenn es einfach so verbraucht werden kann.

Wir führen auch die Debatte darüber, wie viel Solarfläche im ländlichen Raum wir zulassen. Auf diese Gebäude der Logistiker gehören zuallererst Solaranlagen. Danach kann man in der Tat in die Freifläche gehen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich finde es schon entscheidend, wie Sie den ländlichen Raum betrachten, Herr Rasche. So, wie Sie es beantragt haben, ist das der Blick von oben herab auf den ländlichen Raum.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie sagen: Wollen wir doch einmal schauen, wie wir die Menschen aus den Städten, die dort keine Wohnung mehr finden, im ländlichen Raum platziert bekommen. – Der Kollege Nolten hat Ihnen bereits gesagt, dass gerade in den Speckgürteln überhaupt nichts mehr geht. Das ist also gar nicht die große Alternative.

Die Menschen, die auf dem Land leben, leben gerne dort und denken sich etwas dabei. Die Menschen, die in unseren Großstädten leben, wollen bewusst dort leben und denken sich auch etwas dabei. Deshalb lösen wir die Wohnungsprobleme von Bonn nicht in der Eifel, sondern müssen sie schon in Bonn lösen. Anders wird es aus meiner Sicht nicht gehen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sie haben verlangt, dass wir das Angebot an Bildung, Kultur, Sport und Freizeit deutlich ausbauen.

(Zuruf von Christof Rasche [FDP])

– Herr Rasche, da sind wir bei Ihnen; das finden wir durchaus richtig. Ich sage Ihnen aber: In den 60er-Jahren war es kein Problem, einen Telefonanschluss zu bekommen, wenn Sie einen Bauernhof 10 km von der Ortslage entfernt hatten. Beim Breitbandausbau ging genau das dann aber jahrelang nicht. Es hing allein davon ab, ob es sich für das Unternehmen, das die Strippen gezogen hat, rechnet. Genau das war das Problem.

Die Bahnhöfe, die in Deutschland geschlossen wurden, und die Zigtausenden Bahnkilometer, die abgebaut wurden, sind geschlossen und abgebaut worden, weil eine Partei wie Ihre eine Privatisierungsideologie durchgesetzt hat. Das ist das Problem der ländlichen Räume.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wenn es nach Ihnen ginge, wenn es nach der FDP ginge, würden die Züge nur noch zwischen Köln und Berlin fahren, weil sich das lohnt.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE] – Zuruf von Christof Rasche [FDP])

Deshalb ist Ihr Engagement für den ländlichen Raum lächerlich. Das nimmt Ihnen keiner ab.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es geht um die Solidarität zwischen den städtischen und den ländlichen Räumen. Wenn wir jedoch solidarisch miteinander umgehen und Flächen erst in Anspruch nehmen, wenn es unbedingt sein muss, wenn wir den Breitbandausbau für alle Menschen in unserem Land ermöglichen, wenn wir die Grundschulen im ländlichen Raum genauso wichtig nehmen wie die Grundschulen in der Stadt, wenn wir die Menschen gleichbehandeln, habe ich keine Sorge, dass die Menschen in diesem Land sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum gut miteinander leben und ihre Zukunft gut meistern werden. Dazu hätte es Ihrer Aktuellen Stunde heute allerdings nicht bedurft, denn das schaffen die Menschen auch ohne die FDP. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)