Norwich Rüße: „Um solche Skandale zukünftig verhindern zu können, brauchen wir einen Dreiklang aus verbesserten Kontrollen, besserer Förderung regionaler Wertschöpfungsketten und aus besserer Verbraucherbildung“

Entschließungsantrag von SPD und Grünen zum Pferdefleischskandal

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Werter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte nicht gedacht, dass ich Schimmel auf einer Lasagne mal so relativ harmlos sehen würde, seitdem wir über Schimmel in der Lasagne reden.
Ich halte es für sehr gut, dass Sie heute diesen Antrag gestellt haben. Ich finde es richtig, dass wir uns mit dem Thema beschäftigen. Es ist ein guter Impuls. Er hätte es verdient, heute Abend etwas eher diskutiert zu werden.
Wenn ich mir Ihren Antrag jedoch genauer ansehe, stelle ich fest: Sie reiten damit ein bisschen am Hindernis vorbei.
(Beifall von den GRÜNEN)
Man hat leider das Gefühl, mit Ihrem Antrag geht es Ihnen vor allem darum, wieder einmal Ihre Kernbotschaft loszuwerden, wonach 99 % aller Bauern und Lebensmittelhersteller korrekt arbeiten. Jetzt kommen wir zum entscheidenden Punkt. Dazu braucht es diesen Antrag nicht. Keiner von uns im Raum glaubt, dass das falsch ist. Wir sind doch alle davon überzeugt, dass 99 % korrekt arbeiten. Es geht in der Tat um dieses 1 % schwarzer Schafe.
Das zweite Problem ist: Sie verweigern sich komplett der Einsicht, dass dieser Skandal auch systembedingt ist. Wir hätten das doch gar nicht geglaubt. Wir stehen alle wieder einmal staunend davor, wie die Nahrungsmittelindustrie funktioniert.
Produktionsketten und Handelswege einer modernen Industrie offenbaren sich: Ein Tiefkühlkosthersteller in Frankreich ordert Fleisch bei einem südfranzösischen Unternehmen. Das wiederum bestellt Fleisch über einen zypriotischen Zwischenhändler, der das Fleisch aus Rumänien organisiert. – Dass auf solch weiten Wegen quer durch Europa und wieder zurück schon einmal ein Pferd zu Rind wird, kann uns eigentlich nicht wirklich erstaunen, auch wenn wir etwas anderes erwarten.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Deppe?
Norwich Rüße (GRÜNE): Nein, jetzt nicht, sonst immer gern.
Vizepräsident Oliver Keymis: Jetzt nicht? – Gut.
Norwich Rüße (GRÜNE): Es geht doch nicht immer, Herr Deppe. – Dieses System aus internationalen und weit verzweigten Produktionsketten hat am Ende nur ein Ziel. Es geht um den billigsten Preis am Markt.
An der Stelle müssen wir uns als Verbraucherinnen und Verbraucher doch einmal fragen, welche Qualität so ein geschenkter Gaul in der Lasagneform für 1,29 € überhaupt hat. Ganz wichtig finde ich: Dies gilt nicht nur für uns Konsumenten. Das gilt auch für diejenigen, die mit dem Fleisch handeln und das Fleisch verkaufen. Auch Manager in der Lebensmittelkette müssen genau wissen, was sie zu Billigpreisen einkaufen und dann an andere weiterverkaufen. Wenn die uns weiß machen wollen, dass sie ein Qualitätsprodukt verkaufen, dann wiehern doch nur noch die Pferde.
(Beifall von den GRÜNEN)
Der Lebensmittelhandel ist an der Stelle eben nicht nur ein Opfer. Er ist genauso ein Täter. Er ist für diese Skandale mitverantwortlich.
Allerdings müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass die Strukturen im Moment so sind wie sie sind. Deshalb müssen wir zu allererst die Hersteller dazu bringen, dass sie ihre waghalsigen Produktionssysteme – denn es sind waghalsige Systeme – durch verantwortungsbewusste starke Eigenkontrollen absichern.
Wir müssen aber auch über unsere eigenen staatlichen Kontrollsysteme diskutieren. Sind sie ausreichend? Sind sie der Zeit noch angepasst? Natürlich sind unsere Kontrollsysteme noch auf den Metzger vor Ort ausgerichtet. Wir haben aber eben Großschlachthöfe, und die Händler sitzen ganz woanders. Darauf muss man entsprechend reagieren.
Wir sehen in dem Zusammenhang die Einrichtung von Sonderdezernaten bei den Staatsanwaltschaften und vor allem auch die komplette Abschöpfung erzielter Unrechtsgewinne als ganz wichtige Instrumente an, um solche Geschäfte demnächst nicht mehr lukrativ sein zu lassen.
Sehr geehrte Damen und Herren, neben besseren Kontrollen und höheren Strafen brauchen wir aber vor allem eine lückenlose Kennzeichnung. Wir hätten uns in der Vergangenheit wirklich gefreut, wenn uns andere dabei einmal unterstützt hätten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir wollen, dass Verbraucherinnen und Verbraucher unmittelbar und sofort auf der Verpackung erkennen können, was in der Lasagne ist und woher die Zutaten kommen. Wir wollen kurz und knapp, dass Ross und Reiter klar genannt werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Neben besseren Produktkontrollen und besseren Informationen wollen wir aber auch einen Systemwechsel. Wir wollen, dass regionale kurze Wertschöpfungsketten wieder gestärkt werden. Es ist aber klar: Da bedarf es in Berlin einer 180-Grad-Kehrtwende in der aktuellen Agrarpolitik. Dafür ist die Zeit auch reif. Das zeigen die Skandale der Vergangenheit.
Ich komme zum Schluss. Um solche Skandale zukünftig besser verhindern zu können, brauchen wir einen Dreiklang aus verbesserten Kontrollen, besserer Förderung regionaler Wertschöpfungsketten und nicht zuletzt auch aus besserer und intensiverer Verbraucherbildung. Nur wenn wir eine andere Wertschätzung für Lebensmittel erreichen, wenn wir wieder einen kritischen Blick der Verbraucherinnen und Verbraucher auf das erreichen, was sie jeden Tag essen, bekommen wir es hin, dass wir gegenkontrollieren, was uns Lebensmittelhersteller und Lebensmitteleinzelhandel jeden Tag auftischen.
Zu dieser Problemlösung trägt unser Entschließungsantrag deutlich stärker bei als Ihr ursprünglicher Antrag. Deshalb bitte ich, unseren Entschließungsantrag zu unterstützen, und sage in diesem Sinne noch: Augen auf beim nächsten Lasagnekauf!
(Beifall von den GRÜNEN)