Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich würde gerne so anfangen: Lebensmittel sind das, was wir jeden Tag brauchen, um zu leben. Ich glaube, dass uns diese Bedeutung von Lebensmitteln oft nicht wichtig genug ist. Wir nehmen das immer als selbstverständlich hin. Vielleicht muss man auch mal anerkennen, dass wir alle wenig Kontakt zu den Menschen haben, bei denen es tatsächlich knapp wird.
Bei der Frage der Inflation gibt es zwei Positionen, bei denen die Preissteigerung deutlich über dem Durchschnitt gelegen hat. Das eine waren die Kosten von Energie. Darüber haben wir lang und breit diskutiert, und da ist auch viel gemacht worden, um den Anstieg zu dämpfen. Das andere sind die Lebensmittel. Ich glaube, dass wir darüber in den letzten Monaten viel mehr hätten reden müssen. Geredet worden ist tatsächlich über Sonnenblumenöl. Das war dann die Debatte: Wie teuer wird Sonnenblumenöl, und können wir noch Fritten essen?
Aber tatsächlich haben in diesem Land viele Menschen Probleme, sich tagtäglich ihr Essen und vor allem am Monatsende ihr Essen zu besorgen. Das kann man sich mal angucken. Dann geht man mal am Monatsanfang in einen Lebensmitteldiscounter und noch mal nach dem 20. Da wird man eine Veränderung feststellen. Dann gehen weniger Menschen einkaufen. Trotzdem müssen sie alle jeden Tag etwas essen.
Dann können wir auch mal darüber nachdenken, was in den Haushalten passiert. Wir wissen das – das ist eben auch schon angedeutet worden –: Billige Lebensmittel sind oft zuckerhaltig und fetthaltiger; Erkrankungen usw. hängen da dran.
Ich finde es wichtig, dass wir miteinander anerkennen, dass es in diesem reichen Land Ernährungsarmut gibt. Wir müssen alles tun, um das zu beenden. Denn die Frage von Spaltung in einem Land hängt auch davon ab, ob wir diese … Ich finde, es gibt ein Grundrecht auf Ernährung, es gibt ein Grundrecht auf Wohnen, es gibt ein Grundrecht auf Wärme, auf eine warme Wohnung, und es gibt auch ein Grundrecht auf eine anständige Ernährung. Dem müssen wir nachkommen.
Jetzt ist die Frage: Wie kommen wir dahin? Hilft uns da so eine Preisbeobachtungsstelle wirklich weiter? Ich glaube das, ehrlich gesagt, nicht. Denn Datenerhebungen, Datensammlungen betreiben wir doch schon in dem Bereich. Es ist doch nicht so, dass die Daten nicht verfügbar sind.
Sie erwähnen in Ihrem Antrag die Big Four, auf die 85 % des Umsatzes im Lebensmitteleinzelhandel entfallen. Man sollte sich einmal mit der anderen Seite, mit den Lebensmittelkonzernen, die das produzieren, also mit den Verkäufern, unterhalten, wie es ist, wenn sie mit EDEKA oder Lidl verhandeln müssen, wie sie sich fast als Bittsteller vorkommen, weil die so eine Marktmacht haben. Da erwarte ich, dass das Bundeskartellamt endlich mal durchgreift.
Ich nenne hier das Beispiel der Landmaschinenhersteller. Da gab es in der Vergangenheit diverse Fusionen. Aus Fiat und Ford wurde New Holland. New Holland hat dann noch Case zugekauft. Dann wurde aber immer wieder gesagt: Aber das verkauft ihr jetzt bitte. Eure Marktposition wird zu groß. Das muss raus.
Oder nehmen wir das Molkereiwesen. Theo Müller verhandelt mit FrieslandCampina und kauft einen Teil raus. Das Kartellamt sagt: Nein, Tuffi aber nicht. Tuffi müsst ihr an eine andere Molkerei geben. Sonst wird eure Marktmacht zu groß.
An der Stelle frage ich mich: Was ist denn mit dem Lebensmitteleinzelhandel? Warum zwingen wir nicht EDEKA, die Netto-Gruppe abzugeben, bzw. Rewe, die Penny-Gruppe abzugeben, um da mal endlich ein bisschen mehr Wettbewerb reinzukriegen? Das wäre das, was notwendig wäre. Da hilft keine Preisbeobachtungsstelle. Ich erwarte, dass das Bundeskartellamt hier tatsächlich mal tätig wird.
Als es darum ging, ob sich Bauern in Liefergemeinschaften gegenüber ihren Molkereien organisieren können, wurde gesagt – daran kann ich mich erinnern –: Von der deutschlandweiten Milchmenge dürfen maximal 30 % in den Händen von Liefergemeinschaften sein. Sonst ist der Markt gefährdet.
Hier geht also der Appell ans Bundeskartellamt, zu handeln.
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Kollege Rüße, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage von Herrn Brockes.
Norwich Rüße (GRÜNE): Ja, immer. Herr Brockes.
Vizepräsident Christof Rasche: Dann, Herr Brockes, bitte sehr.
Dietmar Brockes (FDP): Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Kollege Rüße, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.
Ich bin wirklich bei Ihnen, was die Frage des Aufbrechens des Oligopols angeht, und sehe auch, dass dort dringendes Handeln der Bundeskartellbehörde notwendig ist. Deshalb meine Frage: Ist das nicht eine nachgelagerte Behörde des Bundeswirtschaftsministeriums?
