Norwich Rüße: „Es reicht nicht aus, bei der Kompensation anzusetzen“

Antrag der GRÜNEN im Landtag gegen Flächenfraß

Portrait Norwich Rüße

Der Antrag

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Wir diskutieren jetzt quasi nahtlos weiter. Über eine Sache brauchen wir nicht lange zu streiten: Naturschutz und Lebensmittel wachsen nicht auf Beton.

Ich denke, diese gemeinsame Erkenntnis führt dazu, dass es wesentlich ist, den Eingriff ganz vorne soweit es geht einzugrenzen und dass der Erhalt von möglichst viel landwirtschaftlicher Fläche, von Acker- und Grünland zentral ist, wenn wir die Herausforderungen im Arten- und Naturschutz hier in Nordrhein-Westfalen überhaupt irgendwie bewerkstelligen wollen.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Ich will daran erinnern, dass wir in den letzten 50 Jahren 400.000 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche verloren haben; das sind 400.000 Hektar von einst 1,8 Millionen Hektar. Ich finde, das ist eine unglaubliche Zahl.

Diese 400.000 Hektar kann man in Vollerwerbsbetriebe umrechnen, die heute ungefähr eine Größe von 60 bis 70 Hektar bewirtschaften; dann wären das 6.000 landwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe, denen dadurch die Fläche verloren gegangen ist.

Diese 400.000 Hektar sind rechnerisch komplett Grünland. Wir wissen, dass dieses Grünland für den Naturschutz, für die Artenvielfalt, aber auch für die Grundwasserneubildung besonders wichtig ist. In der Vergangenheit haben wir viel über Wasser diskutiert. Der Schutz landwirtschaftlicher Fläche müsste uns allen ein zentrales Anliegen sein.

Ich betone es noch einmal, denn darin unterscheiden wir uns meines Erachtens: Es reicht nicht aus, bei der Kompensation anzusetzen; da kann man auch ein bisschen machen. Zentral ist aber, den Eingriff vorne deutlich einzugrenzen und einzudämmen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich habe bei einer Veranstaltung den Geschäftsführer der Kreisstelle der Landwirtschaftskammer Ruhr-Lippe gehört; Harald Lopotz hat gesagt: Wenn wir in Nordrhein-Westfalen mit dem Flächenverbrauch so weitermachen – führend ist hier mein eigener Kreis Steinfurt –, werden wir keine 200 Jahre mehr brauchen, um den letzten Quadratmeter landwirtschaftlicher Fläche umgewidmet zu haben. – Das kann nicht unser Ziel sein.

Wir haben auch im Zuge von Corona deutlich gemerkt: Es ist gut, wenn man eine heimische Lebensmittelversorgung hat. Es hat sich gezeigt, dass die Menschen in Nordrhein-Westfalen danach fragen. Sie wollen Lebensmittel aus Nordrhein-Westfalen haben.

Wir handeln aber nicht so. Wir schützen diese Fläche nicht wirklich; sie ist am Ende aus planerischer Sicht Freiraum. Sie ist die Freifläche draußen, über die man verfügen kann. Wenn man eine Straße bauen will, wenn man Gewerbegebiete ausweisen will, wenn man Wohnflächen braucht, ist das genau die Freifläche.

Es findet tatsächlich kein wirklicher Abwägungsprozess statt, bei dem überlegt wird, was es denn eigentlich bedeutet, wenn dieser Acker auch noch zugebaut wird. Was heißt es, wenn er über die nächsten 100, 200 Jahre keine Frucht mehr trägt und keine Nahrungsmittel bereitstellt in Abwägung zu dem, was wir erreichen, wenn wir ihn tatsächlich umnutzen?

  • 1a Baugesetzbuch schreibt eigentlich vor: Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden. – Die Realität ist eine andere. Jeder von uns hat schon viele Sonntagsreden gehört: Wir wollen den Flächenverbrauch halbieren.

Zunächst war das Ziel 2020, jetzt haben wir es auf Bundesebene auf das Jahr 2030 hochgesetzt, und bis 2050 wollen wir ihn auf netto null setzen. Ich vermute, wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir es nie schaffen, werden wir nie zu diesem Ziel kommen.

Ich erlebe den Umgang mit Grund und Boden gerade auch in den Regionalplänen; selbst da gibt es eine Art Dezemberfieber. Wenn die Planungsperiode zu Ende geht, schaut jede Kommune noch einmal, wie viel noch zur Verfügung steht, was noch gemacht werden darf, und zwar in dem Wissen, dass diese Fläche bei der nächsten Planungsperiode abgezogen wird, wenn sie nicht verbraucht wurde.

Daher ist es sinnvoll, sie zu verbrauchen. Es gibt keinen Anreiz für eine Kommune, tatsächlich Fläche zu sparen. Es ist immer sinnvoller, noch ein Gewerbegebiet auszuweisen. Davon müssen wir weg.

Die Kernforderung unseres Antrags ist, ein Planzeichen in der Landesplanung für landwirtschaftliche Fläche einzuführen, damit sie endlich einen Wert erhält und wir somit von diesem Freiflächengedanken wegkommen. Landwirtschaftliche Fläche hat einen Wert, der gegenüber einer Umnutzung bzw. einer Umwandlung in Gewerbeflächen ordentlich abzuwägen ist.

Warum Baumärkte, warum alle Gewerbegebiete ihre Parkplätze nicht auf oder unter den Gebäuden haben können, sondern daneben, ist für mich unerklärlich. Ich verstehe überhaupt nicht, warum das so gemacht wird. Das wäre alleine schon eine kleine Möglichkeit, um zu einer Veränderung zu kommen.

Wir haben noch einige weitere Forderungen im Antrag aufgelistet. Ich denke, dass wir alle zusammen deutlich mehr machen müssen,

(Vizepräsidentin Angela Freimuth zeigt das Ende der Redezeit an.)

um die Landwirtschaftsfläche endlich zu schützen und um der Erwartung, die Bäuerinnen und Bauern an uns haben, gerecht zu werden, wenn wir tatsächlich zusammen das Ziel haben, den Flächenverbrauch in diesem Bundesland endlich zu reduzieren. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN)

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