Norwich Rüße: „Ich finde es eine Unverschämtheit, was diese Branche gemacht hat“

Antrag der GRÜNEN im Landtag zu Schlachthofbetrieben

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eine verbundene Debatte über zwei Dinge. Die Verbindung ist die Fleischindustrie.
Ich würde gerne erst ein paar Worte zur Großen Anfrage sagen. Wir haben an der Stelle eine Menge Zahlen bekommen. Ich denke, der SPD-Kollege wird darauf noch ein bisschen näher eingehen. Mein Eindruck war allerdings, dass es viele Fragen gab, auf die die Landesregierung keine wirklichen Antworten hatte. Ich sage nicht, dass Sie nicht antworten wollten, sondern ich glaube, dass es schlichtweg nicht möglich war, die Fragen zu beantworten.
Bei der Ernährungsbranche bzw. -industrie haben wir das Problem, dass vieles an der Schnittstelle zwischen Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium passiert. Dann zerreibt sich so ein Thema manchmal ein wenig. Mein Eindruck ist, dass die Große Anfrage uns nicht die Antworten gegeben hat, die wir gerne gehabt hätte.
Ich nehme vorweg, dass wir Grüne dem Entschließungsantrag der SPD zustimmen werden, da es tatsächlich ein evidentes Problem ist, dass es kein Konzept der Landesregierung dazu gibt, wo wir hinwollen. Wir diskutieren seit Jahren darüber, wie wir die Lebensmittelindustrie und die dahinterstehende Landwirtschaft neu aufstellen wollen und was der Weg dahin sein soll. Seit einem Jahrzehnt sprechen bzw. diskutieren wir über den Weg der Weltmarktorientierung. Ich meine, wir sind uns mittlerweile alle einig, dass das wohl keine große Zukunft haben wird. Wir brauchen also ein neues Konzept. Das wird in dem Entschließungsantrag thematisiert, und das unterstützen wir.
Diese Branche hat grundsätzlich eine gute Perspektive. Das ist so. Die Ernährungsgewohnheiten haben sich verändert, und da ist – um es ganz einfach zu sagen – Geld zu verdienen. Wir in Nordrhein-Westfalen sollten natürlich schauen, dass wir für unsere Unternehmen Möglichkeiten finden, da mitzuspielen.
Es kann aber nicht sein, dass man in einer solchen Branche – und damit sind wir bei der Fleischindustrie – mit unfairen Bedingungen agiert und andere kaputt konkurriert. Wir haben viel über das Verschwinden kleiner Landmetzgereien gesprochen. Ich denke, wir wissen mittlerweile alle, warum sie die Segel streichen mussten. Es lag unter anderem daran, dass kein Landmetzger für 5 oder 6 Euro Schweine schlachten kann. Das geht einfach nicht. Dass wir dem nicht eher einen Riegel vorgeschoben haben, verärgert mich im Nachhinein immer noch.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich sage ganz deutlich, dass das Verhalten der Fleischbranche – damit sind nicht alle, aber viele gemeint; das hat der Prüfbericht ergeben – auch dem Wirtschaftsstandort NRW schadet. Wir sind ein starker Standort der Fleischverarbeitung, wir haben hier große Schlachthöfe. Aber wir erwarten auch, dass die Menschen in diesen Unternehmen faire Arbeitsbedingungen vorfinden.
Ich sage auch ganz klar, dass das, gerade in Osteuropa, dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schadet. Wir haben eine Geschichte, in der nach 1942 Millionen von Osteuropäern nach Deutschland gezwungen worden sind, um hier zu arbeiten. Ich meine, dass wir es alleine vor diesem Hintergrund den Ländern schuldig sind, den Menschen, die hierherkommen, um zu arbeiten, anständige und faire Bedingungen zu bieten.
Herr Minister Laumann, ich bin Ihnen wirklich dankbar für die Überprüfung, die Sie durchgeführt haben. Im Ausschuss hatten wir eine Diskussion darüber, und ein Kollege, der noch nicht so lange im Landtag ist, hat herübergerufen: Die CDU hat das als Erste gemacht. – Sie wissen genau wie ich, dass das nicht stimmt.
Wir haben 2013 eine Überprüfung durchgeführt. Ich vermute sogar, dass Sie sich ein bisschen am Konzept der damaligen Überprüfung orientiert haben, da Ihre, etwa die Anzahl der Betriebe betreffend, sehr ähnlich aufgebaut ist. Erschreckend ist, dass das, was 2013 an Verstößen entdeckt wurde, in Ihrer Überprüfung 2019 eins zu eins wieder auftauchte. Es hat keinerlei Verbesserungen gegeben. Diese Branche hat die Versprechen, die sie nach 2013 gegeben hat, also gebrochen. Das ist kein fairer Partner für die Politik.
(Beifall von den GRÜNEN und Dr. Ralf Nolten [CDU])
Ich wünsche Ihnen wirklich viel Kraft und viel Energie, dass Sie sich mit Ihrer Linie durchsetzen, dem ein P vorsetzen und dafür sorgen, dass diese Unternehmen sich endlich an Recht und Gesetz halten.
Der Bundesarbeitsminister hat ganz klar gesagt, was er alles will. Ich erwarte, dass sich auch der Bundes- und der Landeswirtschaftsminister klar dazu positionieren und dass die NRW-Landwirtschaftsministerin erklärt, dass es so nicht geht.
