Norwich Rüße: „Ökologisierung der europäischen Agrarpolitik – das ist kein Luxus, das ist zwingende Notwendigkeit angesichts des Debakels in der Natur, das wir erleben.“

Antrag von SPD und GRÜNEN zur Bäuerlichen Landwirtschaft

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn eine neue Agrarförderperiode ansteht, entscheiden wir jedes Mal darüber, wie der weitere Weg der Landwirtschaft ausgestaltet wird. Weil das für unsere Betriebe und für unsere Kulturlandschaft hier in Nordrhein-Westfalen wichtig ist, ist es auch wichtig und richtig, dass wir hier im Landtag von Nordrhein-Westfalen darüber diskutieren.
Wir müssen die entscheidende Frage beantworten: Wie soll sich die Landwirtschaft weiterentwickeln? Soll sie weiter immer intensiver werden, wie es in den letzten Jahrzehnten der Fall war, oder müssen wir vielleicht doch einen anderen Weg einschlagen?
Über die letzten Jahrzehnte hinweg gab es immer nur eine Richtung: Landwirtschaft musste immer produktiver werden – auch mit dem Ziel, Nahrungsmittel immer günstiger herzustellen. Rücksicht auf Kulturlandschaft, Rücksicht auf Nutztiere – ich erinnere an unseren Antrag zur Putenhaltung, über den wir heute Morgen diskutiert haben – oder Rücksicht auf die Natur waren zweitrangig oder hatten überhaupt keine Bedeutung.
Die Folgen dieser einseitigen Zielsetzung – ich glaube, die hat jeder von uns vor Augen –: 1970 gab es noch 100.000 Bauernhöfe in Nordrhein-Westfalen, heute noch 35.000.
Die europäische Agrarpolitik hat diese Entwicklung maßgeblich mitbefördert. Denn das Prinzip war in der Vergangenheit einfach: Wer viel produziert hat, hat viel Geld bekommen. Oder jetzt: Wer viel Fläche hat, bekommt viel Fördergeld.
Das System ist so, dass 85 % der Agrargelder an nicht einmal 20 % der Betriebe umverteilt werden.
Das ist zutiefst ungerecht. Dann ist es auch kein Wunder, dass kleinere und mittlere Betriebe ausscheiden müssen.
Es ist aber auch zutiefst falsch, weil die Industrialisierung der Landwirtschaft äußerst negative Folgen hat. Die Artenvielfalt – ich glaube, da sind wir uns alle einig; das sagt auch jeder Historiker, der sich mit Kulturlandschaften beschäftigt –, die wir haben, ist von einer bäuerlichen Landwirtschaft geschaffen worden. Sie ist dadurch entstanden, dass eine Kulturlandschaft hergestellt worden ist. Aber wir sind derzeit in einem Prozess, in dem die sogenannte moderne Landwirtschaft diese Artenvielfalt wieder aus der Landschaft abräumt, wegräumt.
Genau deshalb ist es richtig, dass wir Grüne uns gemeinsam mit vielen Verbänden dafür stark gemacht haben, dass die Agrarpolitik klar ökologisch orientiert wird.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ökologisierung der europäischen Agrarpolitik – das ist kein Luxus, das ist zwingende Notwendigkeit angesichts des Debakels in der Natur, das wir erleben. Das Schlimme ist, dass selbst bei dem kleinsten Pflänzchen Greening, das da versucht worden ist – also zu gucken, dass Landwirtschaft sich stärker an ökologischen Gesichtspunkten orientiert –, die Bundeslandwirtschaftsministerin Hand in Hand mit dem Bauernverband nach Kräften gegengesteuert hat. An dieser Stelle kann man sagen – der Kollege Sundermann hat es eben schon erwähnt –, dass sie einfach nur bewusst schlecht verhandelt hat. Das sollte so sein.
