Norwich Rüße: „Bürgerbeteiligung führt auch dazu, Bürgerinnen und Bürger für unsere Demokratie zu gewinnen“

Antrag der CDU gegen eine "durchgrünte" Gesellschaft

Portrait Norwich Rüße

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Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte einmal andersherum anfangen, weil die Bürgerbeteiligung – Herr Thiel hat es auch gesagt – von Ihnen die so scharf kritisiert worden ist. Ich möchte in den Vordergrund stellen, dass Bürgerbeteiligung für unsere Demokratie, für eine lebendige Demokratie ein enormer Gewinn ist. Im Moment sind zwar nicht alle Parlamentarier hier versammelt, aber unter uns sind jede Menge Menschen, die sich erst vor Ort eingemischt haben – beispielsweise wurde eine Straße nicht so geführt, wie sie geführt sein sollte – und erst anschließend in die Politik gefunden haben. Also, lassen Sie uns das erst einmal positiv sehen, dass Bürgerbeteiligung auch dazu führt, Bürgerinnen und Bürger für unsere Demokratie zu gewinnen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Lassen Sie mich noch einen Satz sagen – und darüber sollte unter uns Parlamentariern Einvernehmen herrschen –: Wer eine lebendige Demokratie haben will, der muss Debatten und auch den Streit um das bessere Argument aushalten, und der muss es in einem Rechtsstaat auch aushalten, wenn sich Verfahren verzögern. Wenn das Ergebnis am Ende stimmt, wenn es zu einem Kompromiss kommt und alle sagen, dass sie damit leben können, dann ist doch viel gewonnen. Man sollte Politik nicht von oben betreiben. Man sollte den Menschen nicht etwas aufstülpen, von dem sie noch Jahre später sagen: Das hätten wir nie gewollt, wenn wir uns dagegen hätten wehren können.
Liebe CDU, mit Ihrem Antrag, den Sie hier vorgelegt haben, enttäuschen Sie mich eigentlich völlig, denn dieser Antrag zeigt, dass Sie eigentlich nur 50 Jahre zurück wollen. Sie wollen aber nicht nach vorne. Sie können in der heutigen Gesellschaft eine Lösung, wie Sie sie heute präsentieren, nicht mehr anbieten. Das geht einfach nicht mehr, wenn Sie so gegen Bürgerinnen und Bürger vorgehen wollen, wie Sie es vorschlagen.
Und ich sage Ihnen noch eines: Seit dem Berliner Flughafen, seit „Stuttgart 21“ wissen wir doch, dass die Hauptprobleme großer Infrastrukturprojekte nicht der Widerstand von Bürgerinnen und Bürgern sind, sondern die fehlerhafte Planung und die mangelhafte Durchführung von Projekten. Da müssen wir ansetzen. Insofern geht es jetzt nicht darum, die Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger zu beschneiden.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und den PIRATEN)
Meine Damen und Herren, wir können hier im Parlament in Sonntagsreden auch nicht von mündigen Bürgern reden, aber dann, wenn es uns nicht mehr passt, wenn es im Planungsprozess Widerspruch gibt, den Bürgerinnen und Bürgern ihr Mitwirkungsrecht ganz schnell wieder nehmen wollen.
Ich persönlich – ich habe mit vielen Bürgerinitiativen zu tun – bin immer wieder überrascht, wie viel Freizeit dafür geopfert wird und wie viel Sachverstand die Menschen sich aneignen. Ich finde, wir sollten zutiefst dankbar dafür sein, dass sich die Menschen so intensiv einbringen.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Rüße, würden Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hovenjürgen zulassen?
Norwich Rüße (GRÜNE):Ja, immer.
Josef Hovenjürgen (CDU) TC „Josef Hovenjürgen (CDU)“ f C l „5“ : Sehr geehrter Herr Rüße, erstens haben wir die Mitwirkungsrechte nicht angezweifelt. Wir haben nur infrage gestellt, ob sie an allen Stellen wirklich so ausgeprägt sein müssen. Ist das alles noch korrekt? – Das ist als Erstes die Feststellung.
Jetzt kommt die Frage: Was halten Sie denn davon, dass, wenn bei der B474n, die im Moment in Revision ist …
(Norwich Rüße [GRÜNE]: Bei welcher?)
– Bei der B474n. Das ist ein Straßenbauprojekt in Waltrop-Datteln. Dazu hat der stellvertretende Landesvorsitzende des BUND angekündigt, dass er Grundstücke in seinen Besitz gebracht hat, mit denen er im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens erneut die Behinderung des Projekts vornehmen wird, sollte Straßen.NRW den Prozess gewinnen. Ist das das, was Sie meinten?
(Christof Rasche [FDP]: Genau da! Sehr gute Frage!)
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege Rüße, bitte schön.
Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Hovenjürgen, Sie wissen natürlich, dass ich genau das nicht meine. Aber Sie müssen es in einem Rechtsstaat – und wir leben in einem Rechtsstaat – aushalten, wenn das so ist. Das ist der Punkt.
