Norwich Rüße: „Der Boden ist für uns alle die Lebensgrundlage“

Zur Antwort auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion zu Böden

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal ein Dankeschön an die SPD-Fraktion dafür, dass sie mit der Großen Anfrage ein spannendes Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat, über das es sich zu sprechen lohnt.

(Beifall von René Schneider [SPD])

Ein noch größeres Dankeschön geht an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien, die diese Arbeit erbracht haben und die vielen von Ihnen gestellten Fragen beantwortet haben.

Eine kritische Anmerkung. Die Anzahl der Großen Anfragen nimmt zu. Man sollte hin und wieder überlegen – auch ich habe schon Große Anfragen gestellt –, ob man mit der einen oder anderen Frage Fleißaufgaben verteilt, die man sich selbst durch Googeln leicht beantworten kann, oder ob man tiefsinnige, gute Fragen stellt. Darüber sollten wir alle miteinander nachdenken.

(René Schneider [SPD]: Sie vergeben aber jetzt keine Haltungsnoten, oder?)

Ich komme zurück zum Boden, der bei Ihnen im Mittelpunkt steht – Boden, nicht Fläche. Das ist wichtig. Der Boden ist für uns alle die Lebensgrundlage.

Denken wir einmal darüber nach, wie dünn diese Bodenschicht ist. Wenn man zum Beispiel bei mir im Sand-Münsterland gräbt, um einen Weidezaunpfahl einzusetzen, dann stößt man nach 50, 60 cm schon auf weißen Sand. Es gibt also nur eine sehr dünne Schicht, die fruchtbar ist.

Vergleichen wir das mit der Apfelschale, die den Apfel umgibt und schützt: Wenn der Apfel im Verhältnis ähnlich sein sollte wie die Erde zu der Bodenschicht, die uns alle ernährt, dann müsste dieser Apfel einen Durchmesser von 8,5 km haben.

Damit ist klar, wie verletzlich dieser Planet ist und wie verletzlich diese dünne fruchtbare Schicht ist, die uns trägt. Der Boden ist dafür verantwortlich, dass wir sauberes Grundwasser haben; er filtert. Der Zustand des Bodens ist mitentscheidend dafür, wie viel Wasser bei Starkregenereignissen, wie wir sie mehr und mehr haben, abgepuffert werden kann. Dafür brauchen wir den Boden. Der Boden ist aber, das ist gesagt worden, eben auch als Fläche zu verstehen. An der Stelle gibt es die Nutzungskonkurrenzen.

Der Boden ist von uns in den vergangenen Jahrzehnten im Sinne von Fläche immer mehr in Anspruch genommen worden. Wenn wir nur die kurze Zeitspanne von 2016 bis 2022 nehmen, also sechs Jahre, dann haben wir in Nordrhein-Westfalen der Landwirtschaft eine Fläche entzogen, die der Fläche der Stadt Köln entspricht. Dann gibt es immer das Problem der Shifting Baselines. Das kennen wir alle, vor allem aus dem Naturschutz. Wir sagen dann immer: Es kommt ein bisschen darauf an, womit ich vergleiche.

Ich finde es immer sehr spannend, wenn man das Jahr 1960 als Baseline nimmt und guckt: Wie viel haben wir da an Fläche verbraucht oder für andere Nutzungen umgewidmet? Dann fragt man sich: Wovon wollen wir uns eigentlich in den nächsten 100 Jahren ernähren? Welcher Boden soll uns denn tragen, wenn wir in Nordrhein-Westfalen seit 1960 eine halbe Million Hektar der Landwirtschaft entzogen haben? Heute haben wir noch 1,5 Millionen Hektar; aber eine halbe Million Hektar ist weg.

Um das einmal plastisch darzustellen: Das ist das komplette Münsterland. Wir denken uns einfach mal das Münsterland weg; das gibt es nicht mehr. An der Stelle wird doch klar – und ich hoffe, dass wir das alle miteinander teilen; aber das ist am Ende immer die Frage von Theorie und Praxis –: In der Theorie wissen wir alle, das geht so nicht weiter, das können wir nicht noch mal 50 Jahre machen. Oder aber wir sagen: Für die Ernährung nehmen wir den Boden anderer. Das ist dann unsere Entscheidung. Das können wir tun. Wir können sagen, vielleicht können wir uns mit Hilfe der Ukraine mit ihren vielen Millionen Hektar ernähren.

Aber die Krisen der Vergangenheit sollten uns gezeigt haben, wie gut es ist, wenn man eine heimische Landwirtschaft hat. Deshalb ist es gut, dass wir über Punkte wie das Planzeichen „Landwirtschaft“ reden. Das ist angesprochen worden. Ich kenne das auch aus der kommunalpolitischen Debatte. Wir reden über den Freiraum, als ob da nichts wäre.

Von daher ist es gut, dass wir diese Debatte führen und sagen: Wir wollen mal gucken, dass wir zumindest die wertvollsten, besten Flächen der Landwirtschaft geschützt und für Landwirtschaft reserviert kriegen. Denn ohne Essen sind wir alle nichts. Und zur Erwartung an die Landwirtschaft in der Zukunft: Wir gehen ja aus dem fossilen Zeitalter raus. Da geht es nicht nur um Energie, da geht es auch um Rohstoffe, um Hanffasern, um all das, was Landwirtschaft produzieren kann. Das wird die Industrie zunehmend haben wollen. Das muss irgendwo wachsen können. Deshalb ist das so wichtig.

Zum Schluss möchte ich auf Ihren Entschließungsantrag eingehen. Die Große Anfrage fand ich spitze, richtig gut; sie hat mir als Thema gut gefallen. Der Entschließungsantrag, finde ich, ist ein Flop, weil er all das, was das Thema „Boden“ umschließt, nicht erfasst.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Er ist kleinkariert. Darin steht auch Gutes; es ist nicht alles falsch, was da drinsteht. Aber aus dieser Großen Anfrage hätten Sie viel mehr machen können, als nur zu gucken: Wie kriegen wir Fläche mobilisiert?

(Alexander Vogt [SPD]: Was ist jetzt falsch an dem Antrag? Was ist denn falsch? Welcher Punkt ist falsch?)

Vizepräsidentin Berivan Aymaz: Die Zeit.

Norwich Rüße (GRÜNE): Deshalb können wir den Antrag auch nicht mittragen, freuen uns aber, mit Ihnen zusammen weiter über das wichtige Thema „Boden“ zu diskutieren. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)