Norwich Rüße: „Aus meiner Sicht haben Sie sich nicht viel Mühe und Arbeit investiert, sondern einen Antrag von foodwatch übernommen.“

Antrag der Piraten zur Lebensmittelkennzeichnung

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich haben Sie mit Ihrem Antrag ein wichtiges Themenfeld angesprochen. Als ich den erst sah und den Titel las, habe ich gedacht: Ja schön, ich freue mich darauf, wenn wir das beraten. Dann lese ich in der neuesten „Landtag intern“: Die Piratenfraktion war unglaublich fleißig, sie hat 100 Anträge eingereicht. – Da habe ich gesagt: Super, die Fraktion macht sich ja mächtig, geht richtig voran.
Dann hatte ich aber genau dasselbe Problem – völlig identisch – wie Herr Höne und Frau Schulze Föcking.
(Zurufe von den PIRATEN)
– Hören Sie erst einmal zu! – Mit diesem Antrag haben Sie aus meiner Sicht diese Bilanz leider wieder ein bisschen versaut. Aus meiner Sicht haben Sie sich nämlich nicht besonders viel Mühe gegeben und nicht besonders viel Arbeit darin investiert. Sie haben einen Antrag von foodwatch übernommen. Sie stellen diesen Antrag – das haben die anderen noch nicht gesagt; ich finde das besonders seltsam – gleichzeitig in jedem Parlament, in dem Sie in Deutschland sitzen. Sie haben den im Saarland, in Schleswig-Holstein, in Berlin und hier gestellt.
(Dr. Joachim Paul [PIRATEN]: So sieht konsequente Politik aus! – Zurufe von den PIRATEN)
– Genau! Doppelt und dreifach! Wir müssen in vier Landesparlamenten parallel über einen völlig identischen Antrag reden.
(Beifall von den PIRATEN)
– Das ist prima.
Das kann man natürlich so machen. Man sollte aber auch überlegen, was für Energie man hier verschwendet. Eine Vielzahl von Leuten wird beschäftigt: Protokolle sind zu führen, Anhörungen sind zu planen und durchzuführen – Sie wollen wahrscheinlich eine Anhörung zu diesem Thema –, die Experten müssen eingeladen werden. Wahrscheinlich werden viermal dieselben Experten eingeladen, nach Berlin, ins Saarland, nach Schleswig-Holstein und hierher nach Nordrhein-Westfalen.
(Zuruf von den PIRATEN: Kommen Sie doch mal zur Sache!)
Sie haben diesen Antrag viermal gestellt, um viermal vor Ort in den Ländern darstellen zu können, wie sehr Sie sich um Kennzeichnung bemühen.
(Zuruf von den PIRATEN: Die Grünen machen das ja nie!)
Was ich ebenfalls als Problem empfinde – das sehe ich genauso wie die anderen auch – ist die Tatsache, dass Sie sich einen Antrag von einem Lobbyverband – und foodwatch ist ein Lobbyverband – haben geben lassen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dass gerade Sie als Piraten so verfahren, wo Sie die Transparenz immer vor sich hertragen, wundert mich. Mich würde interessieren, was Sie gesagt hätten, wenn wir das so gemacht hätten, wenn wir einen Antrag der Umweltverbände 1:1 übernommen hätten.
(Zuruf von den PIRATEN)
Wenn meinetwegen die CDU einen Antrag von einem Bauernverband übernommen hätte, dann hätten Sie hier ganz laut aufgeschrien und gefordert: Es geht nicht an, dass Sie Anträge von Verbänden ins Parlament tragen.
Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Kollege, ich habe drei angemeldete Zwischenfragen. Mehr machen wir aber nicht, ist ja schon spät. Diese drei Fragen werden jetzt hier gestellt – natürlich nur, wenn Sie es zulassen, Herr Kollege Rüße. Die erste Frage stellt der Piratenkollege Herr Düngel. – Bitte schön, Herr Düngel.
Daniel Düngel (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Kollege Rüße, meine Frage ist: Wie entsteht denn so ein parlamentarischer Antrag bei den Grünen? Ist das ähnlich wie bei uns, dass das Verfahren offen auf Mailinglisten in offen gestreamten Fraktionssitzungen und sonstigen Arbeitskreisen erfolgt? Oder wie läuft das bei Ihnen?
(Beifall von den PIRATEN)
Norwich Rüße (GRÜNE): Soll ich die Frage direkt beantworten? Die Fragen könnten ja auch gesammelt werden.
Vizepräsident Oliver Keymis: Nein, jede Frage wird direkt beantwortet. Ich habe ausnahmsweise die drei Fragen zugelassen, weil zwei direkt hintereinander eingedrückt wurden. Aber wenn es so schnell geht, ist das auch kein Problem.
Norwich Rüße (GRÜNE): Wenn Sie wissen wollen, wie ich einen Antrag entwickle, kann ich Ihnen das gerne erläutern. Ich führe Gespräche, zum Beispiel mit einem Lobbyverband wie foodwatch, aber ich lasse mir nicht von anderen die Anträge schreiben. Stattdessen hole ich Informationen ein, die ich anschließend zusammen mit meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin auswerte.
(Zuruf von den PIRATEN: Gesetze sind aber noch nie außerhalb des Hauses geschrieben worden, oder?)