Denn wir wollen nachher nicht wieder die Situation haben, dass ein Arbeitsminister sagt: „Diese Arbeitsbedingungen sind eine Katastrophe“, während der Wirtschaftsminister meint: Aber wir müssen ja irgendwie international wettbewerbsfähig bleiben; das geht doch alles nicht.
Eines zum Vergleich: Niemand ist auf die Idee gekommen, im Ruhrkohlebergbau ukrainische Bergleute zu holen – das hätte man auch machen können –, die Arbeitsstandards richtig runterzufahren und mit Unfallrisiken zu arbeiten wie in Russland. Dann könnte man vielleicht in Deutschland heute noch Kohle fördern. Das würde ja vielleicht gehen. Niemand ist auf die Idee gekommen.
Die Fleischbranche hat hier eine Gesetzeslücke genutzt und genau das getan, nichts anderes: Sie haben sich billige Arbeitskräfte geholt. Sie klären die Leute nicht auf, was Arbeitsschutz angeht.
Sie haben das alles in dem Bericht sehr gut dargestellt. Ich finde es eine Unverschämtheit, was diese Branche gemacht hat. Da muss die Politik agieren, handeln.
(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE])
Wie gesagt, meine Unterstützung haben Sie da an der Stelle voll und ganz. Ich wünsche Ihnen viel Kraft und Energie, sich da durchzusetzen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und von Josef Neumann [SPD])
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Norwich Rüße (GRÜNE): Ich habe aufmerksam zugehört, und ich bin ein bisschen entsetzt über die Beiträge der FDP. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Diese Form von Werkverträgen ist nichts anderes als Leiharbeit. Das ist Leiharbeit, was da passiert, und sonst gar nichts, und das gehört verändert und abgeschafft.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das System der Werkverträge gehört auf seinen Ursprung zurück eingedampft. Diese Branche hat das ausgenutzt und ausgeweitet. Das geht überhaupt nicht. Es ist eine Sauerei.
(Monika Düker [GRÜNE]: So ist das!)
Ich kenne Schlachter, die mir gesagt haben, sie hätten früher gutes Geld auf dem Schlachthof verdient. Sie machten den Job jetzt nicht mehr. Sie hätten richtig gutes Geld verdient, seien aber verdrängt worden.
Herr Lenzen, Ihr Kollege Herr Diekhoff – er ist gerade nicht anwesend – hat darüber gesprochen – ich möchte fast sagen, darüber geschwafelt –, man dürfe die Menschen nicht auf den Immobilienmarkt verweisen. Er hat sich quasi für diese schlechte Unterbringung ausgesprochen.
Das kann ich überhaupt nicht verstehen. Ich habe das Gefühl, wir wiederholen hier das, was wir in den 60er- und 70er-Jahren mit den sogenannten Gastarbeitern gemacht haben. Wir tun so, als ob diese Menschen nur für ein paar Monate hier wären. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Das weiß jeder. Diese Arbeiter in den Schlachthöfen bleiben sehr oft auch dauerhaft hier. Ihre Kinder gehen hier in den Kindergarten und in die Schule. Wir müssen aufpassen, dass wir hier keine Parallelwelt schaffen, an der die nächste Generation wieder scheitern wird, weil wir sie von Anfang an nicht vernünftig integriert haben. Wir machen die gleichen Fehler noch einmal. Das kann ich nicht verstehen.
Ein letztes Wort. Wie können wir vor dem Hintergrund solcher Arbeits- und Wohnbedingungen erwarten, dass jemand, der nicht vernünftig ausgeruht ist, am nächsten Tag in Ruhe und mit Sorgfalt Tiere tötet! Es ist doch systemimmanent, dass es zu tierschutzrechtlichen Verstößen kommt, wenn wir die Arbeitskräfte nicht ordentlich behandeln und bezahlen und dafür sorgen, dass sie vernünftig untergebracht sind. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und Christian Dahm [SPD])
Der dritte Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Norwich Rüße (GRÜNE): Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich der Legendenbildung deutlich ein P vorsetzen möchte. Herr Minister Laumann, ich finde es gut, dass Sie jetzt so aktiv werden. Zur gesamten Wahrheit gehört aber doch dazu, dass die CDU seit 15 Jahren die Bundeskanzlerin stellt, und seit 15 Jahren wird in diesem Bereich blockiert, blockiert, blockiert.
Ich sage Ihnen, woran das liegt, nämlich daran, dass bislang das Bundeslandwirtschaftsministerium auf Bundesebene erhebliche Macht hat und für dieses System der Weltmarktorientierung der Fleischbranche die billigen Löhne ein entscheidender Faktor waren. Nur so war es möglich, dass eine Firma  wie Tönnies, dessen Besitzer heute ein Privatvermögen von 2 Milliarden Euro hat – das ist ja auch interessant; einer hat richtig daran verdient, aber geschenkt –, überhaupt ein solches Imperium entwickeln konnte. Man muss mal überlegen, aus welch kleinen Anfängen sich dieser Betrieb entwickelt hat und was er heute ist. Das ist möglich geworden, weil man auf diese Art und Weise mit osteuropäischen Arbeiterinnen und Arbeitern umgegangen ist.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dass die Bundesregierung da 15 Jahre lang blockiert hat, (Jochen Ott [SPD]: Und wer hat es geknackt? – Hubertus!)
jede aus den Ländern kommende Initiative blockiert hat, ist eine Unverschämtheit und wirft ein bezeichnendes Licht auch auf die Bundeskanzlerin. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Lass doch die arme Frau in Ruhe! Das muss ich jetzt noch sagen!)