Norwich Rüße: „Die Intensivlandwirtschaft ist gerade dabei, die Festplatte unserer Natur in NRW zu löschen“

HH 2012 Landwirtschaft

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer über den Einzelplan 10 redet, der muss auch über die Zukunft der Landwirtschaft und über den Zustand der Natur reden. Was ich eben seitens der CDU von Frau Schulze Föcking und von Herrn Busen gehört habe, war leider relativ wenig dazu. Sich ausschließlich auf Landwirtschaft zu konzentrieren, ohne die Wechselwirkung zwischen Landwirtschaft und Natur auch einmal zu beleuchten, ist deutlich zu wenig.
Dann zu gucken, was in diesem Bereich die Bauern betrifft, ist auch zu wenig, weil man immer sehen muss, wo dieser Einzelplan die gesamte Gesellschaft betrifft. Der ländliche Raum ist mehr als nur Bauern. Er umfasst auch Verbraucher und die anderen Menschen, die dort leben. Herr Busen – er ist nicht mehr da –, gerade im Kreis Coesfeld macht es sehr viel Sinn, sich darüber zu unterhalten, ob man noch mehr Großmastanlagen in diesem Kreis errichten will
(Beifall von den GRÜNEN)
oder ob man dort Wert darauf legt, nachhaltig mit der Landschaft umzugehen.
Wir haben es als Grüne gerade in Münster erlebt. Wir haben dort eine Veranstaltung mit 150 Teilnehmern durchgeführt und haben dort das Thema „Tierhaltung der Zukunft“ intensiv diskutiert. Da kamen Fragestellungen, die die Menschen bewegt haben. Die Fragen lauteten zum Beispiel: Wie muss die Landwirtschaft aussehen, damit sie im Einklang mit Tierschutz, mit der Natur und im Einklang mit den Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern steht?
Ganz am Ende geht es, wenn wir ehrlich sind, um die Grundsatzentscheidung: Wollen wir eine Landwirtschaft – das wollen Sie! –, die sich am Weltmarkt orientiert? Dann baut man einen Stall nach dem anderen.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Oder wollen wir eine Landwirtschaft, Herr Hovenjürgen, die für unseren heimischen Markt als bäuerliche Landwirtschaft produziert? Weltmarkt das eine, heimischer Markt das andere. Wenn ich für den heimischen Markt produziere, dann kann ich zu höheren Preisen verkaufen. Am Weltmarkt geht es darum: Wer kann es denn am günstigsten produzieren? Da konkurriere ich zukünftig mit russischen Fleischfabriken, die Herr Tönnies dort zurzeit ja bauen lässt.
Wenn man nur noch ökonomisch denkt, wenn man nur noch die Ökonomie im Blick hat, dann sollte man auf das zurückblicken, was in den letzten Jahren genau deshalb passiert ist: immer weiter wachsende Maisflächen, immer mehr Verlust an wertvollem Grünland,
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Biogasanlagen!)
weiter zu hohe Nährstoffeinträge im Grundwasser, Keime, Antibiotika und Tierschutzprobleme in der Tierhaltung – darum können Sie nicht vorbeigehen, Herr Hovenjürgen – sowie ein anhaltender Bauboom bei Stallanlagen, der weit vor 2010 begonnen hat. Deshalb ist es völliger Blödsinn, zu sagen, das sei erst nach 2010 passiert. 2008 hatte er schon eingesetzt. Sie haben die Schleusen für diese ganzen Mastställe geöffnet.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Meine Damen und Herren, einzelbetrieblich kann man das alles noch irgendwie rechtfertigen, sich geradebiegen. Ökologisch erleben wir gerade eine Katastrophe.
Den Bauernverbänden, die uns immer sagen, wir Bauern wirtschafteten im Einklang mit der Natur, muss man entgegenhalten: Was passiert denn draußen, was passiert in der Landwirtschaft? Was beobachten denn die Biologischen Stationen?
Schauen Sie einmal auf die Entwicklung des Brachvogelbestandes! Der Brachvogel hat sich weitgehend in die Schutzgebiete zurückgezogen, weil er in Gebieten, in denen Landwirtschaft stattfindet, überhaupt nicht mehr leben kann.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Gucken wir, Herr Hovenjürgen, auf den Bestand der Uferschnepfe. Es ist nicht mehr lustig,
(Beifall von Hans Christian Markert [GRÜNE])
wenn der Bestand der Uferschnepfe außerhalb von Schutzgebieten von 100 Brutpaaren in ganz NRW auf fünf Brutpaare heruntergeht. In dem Zusammenhang sage ich: Das ist Zusammenbruch von Natur, den wir hier erleben.
Ich möchte es einmal anders formulieren – da nehme ich eine Anleihe bei unserem Umweltminister –: Die Intensivlandwirtschaft ist gerade dabei, die Festplatte unserer Natur in NRW zu löschen.
Genau deshalb ist es richtig gewesen, Herr Höne, dass wir die Mittel im Naturschutzbereich für die Biologischen Stationen – deren Arbeit können Sie sich draußen angucken – erhöht haben, …
Präsidentin Carina Gödecke: Ihre Redezeit ist zu Ende.
Norwich Rüße (GRÜNE): … damit wir die Restbestände von Natur überhaupt noch retten können.
Präsidentin Carina Gödecke: Herr Rüße, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Norwich Rüße (GRÜNE): Ja, ich komme zum Ende. – Wünschenswert wäre allerdings, wenn wir das nicht über unseren Landeshaushalt tun müssten, sondern wenn die Preise die Wahrheit sagen würden. Denn die Billigschnitzel, die wir bei Penny, Aldi, Lidl usw. kaufen können, kommen uns am Ende teuer. All das, was wir an ökologischen Reparaturen machen müssen, müsste eigentlich in den Produkten eingepreist werden.
Wir jedenfalls halten den Haushalt für richtig aufgestellt und werden ihm natürlich zustimmen.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)