Norika Creuzmann: „Hinter jeder Statistik steht eine individuelle Geschichte voller Schmerz, Trauma und Zerstörung“

Zum Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU und Grünen im Landtag zu häuslicher Gewalt

Portrait Norika Creuzmann

Der Entschließungsantrag „Istanbul-Konvention in Nordrhein-Westfalen konsequent umsetzen – Gesamtstrategie gemäß Artikel 7 Istanbul-Konvention erarbeiten“

Norika Creuzmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Es ist traurig, dass Frauen auf der ganzen Welt Opfer von Gewalt werden, und das seit Menschengedenken; wir haben es gerade schon gehört. Körperliche, emotionale oder psychische Gewalt – diese Formen der Gewalt manifestieren sich in intimen Partnerschaften, am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit, im digitalen Raum. Im Krieg wird Gewalt gegen Frauen gezielt eingesetzt.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Aber hinter jeder Statistik steht eine individuelle Geschichte voller Schmerz, Trauma und Zerstörung. Wir dürfen nicht vergessen, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur körperliche Verletzungen verursacht, sondern auch die Selbstachtung, die Würde und die mentale Gesundheit der Betroffenen zerstört.

Wir sind mittlerweile an einem Punkt, dass diese Form der Gewalt in der Gesellschaft geächtet ist. Der sicherste Ort für Frauen und Kinder, Gewalt zu erleben, ist allerdings immer noch das eigene Zuhause. Aber was nützt es? Was hat ein Opfer davon, wenn es um das Unrecht eines Übergriffes weiß?

Ich habe in meiner Arbeit nahezu alle Facetten von sehr unglücklichen bis hin zu toxischen Partnerschaften erlebt: Männer, die heilige Eide schworen, nie wieder die Hand zu erheben, und es bei der nächsten Gelegenheit dann doch taten, Frauen, die nach einem „Er hat noch eine Chance verdient“ den Versprechungen glaubten und bitter enttäuscht wurden. Immer wieder dreht sich die Spirale der Gewalt erneut, und häufig endet der Neuanfang in einer Katastrophe.

Die Statistik scheint seit etlichen Jahren eingefroren zu sein. Denn – es wurde vorhin schon gesagt – jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine Partnerin zu töten, und jeden dritten Tag gelingt es. Das sind eindeutig zu viele.

Sie können sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, einer Frau in höchster Not keinen Schutzplatz anbieten zu können und am nächsten Tag innerlich zu beten, keine Schlagzeile über einen Femizid in der Zeitung zu lesen. Sie können sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, eine junge Frau neben sich sitzen zu haben, die nicht glauben kann, dass ihre Eltern ihr etwas Böses wollen, und eben diese sie nach kurzer Zeit mit einem Kopfschuss hinrichten.

Am 1. Februar 2018 trat die Istanbul-Konvention in Kraft, und sie ist das passende Instrument zur Beendigung geschlechtsspezifischer Gewalt. Alle EU-Mitgliedsstaaten haben diese Konvention unterzeichnet. All diese Staaten sprechen im Namen von 830 Millionen Europäerinnen und Europäern, und damit repräsentiert die Konvention in meinen Augen das demokratische Gewissen des europäischen Kontinents.

Die SPD hat versucht, mit ihrem Antrag alles auf den Punkt zu bringen. Frau Kampmann, Sie sagten vorhin, es sei aber nichts passiert. In meinen 30 Jahren Frauenhausarbeit habe ich viele Aufs und Abs erlebt. Ich habe immer wieder erlebt, wie die Frauenhäuser Spielball der Politik wurden, und ich kann Ihnen sagen: Die Frauenhilfeinfrastruktur hat noch nie so starke und so gute Verbesserungen in so kurzer Zeit erlebt wie seit 2022, seit diese Regierung im Amt ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ja, der Ausbau einer landesgeförderten Infrastruktur und die Weiterentwicklung sind natürlich unerlässlich, aber in Anbetracht der Haushaltssituation auch eine echte Herausforderung. Die Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Wir haben den Kinderschutz in den Frauenhäusern verstärkt, weitere Frauenhäuser wurden und werden noch in die Förderung aufgenommen, und die Förderpauschale wurde erhöht. Das sind alles Meilensteine. Aber wir markieren den Weg und nicht das Ziel. Darum wollen wir auch weiterhin alle Handlungserfordernisse evaluieren und uns regelmäßig über den Stand der Umsetzung berichten lassen.

Wer wollte denn der Anhebung von Qualitätsstandards bei der Polizei, der Sensibilisierung der Behörden, also der Staatsanwaltschaften, der Richterschaft und der Jugendämter, widersprechen? Dennoch treffen einige Vorschläge und auch die Ausgangsposition nicht ganz den Kern der Sache.

In einigen Kommunen gibt es bereits gute Kooperationen in genau diesen Strukturen. Aber leider fehlen auch immer noch das Wissen um Gewaltdynamiken und die verlässliche Teilnahme an Netzwerken. Wir sollten prüfen, ob der § 34a des Polizeigesetzes NRW im Sinne der Istanbul-Konvention ausreichend ist. Die Wegweisung über zehn Tage war damals gut gedacht. Aber ist die Hürde nicht zu hoch, den eigenen Schutz zu sichern, indem man bei Gericht eine Verlängerung beantragen muss?

Wir kennen die Zahlen in den Statistiken und wie sie entstehen. In Anbetracht der angespannten Haushaltslage müssen wir uns aber doch die Frage stellen, ob wir einen weiteren Ausbau der Männerschutzplätze zu diesem Zeitpunkt auf den Weg bringen, wenn doch die Träger der Schutzwohnungen sagen, die Plätze seien zurzeit ausreichend. Bei meinem Besuch wurde mir berichtet, dass 70 % der Plätze ausgelastet seien. Das ist großartig. Denn das bedeutet, dass jeder Mann, der einen Schutzplatz sucht, auch einen Schutzplatz findet. Ohne Frage müssen männliche Opfer bei der Fortentwicklung des Landesaktionsplans mitgedacht werden.

Ich stehe hier unerschütterlich für die Gleichstellung der Geschlechter und für eine Welt, in der Frauen frei von Angst und Bedrohung leben können. Es ist unsere Pflicht, als Gesellschaft nicht nur gegen Gewalt vorzugehen, sondern auch die tief verwurzelten Ursachen zu erkennen und zu bekämpfen.

Es liegt an uns allen, Veränderungen herbeizuführen. Als Gesellschaft müssen wir zusammenstehen und deutlich machen, dass Gewalt gegen Frauen inakzeptabel ist, in jeder Form und in jeder Situation. Es ist an der Zeit, dass wir uns gemeinsam für eine Welt einsetzen, in der Frauen frei von Gewalt leben können; eine Welt, in der Gleichberechtigung und Respekt für alle Menschen oberste Priorität haben. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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