Norika Creuzmann: „Kinder brauchen das Wissen über gute und schlechte Geheimnisse“

Zum Antrag der "AfD"-Fraktion zu Sexualpädagogik in Kitas

Portrait Norika Creuzmann

Norika Creuzmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Das Thema „Sexualität in der Kita“ ist längst kein Tabuthema mehr, und das ist auch gut so. Die Intention dieses Antrages ist uns Demokratinnen völlig klar und entspricht mitnichten dem, was die Überschrift vermuten lässt.

Es geht darum, ein wichtiges Präventionsthema in den Dreck zu ziehen. Die Widerlichkeiten im ersten Wortbeitrag sind ja kaum noch zu überbieten.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und Marcel Hafke [FDP])

„Das Ich ist vor allem ein körperliches“ – diese Aussage von Freud verweist auf die Bedeutung des Körpers für die Identitätsentwicklung des Kindes. Damit auch die AfD es verstehen könnte, müsste ich Ihnen einen Überblick über die kindlichen Entwicklungsphasen in Bezug auf Sexualität geben. Aber das schenke ich mir.

(Zuruf von Marcel Hafke [FDP])

Ich stelle hier aber in aller Klarheit fest: Kindliche Sexualität unterscheidet sich deutlich von der Sexualität Erwachsener, und „Sexualität“ bedeutet nicht „Sex“. Erwachsene wollen ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen und über Körperkontakt Beziehungen zu anderen Erwachsenen gestalten. Kinder hingegen wollen ihren eigenen Körper, ihre Gefühle und Empfindungen wahrnehmen.

Und genau dieses Wissen um die eigene Körperlichkeit versetzt Kinder in die Lage, Missempfindungen, ungute Gefühle sowie Grenzüberschreitungen zu erkennen und ein Schamgefühl zu entwickeln.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Sexualpädagogische Konzepte sind notwendige Bausteine eines Kinderschutzes und des pädagogischen Konzepts einer Kita. Es geht nicht darum, Kindern in diesem Alter Sexualpraktiken näherzubringen, sondern darum, Kinder zu befähigen, sexualisierte Gewalt zu identifizieren. So können sie wahrnehmen, dass das, was ein anderes Kind oder ein Erwachsener macht, falsch ist. Es geht aber auch darum, für grenzverletzendes Verhalten zu sensibilisieren.

Wer Kinder vor sexualisierter Gewalt schützen will, muss ihnen auch eine Sprache geben, sodass sie die Übergriffe benennen können und auch die Scham verlieren, darüber zu reden. Über Transidentität in diesem Bezug zu sprechen, befähigt die Kinder, auch dieses Thema differenziert zu betrachten. Und das unterscheidet unsere Kinder von denen der AfD.

(Beifall von Eileen Woestmann [GRÜNE] und Thorsten Klute [SPD])

Kinder brauchen das Wissen über gute und schlechte Geheimnisse, um nicht auf perfide Tricks Erwachsener hereinzufallen oder Opfer von Gleichaltrigen zu werden.

Das gute Geheimnis ist zum Beispiel das Geheimnis um ein Weihnachtsgeschenk, das man mit Kindern für die Eltern bastelt und in Bezug auf das man die Spannung hochhält. Das sollen sie für sich behalten. Das schlechte Geheimnis ist die Androhung bei einem Übergriff: Wenn du das erzählst, tue ich deiner Mutter etwas Schlimmes an. – Das ist ein schlechtes Geheimnis.

Kinder müssen lernen, zwischen guten und schlechten Geheimnissen zu unterscheiden, und auch das Gefühl haben: Ich darf und ich muss über schlechte Geheimnisse sprechen.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

Sexualpädagogische Konzepte sollten Teil eines jeden Kinderschutzkonzeptes sein, in welchem dargelegt ist, wie die Kinder in der Einrichtung präventiv vor Kindeswohlgefährdungen geschützt werden.

Sexuelle Übergriffe unter Kindern finden nicht deswegen statt, weil Kitas sexualpädagogische Konzepte haben, wie das in dem Antrag der AfD suggeriert wird. Genau das Gegenteil ist der Fall. Ist man nicht darauf vorbereitet, fehlen Handlungsroutinen und Interventionsmöglichkeiten.

Die Vorstellung, dass Kinder in der Kita sich gegenseitig Gewalt antun und sogar sexuell übergriffig werden könnten, ist in unseren Denkmustern noch nicht wirklich verankert.

Übergriffiges Verhalten unter Kindern ist häufig ein Hinweis auf eine eigene sexuelle Gewalterfahrung.

Mir drängt sich die Frage auf, was die Antragsteller antreibt, sexuelle Übergriffe und sexualpädagogische Konzepte in einem Topf zu verrühren. Vielleicht ist es Böswilligkeit. Aber auf keinen Fall ist es konstruktiv und zielführend im Sinne des Kinderschutzes. – Danke.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)

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