Norwich Rüße: „Der umfassender Antibiotikaeinsatz ist ein Offenbarungseid der sogenannten modernen Tierhaltung“

Antrag der Piraten zu Medikamenten in der Tieraufzucht

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Schulze Föcking, warum werde ich den Verdacht nicht los, dass Sie von der Schweinehaltung ablenken wollen und deshalb die Humanmedizin thematisieren?
(Beifall von den GRÜNEN und den PIRATEN)
Ich glaube, wir sollten das eine tun, ohne das andere zu lassen. Ich bin gespannt, wenn Sie den Antrag stellen. Das ist in Ordnung, wir sind dann auch dabei.
Nun zu Ihnen, liebe Piratenfraktion. Ich finde es durchaus löblich, dass Sie diesen Antrag hier einbringen und sich einem für uns wichtigen Thema widmen. Ich war auch, als ich gehört habe, dass Sie einen Antrag stellen würden, gespannt, wie er aussehen würde.
Dann ist die Spannung leider ein bisschen der Enttäuschung gewichen, als ich den Antrag gelesen habe. Ehrlich gesagt, finde ich Ihren Antrag blutleer. Er ist relativ inhaltslos, und er wird, finde ich, dem aktuellen Sachstand der Debatte nicht gerecht. Er wird auch dem nicht gerecht, was wir hier in den letzten anderthalb Jahren miteinander diskutiert haben. Sie sind doch eigentlich eine internetaffine Partei – das sagen Sie zumindest selbst immer –, da hätte es gereicht, finde ich, wenn Sie kurz einmal in die Parlamentsdatenbank eingestiegen wären und das Wort „Antibiotika“ eingegeben hätten. Dann hätten Sie eine Menge Beiträge, Anfragen, Anträge bekommen und jedes Wort, das wir in der Diskussion gesagt haben, lesen können und auch gesehen, dass wir schon deutlich weiter sind als Ihr Antrag.
Weil das so ein wichtiges Thema ist, haben wir es als grüne Faktion im Frühjahr 2011 erstmals auf die Tagesordnung des Umweltausschusses setzen lassen. Wir haben damals eine kurze Debatte geführt; es war nur ein Stochern im Nebel. Ich will an die kurze Phase der Debatte erinnern, nämlich vom Frühjahr 2011 bis zu dem Punkt, an dem wir in der Debatte heute stehen. Wir hatten damals überhaupt keine Daten. Der Bericht des Ministeriums musste kurz ausfallen – das hat uns alle nicht zufriedenstellen können –, weil keine Datenbasis vorhanden war.
Dann kam die Antibiotika-Studie unseres Umweltministers. Das, was bis dahin nur Vermutungen waren, ist damit belegt worden, dass nämlich – das ist die entscheidende Zahl – 92,5 % der Hähnchen im Laufe ihres kurzen Lebens mit Antibiotika in Kontakt kommen. Man könnte sagen: Fast jedes Hähnchen wird mit Antibiotika gemästet. Das ist gängige Praxis.
Dann kommt dazu die „Verschleppungsstudie“ als Nächstes. Das Land NRW hat wirklich eine Menge gemacht. In dem Zusammenhang kann man die niedersächsische Studie durchaus auch erwähnen. Der Beleg liegt vor: umfassender Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung! Dieser Gesamtbefund ist eine Katastrophe und auch ein Offenbarungseid für die sogenannte moderne Tierhaltung.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von den PIRATEN)
Eine Sache ist mir besonders wichtig; darauf will ich in diesem Zusammenhang auch noch einmal deutlich hinweisen: Es ist ja kein Zufall, dass wir im Jahre 2011 darüber diskutiert haben. Ohne die Wahlentscheidung 2010, ohne die rot-grüne Landesregierung läge das Ergebnis bis heute nicht vor, und wir würden bis heute nicht so intensiv über dieses Sachverhalt diskutieren können. Das ist wichtig, weil wir somit über die Gesundheitsgefährdung von Menschen und über Fragen des Tierschutzes reden. Wenn nämlich die Tiere in einem Schweinemaststall oder in einem Hähnchenmaststall dauernd unter Medikamente gestellt werden müssen, um überhaupt überleben zu können, hat das auch etwas mit Tierschutzbelangen zu tun. Es ist auch eine Frage, wie sich landwirtschaftliche Tierhaltung zukünftig grundsätzlich darstellt.
Alle Indizien deuten darauf hin, dass die Haltungsbedingungen nicht in Ordnung und ursächlich für den hohen Antibiotikaverbrauch sind. Wir brauchen ein Zurückgehen bei den Belegdichten, wir brauchen auch andere Rassen, und wir brauchen ein langsameres Fleischwachstum bei der tagtäglichen Gewichtszunahme. Dann benötigten wir die Antibiotikazugaben in den Mengen nicht.
Da Frau Kollegin Schulze-Föcking hier immer so apologetisch redet, finde ich es spannend, was wir heute gehört haben. Der Bauernverband hat in der Anhörung, die wir heute Morgen zu dem Thema hatten, gesagt, dass ihn die hohen Verbrauchszahlen bei Antibiotika sehr nachdenklich stimmten. Das ist zumindest ein erster Schritt zu mehr Erkenntnis.
In der Tat, es stimmt einen ja auch nachdenklich: Wir haben Antibiotikarückstände im Boden, im Wasser und sogar im Getreide. Mittlerweile können wir nämlich nachweisen, dass die Pflanzen das Antibiotika aus dem Boden wieder aufnehmen. Es reicht also nicht, nur darüber zu reden, wie viele Rückstände wir im Fleisch haben und ob das für uns direkt eine Gefahr birgt. Die Problematik ist viel größer. Darüber muss man viel breiter diskutieren.
Der sorglose Umgang mit Antibiotika in den letzten Jahren fällt uns jetzt auf die Füße. Andere Länder haben das verstanden. Die Niederlande oder Dänemark haben klare Reduktionsziele. Von Frau Aigner kommt an der Stelle gar nichts. Frau Aigner verharrt seit einem Jahr aus unserer Sicht mehr oder weniger im Dornröschenschlaf.
Minister Remmel hat klare Vorgaben gemacht, was man machen könnte, was man machen sollte. Das hätte Frau Aigner nur umsetzen müssen, dann wären wir erheblich weiter. Frau Aigner sitzt im Bremserhäuschen, aber im Notfall wird das eine andere Bundesregierung im Herbst angehen müssen.
NRW wird in dieser Frage bis dahin weiterhin Tempo machen. Von daher werden wir Ihren Antrag weiter diskutieren, aber wir müssen die Thematik deutlich weiter spannen, als Sie es in Ihrem Antrag gemacht haben. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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