Ich sage Ihnen eines: Ein Herr Erdogan in der Türkei würde solche Probleme schnell lösen. Klar, das geht da ratzfatz. Aber wir leben hier in einem demokratischen Rechtsstaat,
(Beifall von den GRÜNEN – Christof Rasche [FDP]: Toller Vergleich! Wie platt ist das denn!)
und wir haben hier Verfahrensschritte einzuhalten, und das wird dann auch so funktionieren.
Meine Damen und Herren, liebe CDU, der Kollege Klocke hat es schon erwähnt: Ihre eigenen Mitglieder vor Ort verhalten sich teilweise ganz anders als Sie es in Ihrem Antrag fordern. Herr Klocke hat auch die B 61 und den Stadtverband Oeynhausen erwähnt. Ich zitiere aus einer Verlautbarung des Stadtverbandes:
„Daher wird sich der CDU Stadtverband mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln in das Aktionsbündnis einbringen. Ziel ist es, alle weiteren Planungen zu verhindern. Machen Sie mit, setzen Sie mit Ihrer Unterschrift ein Zeichen, dass ein derartig unüberlegtes Verkehrsvorhaben sofort wieder aus den Planskizzen verschwindet.“
(Beifall von den GRÜNEN)
Wenn Sie das alles falsch finden, was Ihre eigenen Leute vor Ort sagen, sagen Sie das Ihren Mitgliedern. Wenn Sie die Bürgerinitiativen auch falsch finden, dann sagen Sie denen das auch. Sagen Sie den Bürgerinitiativen gegen Fluglärm, dass Sie die nicht ernst nehmen. Sagen Sie den BIs gegen Müllverbrennung, dass Sie deren Ängste eigentlich doch nicht ernst nehmen und sie eigentlich auch nicht hören wollen.
(Christof Rasche [FDP]: Wahlkampf pur!)
Sagen Sie den Menschen im Braunkohlerevier, dass ihre Proteste Sie auch nicht interessieren.
Aus meiner Sicht bauen Sie einen unglaublichen Popanz mit Ihrem Antrag und mit der Behauptung, dass in NRW angeblich nichts passiert, auf. Erstens haben wir in Nordrhein-Westfalen sehr unterschiedliche Regionen.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen)
Wir haben boomende Regionen, wo derselbe Verkehrsminister und derselbe Umweltminister tätig sind. Da funktioniert es. Natürlich haben wir eine Region, in der es etwas schwieriger ist. Aber das liegt doch nicht daran, dass wir die Projekte nicht schnell genug durchbringen würden, denn sonst müsste ja ganz Nordrhein-Westfalen eine einzige Problemregion sein, und das ist es eben nicht. Völliger Quatsch.
(Dietmar Brockes [FDP]: Ist es ja!)
– Herr Brockes, wenn Sie das so sehen, tut mir das leid. Ich finde mein Bundesland schön und finde auch, dass wir als Bundesland sehr erfolgreich sind.
Meine Damen und Herren, in meiner Region haben die „Westfälischen Nachrichten“ versucht, mal die angeblich unglaublich aufgehaltenen Projekte aufzulisten. Sie haben dazu eine ganze Doppelseite genommen, fanden aber am Ende nur acht Projekte und mussten es mit unglaublich großen Bildern garnieren, damit die beiden Seiten auch voll wurden. Das Ergebnis ist auch deshalb sehr strittig, weil darunter ein Projekt ist – der Flughafen Münster Osnabrück und die Startbahnverlängerung –, bei dem ich sagen würde: Vielen Dank, liebe Bürgerinitiativen, dass ihr das zusammen mit dem NABU ausgebremst habt, weil schon jede Menge Geld in der Hüttruper Heide versenkt worden ist. Es wäre besser gewesen, man hätte nie versucht, diese hochtrabenden Träume da durchzusetzen.
Ein weiteres Beispiel aus einer anderen Region: Müllverbrennung Paderborn. 45.000 Einwendungen aus der Bürgerschaft haben dieses Vorhaben in einem breiten Bündnis der Gesellschaft gestoppt. 45.000 Menschen, darunter sicherlich auch einige – Paderborn kennen wir ja – Mitglieder Ihrer Partei. Das ist gelebte Bürgerbeteiligung, die immer wieder hilft, schlechte Projekte zu stoppen und auszubremsen und deshalb sollten wir mehr Bürgerbeteiligung statt weniger Bürgerbeteiligung haben.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, es gibt eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Klocke, der auf dem Platz von Herrn Keymis sitzt. Würden Sie die zulassen?
Norwich Rüße (GRÜNE): Ja, lasse ich zu.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Das ist eine gute Nachricht. – Bitte, Herr Kollege Klocke.
Arndt Klocke (GRÜNE) TC „Arndt Klocke (GRÜNE)“ f C l „5“ : Herr Kollege Rüße, danke, dass Sie die Zwischenfrage zu lassen. Ich würde Sie gerne bezüglich des Flughafens Münster/Osnabrück, den Sie angesprochen haben, etwas fragen. Die Startbahn könnte ja jetzt nach der Einigung ausgebaut werden. Ich möchte gerne wissen, ob Ihnen bekannt ist, dass sie deswegen nicht ausgebaut wird, weil der Flughafen Münster/Osnabrück einfach keine Finanzmittel mehr hat und seine ganzen Rücklagen, die er über Jahre gebildet hat, aufgrund des Defizitausgleichs in den letzten vier Jahren verbraucht hat.
