Norwich Rüße: „Erstmals wird es damit möglich, dass Tierschutzorganisationen als Sachwalter der Tiere auftreten“

Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Schulze Föcking, ich glaube, Sie haben eins noch nicht verstanden. Das, was Sie mit Verbesserung im Tierschutz beschreiben, wollen wir, glaube ich, alle. Aber die Verbandsklage hat eine ganz andere Funktion.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die kann man auch machen, und sie ergänzt das, was Sie wollen. Deshalb sollten Sie hier auch nicht immer so dagegen sein.
Beginnen wollte ich eigentlich – das trifft sich wieder mit Ihnen, Frau Schulze Föcking, oder mit Ihrer Partei – mit einem Zitat. Das Zitat hat mir nämlich außerordentlich gut gefallen und lautet:
„Wir setzen uns dafür ein, Tiere artgerecht zu halten und sie als Teil der Schöpfung zu achten und zu schützen.“
Herr Deppe, kommt Ihnen das bekannt vor? Herr Deppe, das Zitat haben Sie vor einem Jahr, als wir hier schon einmal das Gesetz eingebracht haben, vorgetragen. Dieses Zitat ist nämlich aus dem CDU-Grundsatzprogramm. Und ich sage Ihnen: Dieses Zitat, diesen Satz aus dem Grundsatzprogramm, unterschreibe ich sofort. Da bin ich mit Ihnen 1:1 einer Meinung. Jedoch haben wir einen Unterschied an dieser Stelle. Wenn man dieses Zitat wirklich ernst nimmt und wenn man Tiere wirklich aktiv schützen will, kommt man am Verbandsklagerecht für den Tierschutz nicht mehr länger vorbei.
Frau Schulze Föcking, Sie haben eben so eine Darstellung von Tierhaltung und Landwirtschaft gegeben, als ob dort alles zum Besten stünde. Ich stimme Ihnen völlig zu, als Sie mich zitiert haben: Natürlich ist es im überwiegenden Bereich in Ordnung; das ist überhaupt keine Frage. Natürlich haben Bauern kein Interesse daran, Tiere zu quälen.
Aber die Kehrseite müssen wir doch auch diskutieren. Wir haben jetzt erfahren, dass gerade in der Landwirtschaft 1.700 t Antibiotika eingesetzt werden. Die ehemaligen und ursprünglichen Schätzungen sind noch nicht einmal von der Hälfte ausgegangen. Das zeigt doch, dass dieser „Treibstoff der Massentierhaltung“ permanent eingesetzt werden muss, um die Tiere überhaupt noch in diesen Stallanlagen überleben zu lassen. Daher können Sie doch hier nicht sagen, dass alles in der Landwirtschaft zum Besten steht.
Wir alle kennen doch die immer wieder auftauchenden Bilder und Fernsehberichte von Missständen in der Tierhaltung. Da sage ich Ihnen ganz ehrlich: Auch ich war schockiert über die Bilder, was zum Beispiel in Bioställen möglich ist. Da können wir doch nicht sagen, dass alles in Ordnung ist. Das geht doch nicht.
Daher: Wenn man so etwas sieht, muss man das doch ernst nehmen. Dann muss man alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Tieren überflüssiges Leid zu ersparen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Daher ist es jetzt sehr konsequent, dieses Verbandsklagerecht einzuführen.
Wir haben dem Tierschutz in Deutschland Verfassungsrang gegeben. Da ist es doch eine konsequente Schlussfolgerung, wenn wir dann am Ende diese Klagemöglichkeit einräumen.
Ich möchte noch eine Sache zum Tierschutz sagen: Wenn ich sehe, wie Puten am Ende der Mast in den Ställen kriechen, nicht laufen können und da liegen – das ist eine Katastrophe –,
(Minister Guntram Schneider: Darum esse ich auch keine Pute!)
müssen wir doch mal darüber reden,
(Zuruf von Christina Schulze Föcking [CDU])
ob man an der Stelle gegen so eine Haltungs- und Zuchtform klagen können sollte.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Minister Guntram Schneider – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Mir hat eben absolut missfallen, Frau Schulze Föcking, wie Sie die Tierschützer diskreditieren – Sie haben sie „Laien“ genannt –, die als „Laien“ in den Kommissionen sitzen.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Rüße, würden Sie eine …
Norwich Rüße (GRÜNE): Nein, jetzt wird im Zusammenhang zu Ende geredet.
Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, dass Sie sie so diskreditiert haben. Wenn ich mit Tierschützern rede, bin ich immer wieder erstaunt, wie viel fachliches Wissen da vorhanden ist. Laien sind sehr wohl in der Lage, in solchen Prozessen mit zu urteilen und diese mit zu beurteilen.
