Norwich Rüße: „Sie sind an der Stelle völlig einseitig unterwegs, das ist für eine politische Partei sehr enttäuschend“

Zum Antrag der FDP-Fraktion zur Lebensmittelversorgung

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brockes, Ihr vehementer Einsatz für freie Fahrt für Pflanzenschutzmittel hat mich schon ein bisschen überrascht. Mich würde tatsächlich freuen, wenn Sie das so differenziert sähen und daran auch so differenziert herangingen, wie es die Kollegin Kahle-Hausmann gerade getan hat.

In der Geschichte der Pflanzenschutzmittel muss man immer abwägen zwischen Erträgen, die man erwirtschaften will – und damit ökonomischen Vorteilen, die es gibt –, und Fragen der gesundheitlichen Risiken, der Umweltschäden und der Artenvielfalt, die uns stark bewegt.

Ich gehe davon aus, dass Sie das Buch „Der stumme Frühling“ von Rachel Carson kennen. Es wurde 1962 geschrieben und hat damals zum ersten Mal die in der Nachkriegszeit einsetzende starke Verwendung von Pflanzenschutzmitteln kritisiert. Da ging es vor allem um DDT. Im Zuge meiner Mitarbeit auf unserem Hof wurde in den 80er-Jahren die Frage von Atrazin im Maisanbau stark diskutiert. Jetzt diskutieren wir, inwieweit Neonicotinoide ein Problem darstellen.

Sie machen es sich wirklich reichlich einfach damit, zu sagen, es entstünden nur 100 Euro Mehrkosten, wenn man es anders mache. Ich finde, Sie müssen das schon ein bisschen anders darstellen. Man muss hier einen Abwägungsprozesses vornehmen. Das tun Sie nicht. Sie sind an der Stelle völlig einseitig unterwegs. Das ist für eine politische Partei sehr enttäuschend.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Hinzu kommt: Wir hatten in den 80er-Jahren tatsächlich eine starke Debatte. Damals gab es den Bericht zu Umweltbelastungen der Landwirtschaft, in dem auch einiges über Pflanzenschutzmittel geschrieben worden ist. Daraus hat sich dann der integrierte Pflanzenschutz entwickelt.

Es geht darum, zu gucken, wie man die Mengen reduzieren kann. Wir müssen aber feststellen, dass das in der Umsetzung schwierig ist. Sie schreiben in Ihrem Antrag, dass da viel passiere und keine Mittel zu viel eingesetzt würden. Dem kann ich so nicht zustimmen. Aufgrund der Reduktionsziele, die wir seit Jahren verfolgen, haben wir auch einen Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln aufgelegt, mit dem wir klar sagen, dass wir gerade aufgrund der Problematik im Bereich „Artenvielfalt“ die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln herunterfahren wollen. Das schaffen wir aber einfach nicht. Wir haben eine Stagnation auf relativ hohem Niveau. Davon müssen wir weiter herunterkommen.

Wir können ja über die Pläne der EU diskutieren. Sie als FDP waren aber Teil der Bundesregierung und haben es auch nicht geschafft, dass wir die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln auf das wirklich absolut notwendige Maß reduzieren. Das haben wir nicht geschafft.

Wir waren in den 80er-Jahren weiter. Dinge wie die Verwendung von Striegeln und Hacken im Maisanbau waren in den 80er-Jahren alle schon mal da. Das diskutieren wir jetzt wieder neu. Wie kriegen wir das hin? Was für technische Möglichkeiten haben wir? Da ist so viel möglich.

Jetzt komme ich zu dem Punkt, der mir mit am wichtigsten ist. Bei der Fragestellung, ob Glyphosat ein Problem ist, haben wir uns in der Debatte sehr auf die Frage konzentriert – so sind Menschen nun einmal –, ob es für den Menschen schädlich ist. Das ist natürlich eine wichtige Frage. Genauso wichtig ist aber die Frage: Schädigt es die Natur? Schädigt es die Artenvielfalt?

Die Hinweise, dass wir hier einen erheblichen Forschungsbedarf haben, waren doch gut. An der Stelle zitieren Sie auch die EFSA nicht richtig. Die EFSA hat gesagt: Ja, wir sind dafür, dass es zugelassen wird; wir sehen aber sehr wohl Risiken. – Die EFSA hat abgewogen. Sie hat nicht gesagt, dass Glyphosat völlig unproblematisch sei.

Noch ein Letztes – Herr Brockes, Sie waren auch dabei –: Als der Ukraine-Krieg ausgebrochen ist, hatten wir einen niederländischen Landwirt im Ausschuss, der in der Ukraine 20.000 ha bewirtschaftet. Um das einmal zu übersetzen: Wenn ein Landwirt 20.000 ha bewirtschaftet, brauchen wir im Kreis Borken noch genau vier Bauern, um den gesamten Kreis zu bewirtschaften. Solche Farmen finden Sie auch in Südamerika, zum Beispiel in Argentinien und Brasilien. Diese riesigen Farmen setzen natürlich auf Glyphosat, weil sie solche Dimensionen anders gar nicht bewirtschaften können.

Jetzt frage ich Sie: Wofür stellen Sie eigentlich diesen Antrag? Ist das wirklich im Sinne unserer nordrhein-westfälischen bäuerlichen Landwirtschaft? Im ersten Moment vielleicht. Aber wir haben doch in den letzten Jahren erlebt, dass unsere Landwirte nicht in der Lage sind, am Weltmarkt zu konkurrieren. Den Billigen Jakob können wir da nicht machen. Das geht nicht. Dafür ist die Monteurstunde in der Landmaschinenwerkstatt in Deutschland zu teuer, und auch die Arbeitskräfte sind hier zu teuer.

Wir leben in Nordrhein-Westfalen und haben einen riesigen Markt vor der Haustür. Auf diesen Markt müssen wir uns konzentrieren. Dann stellt sich die Frage: Wie machen wir das? Wir müssen doch Qualitäten anbieten.

Eine Qualität kann sein, Pflanzenschutzmittel minimal einzusetzen.

Ich glaube im Übrigen, dass das wichtigste Instrument eine Ernährungsstrategie wäre. Würden wir eine solche Ernährungsstrategie machen und zu einem ambitionierten Kantinenprogramm kommen, würde es mehr bringen, das als Koalition durchzusetzen, als das, was Sie mit Ihrem Antrag vorschlagen. Deshalb lehnen wir den Antrag ab. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

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