Dann gehe ich in die Fraktion, dort bekomme ich noch Kommentare. – So läuft der normale Prozess. Dann bringen wir den Antrag hier ein.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Rüße. – Die zweite Zwischenfrage stellt der Kollege Wegner. Bitte schön.
Michele Marsching (PIRATEN): Die Zwischenfrage hat der Kollege Marsching auf dem Platz des Kollegen Wegner, aber das macht nichts. – Kollege Rüße, vielen Dank für das Zulassen der Frage. Die Kollegin Schulze Föcking hat gerade gesagt, wir redeten über eine Kennzeichnungspflicht; da hätten wir den Antrag vorher kennzeichnen können.
Jetzt wiederholen Sie einen ähnlichen Anwurf. Ich frage mich: Gibt es eine Kennzeichnungspflicht dafür, wenn ich gute Anträge von jemandem übernehme? Das wäre mir nämlich ziemlich neu.
(Zurufe von den GRÜNEN)
Norwich Rüße (GRÜNE): Auch diese Frage ist, ehrlich gesagt, ein vollkommenes Eigentor. Wenn eine Partei fordert, Prozesse sollen transparent sein, dann ist es doch selbstverständlich, dass sie zumindest selbst entsprechend handelt.
(Beifall von den GRÜNEN und der FDP – Zurufe)
Eine Truppe von Ihnen hat es ja vernünftig gemacht, und zwar die Kollegen im Berliner Abgeordnetenhaus. Die haben einen Hinweis unter den Antrag geschrieben.
(Christian Lindner [FDP]: Aha!)
Sie haben es hier nur klammheimlich so nebenbei erwähnt. Das ist der Unterschied. Sie hätten alle so wie die Berliner verfahren können, dann wäre ich zufrieden gewesen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP)
Aber es geht auch noch um etwas anderes. Es geht nämlich darum, was für ein Selbstbild Sie von der Tätigkeit eines Abgeordneten haben. Man muss die Dinge doch auch kritisch beleuchten. Dann kommt am Ende ein anderer Ansatz dabei heraus als der, den foodwatch geschrieben hat.
(Christian Lindner [FDP]: So ist es!)
Ich bringe mich doch in eine solche Sache ein. So ist das zu wenig.
(Beifall von den GRÜNEN und der FDP)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke schön, Herr Rüße. – Weil wir so nett waren, haben wir jetzt noch eine dritte Zwischenfrage. Es steht geschrieben, es sollten nur zwei zugelassen werden, aber wir können natürlich eine dritte Frage zulassen. Sie sind fast gleichzeitig gedrückt worden. Die Frage stammt vom Kollegen Sommer auf dem Platz von Herrn Kern. Wir lernen das noch. Es ist aber üblich, dass man sich eigentlich von seinem Platz aus eindrückt. – Bitte schön.
Torsten Sommer (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank, Kollege Rüße, für die Möglichkeit der dritten Zwischenfrage.
Ich hätte gerne gewusst, ob die grüne Fraktion noch nie einen Antrag zusammen mit einer Bürgerinitiative entwickelt hat. Das würde mich wirklich sehr interessieren.
Norwich Rüße (GRÜNE): Leider bin ich erst seit 2010 im Landtag; ich kann Ihnen also keine Auskunft darüber geben, was die Grünen-Fraktion vorher gemacht hat. Ich könnte nur zu den letzten drei Jahren etwas sagen.
Zum Begriff „entwickeln“: Sie können einen Antrag gerne zusammen mit foodwatch besprechen, sich informieren, Anregungen geben lassen. Sie sollen sich aber nicht komplette Anträge Wort für Wort, Komma für Komma schreiben lassen und diese dann einbringen. Da werden Sie doch zum Handlanger von Lobbyverbänden – genau das, was Sie anderen vorwerfen.
(Beifall von den GRÜNEN, der SPD und der FDP- Zurufe von den PIRATEN)
Sie meinen, Sie tun das mit gutem Recht, weil Sie bei den Lobbyverbänden zwischen Gut und Böse unterscheiden. Aber so einfach ist das eben nicht. Da muss man vorsichtig sein. Das kann ich Ihnen für den weiteren Prozess nur empfehlen.
(Beifall von den GRÜNEN und der FDP – Zurufe)
Machen wir jetzt inhaltlich weiter.
(Unruhe)
Ich finde, Ihr Antrag verspricht im Titel sehr viel; aber die Lebensmittelkennzeichnung ist eben nicht nur vegetarisch-vegan. Das wissen Sie auch selbst, das ist mir völlig klar. Ganz sicher wollen nicht nur die 66.000 Menschen, die das Ganze unterschrieben haben und die sich als Vegetarier oder Veganer verstehen, wissen, was in den Lebensmitteln enthalten ist. Das gilt vielmehr für uns alle als Verbraucherinnen und Verbraucher.
Wir alle erwarten doch, dass die Lebensmittelindustrie ihre Produkte ausreichend und hinreichend kennzeichnet. Ebenso erwarten wir alle, dass bestimmte Produkte gar nicht in Lebensmitteln landen; ich nenne nur Stichworte wie „Analogkäse“ oder „Klebefleisch“. Hierzu wollen wir natürlich genaue Informationen erhalten. Das ist jedoch genau das Problem. Ihr Antrag würde dieses Problem nicht lösen. Sie lösen allenfalls einen ganz kleinen Ausschnitt. Das ist aus meiner Sicht deutlich zu wenig.
Dass es bei der Lebensmittelkennzeichnung Probleme gibt, ist von den Vorrednern klar benannt worden. Ihr Antrag packt das Problem unzureichend an und konzentriert sich nur auf die eine Sache. Der Lösungsansatz sollte aber ein anderer sein.

