Norwich Rüße: „Das ist dringend notwendig, wenn wir die Tierhaltung in Nordrhein-Westfalen langfristig halten wollen“

GRÜNEN-Antrag zu artgerechter Tierhaltung

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir stellen heute unseren Antrag zum Thema „Umbau der Schweinehaltung in Nordrhein-Westfalen“, weil wir deutlich schneller werden und viel mehr machen müssen. Wir alle wissen, dass wir in den letzten Jahren eine intensive Debatte darüber hatten, wie wir unsere Nutztiere in der Landwirtschaft halten. Wir wissen auch, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung mit der Form, wie wir unsere Nutztiere halten, nicht einverstanden ist.
(Zuruf von der AfD: Das behaupten Sie!)
– Das behaupte ich nicht nur – Sie können mir auch gerne eine Zwischenfrage stellen –, das ist auch durch diverse Umfragen belegt. Es gibt also an der Stelle überhaupt keinen Dissens.
(Beifall von den GRÜNEN)
Die entscheidende Frage ist doch: Wie soll Tierhaltung in Zukunft aussehen? Dafür müssen wir ein Verständnis entwickeln. Man kann wohl zu Recht feststellen, dass wir in der Sache selber nicht wirklich vorangekommen sind. Wir haben gesetzliche Bestimmungen. Wir haben auf der europäischen Ebene die Schweinehaltungsrichtlinie, die seit 2008 in Kraft ist und klar vorgibt, wie unsere Schweinehaltung gestaltet sein soll. Die Richtlinie enthält Vorgaben, die unsere vorhandenen modernen Ställe im Moment nicht erfüllen können.
Der Verzicht auf das Kupieren des Schwanzes ist in modernen Schweineställen, so wie sie im Moment gebaut werden und wie sie auch nach Inkrafttreten dieser Schweinehaltungsrichtlinie noch weiter gebaut worden sind, nicht zu erfüllen.
In den modernen Schweineställen können die Tiere auch ihr artgerechtes Verhalten nicht ausleben; diese Forderung ist nicht zu erfüllen. Die Europäische Union verlangt aber von uns, dass die Tiere das tun können.
Die rechtlichen Vorgaben, die uns die EU macht, sind deshalb brisant, weil wir an der Stelle in einen rechtlichen Konflikt geraten. Wir müssen uns nicht wundern, wenn es zu Klagen von Tierschutzvereinen kommt, die überprüfen lassen wollen, wie die vorgegebenen rechtlichen Normen in diesen modernen Ställen eingehalten werden.
Das heißt, wir brauchen Veränderungen. Wir sind gezwungen, Veränderungen zu erzielen, weil wir diesen rechtlichen Konflikt und eine gesellschaftliche Debatte haben, die uns zwingt, diesen Konflikt zu befrieden.
(Zuruf: Wer behauptet das?)
Das ist dringend notwendig, wenn wir die Tierhaltung in Nordrhein-Westfalen langfristig halten wollen.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Politik muss gestalten, und wir sind aufgefordert, endlich verlässliche Rahmenbedingungen für die Tierhaltung zu setzen, um eine langfristige Perspektive zu haben. Wenn Sie heute einen Schweinestall bauen, läuft die Abschreibung nicht über fünf oder sechs Jahre, und danach bauen Sie den nächsten Stall, sondern Sie brauchen Verlässlichkeit über 20 bis 25 Jahre. Diese Verlässlichkeit müssen wir den Bäuerinnen und Bauern endlich bieten.
Es wäre gut gewesen, wenn wir, nachdem die europäische Richtlinie in Kraft getreten ist, rasch gesagt hätten: Liebe Leute, Ställe in der Form gehen nicht mehr. Diese Ställe sind nicht zukunftsfähig. – Aber wir haben es zugelassen, dass nach 2010 weiterhin solche Ställe gebaut worden sind.
Gegenüber dem Bundeslandwirtschaftsministerium kann ich nur den Vorwurf erheben, dass hier viel zu lange auf Zeit gespielt worden ist. Man hat die Bäuerinnen und Bauern vertröstet und immer wieder gesagt: Es wird schon so weitergehen wie bisher. Wenn ihr ein paar Strohhaufen in die Ställe hängt, reicht das; dann ist für das Tierwohl genug getan. – Es wird aber nicht ausreichen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich finde es dramatisch, nach zehn Jahren Debatte im aktuellen „Landwirtschaftlichen Wochenblatt“ einen sehr interessanten Bericht über einen Sauenhalter in Rheda-Wiedenbrück zu lesen, der in seinen Ställen rumprobiert, wie er die Sauen gemeinsam abferkeln lassen und ihnen mehr Bewegungsraum verschaffen kann, damit sie nicht die ganze Zeit im Kastenstand, im Abferkelkäfig bleiben.