Ich halte das auch für einen Affront gegen eine aktive Bürgergesellschaft, wenn man solche Laien so diskreditiert.
(Beifall von Sigrid Beer [GRÜNE])
Wir sollten an jeder Stelle in dieser Gesellschaft froh sein, wenn sich Bürgerinnen und Bürger aktiv einbringen. Das ist eine richtige und wichtige Maßnahme.
Wichtig finde ich auch Folgendes: Immer wieder wird suggeriert, dass wir ein Verbandsklagerecht machen und sich dann alles für die Tierhalter verschärft. – Das ist völliger Quatsch. Hier wird lediglich eine Rechtslücke geschlossen. An den grundsätzlichen Bedingungen von Tierhaltung ändert sich nichts. Die gesetzlichen Normen werden überhaupt nicht verschärft.
Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Rüße, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Deppe zulassen?
Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Deppe, jetzt dürfen Sie Ihre Zwischenfrage stellen.
Rainer Deppe (CDU): Herr Rüße, Sie haben eben diese angeblichen oder vielleicht tatsächlichen Zustände in Putenmastställen geschildert. Wenn das so ist, frage ich Sie: Wissen Sie, warum dann Ihr Minister da offenbar überhaupt nichts unternimmt und das alles so geschehen lässt? Er müsste unmittelbar eingreifen, wenn die Zustände so wären. Können Sie uns erklären, wie lange Sie warten wollen, bis ein Verbandsklagerecht Auswirkungen auf diese Haltung hat?
(Beifall von der CDU)
Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank, Herr Deppe, für die Frage. – Das lässt sich relativ leicht klären. Sie wissen, dass die Besatzdichten aus Sicht der Tiergesundheit völlig überhöht sind. Sie sind aber gesetzlich legitimiert. Sie können die Hähnchen- und Putenmastställe mit Tieren vollpacken. Dann müssen Sie zu Antibiotika greifen, und dies geschieht ständig.
Der Minister ist in NRW hingegangen und hat genau das überprüfen lassen. Ohne die Studien aus NRW wüssten wir doch heute noch nicht, dass Antibiotika der permanente Treibstoff sind, der da eingesetzt wird und mit dem die Tiere vollgedröhnt werden, damit sie überhaupt diese Haltungsform überleben können. Daher können Sie Herrn Remmel an der Stelle überhaupt nichts wollen.
Die Frage stellt sich andersherum. Ein Klagerecht bringt die Möglichkeit, gerichtlich überprüfen zu lassen, ob es aus Tierschutzgründen akzeptabel ist, dass Tiere so eng aufeinander gepackt werden, und ob man das Tieren zumuten kann.
Dann werden die geltenden gesetzlichen Normen überprüft. Dabei wird ein Gericht vielleicht feststellen, dass diese Normen falsch sind und dass man mit halben Besatzdichten arbeiten muss. Dann – das wissen Sie auch – würde sich der Antibiotikaeinsatz erheblich vermindern, wenn nicht gar ganz vermeiden lassen.
Insgesamt, meine Damen und Herren, können wir feststellen, wenn man sich den Gesetzentwurf anschaut, dass das ein sehr ausgewogener Gesetzentwurf ist, der überhaupt nicht Tierhalter oder Wissenschaft und Forschung überfordert. Er gleicht die Interessen zwischen Tierhaltern, Wissenschaft und Tierschutz ausgewogen aus.
Ich glaube, dass die Anhörung – da bin ich auch anderer Meinung als Sie von der CDU – damals sehr wohl ergeben hat, dass eine Verbandsklage ein erheblicher Fortschritt für den Tierschutz in NRW und in ganz Deutschland wäre.
Ich komme zurück auf das Zitat vom Anfang aus dem CDU-Grundsatzprogramm. Ich sage noch einmal: Wenn das wirklich unser gemeinsames ehrliches Anliegen wäre, Tiere zu schützen und das Leiden zu beenden, das es da immer wieder gibt, sollten wir alle zusammen diesen Gesetzentwurf verabschieden und uns alle gemeinsam hinter die Verbandsklage stellen.
Ich zitiere noch einmal einen Tierarzt aus der Anhörung: Der gesetzestreue Tierhalter hat vom Verbandsklagerecht überhaupt keine wirtschaftlichen Nachteile zu erwarten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Sie, Frau Schulze Föcking, als Vertreterin der Landwirtschaft könnten also gut mit diesem Gesetzentwurf leben.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und Simone Brand [PIRATEN])

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