Er muss europäisch sein. Man muss auch noch mal gucken, inwieweit man die Dinge auf freiwilliger Basis über den Markt regeln kann.
(Zuruf von den PIRATEN: Über den Markt regeln, oh!)
– Ja, das sagen Sie doch sonst auch immer.
Wir stimmen der Überweisung zu und werden dann sehen,
(Beifall von den PIRATEN)
wie wir weiter mit dem Thema umgehen. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)
Vizepräsident Oliver Keymis: Danke, Herr Rüße. Bleiben Sie bitte am Pult, es gibt eine Kurzintervention von Herrn Dr. Paul. Bitte schön, Herr Dr. Paul, Sie haben 90 Sekunden Zeit.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Gerhard Papke)
Dr. Joachim Paul (PIRATEN): Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Rüße, ich bin Ihnen im Grunde meines Herzens für diese rhetorische Volte mit der Kennzeichnungspflicht unendlich dankbar. Ich gelobe für mich und meine Fraktion, dass wir in Zukunft alle unsere Anträge kennzeichnen. Und ich würde die Fraktionen von Union und FDP bitten, das für Gesetze, wie beispielsweise das Hochschulfreiheitsgesetz, noch nachzuholen. Denn auch diese sind nachweislich nicht in diesem Hause, sondern in Gütersloh geschrieben worden. – Vielen Dank!
(Beifall von den PIRATEN – Zurufe von den PIRATEN – Christian Lindner [FDP]: Belegen Sie das mal, Herr Paul! – Unruhe)
Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Paul, wenn eine andere Fraktion so verfahren würde wie Sie mit diesem Antrag, dann würde ich selbstverständlich auch von dieser Fraktion unter ihrem Antrag einen Vermerk erwarten. Insofern könnten wir uns vielleicht einigen. Sie hätten es jetzt machen sollen.
(Beifall von den GRÜNEN)

Mehr zum Thema

Ernährung