Bei der Ausstattung der zweiten Säule weiß ich das gar nicht. Da würde ich ihr nicht unterstellen, dass das bewusst geschehen ist. Da würde ich sagen, dass einfach nur richtig schlecht verhandelt worden ist. Der Kollege Sundermann hat alles gesagt zu dem, was da passiert ist: wie die zweite Säule geplündert worden ist, wo parallel andere Länder der Europäischen Gemeinschaft für sich eine Aufstockung erzielt haben. Das ist eine Schande.
Besonders peinlich ist das aus unserer Sicht im Hinblick auf die Möglichkeit der Direktzahlung, die sich jetzt eröffnet. Ich habe eben gesagt: 85 % der Gelder an 20 % der Betriebe. Jeder Bürger, jede Bürgerin in diesem Bundesland würde sagen: Das ist zutiefst ungerecht. – Wir haben die Möglichkeit, umzusteuern; aber diese Bundeslandwirtschaftsministerin ist nicht wirklich dazu bereit, dies neu auszurichten.
Dabei sind es – das kann man auch nachweisen – gerade kleinere und mittlere Betriebe, die zur Artenvielfalt besonders beitragen. Ich nenne nur einmal das Beispiel der Milchviehhaltung. Milchkühe auf der Weide erleben wir so lange, wie wir bäuerliche Betriebe haben. Wenn Milchviehhaltung genauso industrialisiert wird, Herr Wirtz, wie wir es bereits in der Schweinehaltung, Hähnchenmasthaltung und Putenmasthaltung haben, dann verschwinden die Kühe von der Weide in der Stall. Wenn ich 1.000 Kühe habe, dann kommen die nicht mehr auf die Weide. Das ist ein Armutszeugnis, und da muss man gegensteuern!
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN – Zuruf von Karlheinz Busen [FDP])
– Der Kollege Busen ist hier ja auch mit an Bord. Sie haben sich ja gerade geäußert. Ich gehe jetzt noch mal zu Ihrem Antrag zurück.
Über den „Mähtod“, das Problem der Mähmaschinen, haben wir diskutiert. Das ist genau der Punkt: dass Kühe auf der Weide für die Tiere, die sonst noch dort leben, viel, viel verträglicher sind, als wenn alles nur noch abrasiert wird. Von daher müssen wir ein gemeinsames Interesse haben, die Weidehaltung von Rindvieh aufrechtzuerhalten.
Wir wollen diese Option – das steht im Antrag – maximal nutzen, um kleinere und mittlere Betriebe zu fördern. Wenn Sie uns sonst auch vorwerfen, Herr Busen, dass wir kleinere Betriebe vielleicht auch mal belasten, bitte ich Sie an dieser Stelle doch um Unterstützung für unsere Position, damit wir hier zu einer maximalen Umschichtung kommen.
An der Stelle gibt es ein Totalversagen von Frau Aigner. Ich kann nur eines sagen – das wird ja gleich auch wieder kommen –: Wenn man so vorgeht, muss man sich nicht wundern, wenn andere gar nicht erst zu einem Termin erscheinen. Da muss man schon gemeinsam verhandeln und sich gemeinsam auf ein gutes Papier einigen.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Rüße, die Redezeit.
Norwich Rüße (GRÜNE): Ja, genau, die Redezeit ist gleich zu Ende.
Vizepräsident Daniel Düngel: Danke.
Norwich Rüße (GRÜNE): Unser Antrag sagt: Es ist noch nicht zu spät. Noch besteht die Möglichkeit, die Agrarreform so zu gestalten, dass sie positiv ist für kleinere und mittlere Betriebe und für die ökologische Orientierung der Landwirtschaft. Wir brauchen eine deutlich andere Umsetzung auf nationaler Ebene, als Frau Aigner sie jetzt machen will. Wir wollen die neue Förderperiode besser für unsere Betriebe hier in Nordrhein-Westfalen nutzen. Dafür stehen wir als rot-grüne Koalition.
Wir werden das weiter beraten, und dann hoffe ich, dass wir alle nachher unter dem Antrag gemeinsam drunterstehen.
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)