Vizepräsident Christof Rasche: Jetzt kommen wir zur Antwort.
Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Brockes, ich finde es schon mal sehr schön, dass wir an der Stelle einer Meinung sind. Aber ich glaube, wenn der Bundeswirtschaftsminister das Bundeskartellamt anweisen würde, doch jetzt, bitte schön, mal den Lebensmitteleinzelhandel aufzuknacken,
(Zuruf von Henning Höne [FDP])
dann wären Sie der Erste, der sagen würde: Man greift doch nicht als Wirtschaftsminister in eine Behörde ein. Die sollen selbst tätig werden. Die sollen sozusagen ihre Ermittlungen machen und sollen den Markt beobachten.
Ich bin der Meinung, dass an der Stelle viel zu wenig passiert.
Ich finde, es liegt einfach auf der Hand, dass der Markt nicht in Ordnung ist. Es ist schön, dass wir einer Meinung sind, dass da etwas passieren muss.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Heiterkeit von Dietmar Brockes [FDP])
Ich komme zurück zur Ernährungsarmut. Es ist ja nicht so – das ist mir ganz wichtig –, dass in diesem Land Lebensmittel grundsätzlich zu teuer wären; darauf ist von den Vorrednerinnen und Vorrednern schon hingewiesen worden. Natürlich brauchen Bäuerinnen und Bauern auskömmliche Preise. In den letzten Jahrzehnten war es so, dass viele Betriebe aufgegeben haben, weil Lebensmittel so verdammt billig waren, wie sie waren.
Daher ist mir wichtig, dass wir diejenigen in den Blick nehmen, die wirklich Probleme haben, ihre Lebensmittel zu bezahlen.
(Julia Kahle-Hausmann [SPD]: Wie denn?)
Deshalb muss man aber nicht Lebensmittel grundsätzlich billiger machen. Ich bin der Meinung, die SPD sollte sich lieber mit uns zusammen darum kümmern, dass wir einen ausreichenden Mindestlohn haben und dass wir ausreichend hohe Renten haben; denn es ist ja gerade ein Problem im Alter. Es ist doch die versteckte Ernährungsarmut, dass alte Menschen oft nicht in der Lage sind, sich Lebensmittel zu kaufen.
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Kollege …
Norwich Rüße (GRÜNE): Darüber reden wir viel zu wenig. Wenn wir das anpacken, sind wir, glaube ich, einen erheblichen Schritt weiter.
(Julia Kahle-Hausmann [SPD]: Du machst dir einen schlanken Fuß, Norwich!)
– Ich mache mir keinen schlanken Fuß.
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Kollege, mir ist die Redezeit wichtig.
Norwich Rüße (GRÜNE): Mir auch.
Vizepräsident Christof Rasche: Die haben Sie deutlich überschritten. Aber der Kollege Vogt hat noch eine Zwischenfrage. Das gibt Ihnen die Möglichkeit, weiterzureden.
Norwich Rüße (GRÜNE): Ich danke ihm.
Vizepräsident Christof Rasche: Das habe ich mir gedacht. – Herr Vogt, bitte.
(Hendrik Schmitz [CDU]: Eine Stützfrage? – Heiterkeit)
Norwich Rüße (GRÜNE): Alte Freundschaft.
Alexander Vogt (SPD): Herr Rüße, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage oder Endfrage zulassen. – Wenn man das so hört, ist es das Klassische, was Sie sagen: Die Bundesregierung oder irgendwelche anderen Ebenen sollen wieder alles machen; Sie haben wieder nichts damit zu tun.
Sie sagten, dass Sie eine Preisbeobachtungsstelle in der Landesregierung ablehnen. Das habe ich gerade auch vom Redner der CDU gehört. Es gibt andere Bundesländer, zum Beispiel Baden-Württemberg, die im Ministerium eine Abteilung „Markt und Ernährung“ eingerichtet haben. Das ist immerhin kein SPD-regiertes Land, sondern dort regieren andere Parteien, die das hier ablehnen.
Würden Sie so etwas angesichts der Dramatik der Situation, was Lebensmittelpreise angeht, die die Menschen draußen jeden Tag erleben, nicht für notwendig halten?
Vizepräsident Christof Rasche: Bitte die Frage beantworten.
Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank für die Frage, weil sie mir noch einmal Gelegenheit gibt, den Unterschied deutlich zu machen. Ich glaube, dass so eine Preisbeobachtungsstelle viel kostet und am Ende wenig bringt. Darin sind die Ministerin und ich uns sehr einig. Ich bin mehr dafür, dass wir solches Geld in Hilfen stecken, die direkt bei den Betroffenen ankommen.
(Inge Blask [SPD]: Aber kein Cent im Haushalt!)
An der Stelle nenne ich noch einmal das Schulobstprogramm, das wir haben,
(Beifall von der CDU)
mit dem wir tatsächlich unmittelbar jeden Morgen Kindern gerade auch in schwierigen Stadtteilen Unterstützung zukommen lassen. Das schafft Ihre Preisbeobachtungsstelle nicht.
(Alexander Vogt [SPD]: Das ist doch kein Gegensatz!)
Deshalb gehe ich lieber den anderen Weg. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)