(Gelächter von der CDU und der FDP – Dietmar Brockes [FDP]: Stützfrage!)
Dass also der Ausbau, den sie jetzt ja vornehmen könnten …
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Herr Kollege, Sie müssen eine Frage stellen.
Arndt Klocke (GRÜNE): Das ist eine Frage. Ich werde sie einfach ausformulieren, auch wenn die CDU unruhig wird. Das passt ihnen einfach inhaltlich nicht, das ist mir schon klar.
Meine Frage wäre, ob es Ihnen bekannt ist, ob der Ausbau, der ja möglich wäre, nur aufgrund der fehlenden Finanzmittel scheitert, weil die ganzen Rücklagen dafür für den Defizitausgleich aufgebraucht worden sind.
Vizepräsident Eckhard Uhlenberg: Vielen Dank. – Bitte schön, Herr Rüße.
Norwich Rüße (GRÜNE): Lieber Herr Kollege, das ist mir natürlich bekannt. Mir ist auch bekannt, dass die Kreise und Kommunen, die am FMO beteiligt sind, in den nächsten Jahren bis 2023 noch 110 Millionen € zusätzlich zu all den Millionen, die längst da in der Hüttruper Heide versenkt worden sind, zuschießen dürfen. Es ist natürlich auch bekannt, dass Bürgerinitiativen – und da schließt sich der Kreis zu Ihrem Antrag – schon vor 20 Jahren gesagt haben: Dieser Flughafen wird nie die Gefälligkeitsgutachten zahlen, die damals prognostiziert worden sind, um den Ausbau zu rechtfertigen. Die wird der Flughafen nie erreichen. Die Bürgerinitiativen haben Recht behalten. Wir hätten eine Menge Geld sparen können, wenn wir auf sie gehört hätten. Und deshalb ist ja aus unserer Sicht Bürgerbeteiligung auch so sinnvoll.
(Beifall von den GRÜNEN)
Liebe CDU, Sie erwähnen in Ihrem Antrag das Beispiel der Leverkusener Rheinbrücke. Genau für solche Fälle gibt es ja die Möglichkeit, aufgrund von Dringlichkeit ein verkürztes Verfahren einzuleiten. Das, was wir brauchen, haben wir schon. Auch deshalb bräuchten wir Ihren Antrag nicht. Es zeigt, dass es Ihnen mit Ihrem Antrag nur darum geht, mal kräftig auf die politische Pauke zu hauen. Nicht mehr und nicht weniger ist es, was Sie hier machen.
Wir Politiker sollten an der einen oder anderen Stelle auch mal innehalten und überlegen, ob wir denn immer schlauer sind als die Bürgerinnen und Bürger vor Ort, oder ob wir nicht gerade besonders von den Kenntnissen, die die Menschen vor Ort in ihrer Region haben, profitieren, ob wir nicht besser zuhören sollten, ob wir uns nicht mit den Einwänden und Verbesserungsvorschlägen, die es gibt, besser ernsthaft beschäftigen sollten.
Das Bundesverkehrsministerium hat dazu ein Handbuch herausgegeben. „Handbuch für gute Bürgerbeteiligung“ heißt das. Ich zitiere:
„Mehr und qualitativ bessere Bürgerbeteiligung bedeutet natürlich auch einen Mehraufwand […]. Die vorgeschlagenen Maßnahmen bieten aber […] die Chance, […] dass sich Verfahren sogar insgesamt verkürzen und letztendlich sogar billiger sein können.“
Diesen Worten können wir uns als Grüne anschließen. Wir halten es für richtig, diesen Weg zu gehen. Ich glaube auch, dass unser Verkehrsminister dieser Meinung ist, denn er organisiert ja jede Menge Runde Tische. Zu der A 46 und der B 64 passiert das. Das Instrument ist bekannt und wird auch genutzt.
Ich möchte damit enden: Demokratie ist anstrengend. Vielleicht ist eine durchgrünte Gesellschaft noch etwas anstrengender, denn „durchgrünt“ heißt für mich, dass Bürgerinnen und Bürger sich gut informieren, dass sie sich beteiligen und in dieser Gesellschaft mitmachen, dass sie versuchen, diese Gesellschaft mitzugestalten. Entscheidungsprozesse sind langwierig, sind mühselig.
Insofern verstehe ich auch den Minister, dass er da mal Dampf abgelassen hat. Lieber Mike Groschek, was wäre die Alternative zu einer ordentlichen Bürgerbeteiligung? Wir sind uns einig, dass wir das wollen. Wir wollen die Menschen mitnehmen. Für mich persönlich bleibt das Zitat Willy Brandts: „Mehr Demokratie wagen“. Wir sollten nicht aus Angst vor anderen Entscheidungen weniger Demokratie durchführen. – Vielen Dank.