Gleichzeitig gibt es etwa Frau Mörixmann, die mit ihrem Aktivstall tolle Sachen gemacht hat. Aber es kann nach einer zehnjährigen Debatte nicht sein, dass uns immer noch diese Pioniere zeigen, wie man es machen könnte, ohne dass wir in der Lage sind, es in der Breite umzusetzen. Da muss deutlich mehr passieren.
(Beifall von den GRÜNEN)
Meiner Meinung nach hat die Strategie des Nichtstuns seitens des Bundeslandwirtschaftsministeriums dazu geführt, dass der Veränderungsdruck in der Landwirtschaft immer größer geworden und von Jahr zu Jahr gestiegen ist. Deshalb haben wir in Nordrhein-Westfalen in der Vergangenheit versucht, den Umbauprozess der Nutztierhaltung mit mehr Geschwindigkeit voranzubringen.
Ich kann heute feststellen, dass uns das nicht gelungen ist. Das haben wir nicht hinbekommen – auch deshalb nicht, weil das Zusammenspiel zwischen Bund und Ländern nicht funktioniert hat. Es gab kein gemeinsames Interesse, hierbei deutlich mehr Geschwindigkeit hinzubekommen.
Wir haben seit Anfang 2015 einen gut durchdachten Umbauplan. Das ist ein Angebot des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, das wir nutzen müssen. Im Plan steht ziemlich genau, wie man das machen könnte. Klar ist, dass wir eine Menge Geld brauchen. Auch das ist genau berechnet.
Frau Ministerin, ich finde gut, dass Sie das Gutachten begrüßt haben, denn es gibt Empfehlungen. Ich verstehe jedoch Folgendes nicht: In der Ausschusssitzung haben Sie gesagt, dass Sie im Rahmen der GAP/Verteilung der Agrargelder nichts ändern wollen. Das solle so bleiben, wie es ist.
(Ministerin Christina Schulze Föcking: Das habe ich nicht gesagt!)
Das Gutachten zeigt uns aber ganz deutlich, dass wir im Interesse der nordrhein-westfälischen Landwirtschaft verändern müssen,
(Lebhafter Beifall von den GRÜNEN)
damit wir zu einer Umschichtung der Agrargelder weg von der Fläche hin zum Umbau der Tierhaltung kommen. Jeder dritte Schweinehalter in Deutschland hat seinen Sitz in Nordrhein-Westfalen. Ein Viertel der Schweine in Deutschland gibt es in Nordrhein-Westfalen. Das liegt also in unserem ureigenen Interesse. Warum verkämpfen wir uns für die flächenstarken Betriebe in Ostdeutschland? Wir müssen doch die Interessen unserer Betriebe wahren und dafür streiten, dass die Gelder für den Umbau genutzt werden.
(Beifall von den GRÜNEN)
Aus meiner Sicht brauchen wir endlich – das ist auch im Gespräch – eine nationale Nutztierstrategie. Aber ich setze das Wort „ambitioniert“ davor. Wir brauchen eine ambitionierte nationale Nutztierstrategie, um zu erfüllen, was ich am Anfang gesagt habe und um endlich 20 Jahre in die Zukunft zu schauen. Wir sollten nicht überlegen, mit welchem Stall man morgen über die Runden kommt, sondern fragen, welchen Stall die Gesellschaft in 20 Jahren noch akzeptiert. Den müssen wir heute planen, soweit man das kann. Den Blick weit nach vorne zu richten, ist unsere derzeitige Aufgabe. Ich fordere Sie auf, sich dafür ambitioniert einzusetzen, insbesondere gegenüber dem Bundeslandwirtschaftsministerium.
(Beifall von den GRÜNEN)
Wir alle wissen, dass der Umbau gerade für mittlere und kleine Betriebe eine riesige Herausforderung ist. Diese stehen sowieso mit dem Rücken zur Wand und fragen sich oft: Mache ich überhaupt weiter?
Das Folgende ist mir persönlich besonders wichtig, und wir fordern Sie dazu auf, Förderprogramme so zu konzipieren, dass sie auch von Kleinbetrieben abgerufen werden können – und nicht nur von Betrieben, die 500.000 € oder 750.000 € investieren wollen. Denn auch kleinere Maßnahmen sollten zukünftig möglich werden.
Am Ende brauchen wir – ich fand interessant, dass sich das Bundeskartellamt dazu geäußert hat – verpflichtende klare Kennzeichnungen. Das Bundeskartellamt hat das von der Initiative Tierwohl jetzt eingefordert. Das ist ein guter Hinweis: Es ist an der Zeit, das endlich zu machen. – Das brauchen wir, damit die Produkte – sie werden teurer sein – für die Konsumenten bei der Kaufentscheidung erkennbar sein werden.
Ich glaube, dass wir alle die Tierhaltung in Nordrhein-Westfalen behalten wollen. Wir wollen eine zukunftsfähige Tierhaltung. Daher möchte ich Sie alle bitten, unserem Antrag zu folgen und ihm zuzustimmen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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