Monika Düker: „Wenn nichts mehr hilft, wird entfesselt“

Gesetzentwurf der Landesregierung: Landeshaushalt 2018

###NEWS_VIDEO_1###
Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns mit dieser zweiten Lesung in einem Haushaltsverfahren – dem ersten der neuen Landesregierung –, das erstens von einer beispiellosen Missachtung grundlegender parlamentarischer Rechte geprägt ist, wie ich sie noch nicht erlebt habe,
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
und die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts missachtet.
Zweitens. Ebenso beispiellos offenbart es eine erschreckende Turboamnesie der einst gemachten Versprechen und der Forderungen aus Oppositionszeiten.
Drittens. Grundlegende Ansprüche von Transparenz sowie Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit werden missachtet.
Viertens. In verantwortungsloser Art und Weise wird die notwendige Vorsorge für die Zukunft vernachlässigt. Diesem Haushalt und der mittelfristigen Finanzplanung liegt eben kein nachhaltiges Finanzkonzept zugrunde.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Zu meinen Thesen: Erstens. Anders, als es Herr Moritz hier darstellt, hat der Beratungszeit-plan keine seriöse Befassung des Parlaments zugelassen. Die Erläuterungsbände lagen zum Teil erst am Vorabend der Haushaltsklausur vor. Die Fristen rund um die Anhörung waren so kurz, dass wir kaum auf die Expertise von Sachverständigen zurückgreifen konnten; manche sind ja auch erst gar nicht gekommen. Außerdem lagen anders, als es eigentlich richtig wäre, die blauen Bände den Fraktionen nicht in ausgedruckter Form zur Beratung vor.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Sie kamen erst am 4. Dezember 2017, meine ich. Damit ist es wahrlich unmöglich, hier eine ordnungsgemäße Haushaltsberatung durchzuführen.
Zweitens zu dem bedeutsamen Phänomen, das ich in der Form in diesem Landtag noch nicht erlebt habe, Ihrer Amnesie auf ganzer Linie, die offenbar auch nicht therapierbar ist: Das Problem ist, dass die Liste von Beispielen Ihrer Forderungen aus Oppositionszeiten so lang ist, dass ich es selbst mit dieser üppigen Redezeit nicht schaffe, alles aufzuführen. Ich habe mir mal einen kleinen Auszug vorgenommen.
Am vollmundigsten war nach meiner Erinnerung die Forderung nach Durchleitung der Integrationspauschale an die Kommunen. Sie haben mehrere Anträge gestellt. Es war der Präsident himself, damals als kommunalpolitischer Sprecher. Kampagnen vor Ort sind gelaufen. Und jetzt? Was sagen Sie jetzt den Kommunen, Herr Kuper – sorry, es war Herr Kuper, es war nicht Herr Optendrenk –, wenn diese fragen, wo denn die 437 Millionen € bleiben?
Herr Lienenkämper, was sagen Sie denn Ihren Bürgermeistern vor Ort, was aus Ihren Versprechen geworden ist?
(Beifall von den GRÜNEN)
Drittens. Kollege Witzel und Kollege Optendrenk skandalisierten noch vor einem Jahr mit einer ausgiebigen Leidenschaft – Herr Optendrenk, ich habe es gut in Erinnerung – das Auf-blähen der Ministerialbürokratie durch zusätzliche Stellen. Da könnte man meinen, Sie bauten das nun wieder ab. Weit gefehlt! Es wird nicht nur nicht abgebaut, sondern mit dem Nachtragshaushalt wurde erst einmal noch ein ordentlicher Schluck aus der Pulle genommen: 139 Stellen für die Ministerien.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
In der Bilanz 2018 – hören Sie zu! – sind es noch einmal 282 Stellen mehr für die Ministerien. Es ist keine Rede mehr davon, wann und wie man das abbauen will.
Dann komme ich zu dem Feldzug von Herrn Witzel gegen zu viele externe Gutachten. Herr Witzel, ich höre Sie noch: Immer diese Sachverständigen und diese Externen, das kann man doch alles aus den eigenen Ministerien holen. – Oha! Schaut man sich die Titelgruppe für Gutachten von externen Sachverständigen einmal an, könnte man meinen, Sie kürzten dort. Nein, auch hier wird draufgesattelt: 3 Millionen € mehr.
(Zuruf von den Grünen: Hört, hört!)
Die Aussagen im Wahlprogramm sind eigentlich an Klarheit nicht zu überbieten: Alle neuen Ausgaben werden durch Einsparungen gedeckt. – Schauen Sie sich das Haushaltsvolumen an. Im Vergleich zu dem letzten rot-grünen Haushalt ist das Haushaltsvolumen um 1,8 Milli-arden € gestiegen. Es muss nichts Schlechtes sein, was daraus finanziert wird.
Aber jetzt komme ich zu den Einsparungen. Einsparungen verzeichnen wir in Höhe von 131 Millionen €. Selbst von diesen 131 Millionen € konnte der Minister nicht sagen, an welcher Stelle eigentlich gespart wird und wer davon betroffen ist usw. usf. Auch hier sehen wir komplett das Gegenteil von dem, was Sie noch in der Opposition versprochen haben. Glaubwürdige Politik ist etwas anderes.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zur Forderung nach Transparenz und Haushaltsklarheit – auch dies wurde hier immer wieder mit Empörung vorgetragen und eingefordert –: Bemerkenswert deutlich finde ich die Äußerung des Landesrechnungshofs, die er zu Ihrer – in der Weihnachtszeit will ich es einmal so sagen – weihrauchumwölkten schwarzen Null gemacht hat. Zitat Landesrechnungshof: „Diese“ – also die schwarze Null – „wird durch Sondereffekte und Verlagerung von Belastungen in andere Haushaltsjahre oder auf andere Einheiten erreicht.“
Nun ist der Landesrechnungshof sehr diplomatisch und sehr korrekt. Man könnte diese Aus-sage auch so übersetzen: Die schwarze Null wurde herbeigetrickst, und zwar belegbar.
(Beifall von den GRÜNEN)
Hierfür werden acht Beispiele genannt, die ich jetzt nicht alle aufführen kann. Auszüge aus der Stellungnahme des Landesrechnungshofes: Bau- und Liegenschaftsbetrieb, Rückabwicklung der Sondertilgung, globale Mehreinnahmen vom Bund ohne Begründung, ohne Anlass, reduzierte Zuführung zum Pensionsfonds, Kreditermächtigung an das Sondervermögen Risikoabschirmung WestLB usw. usf.
Dann komme ich zu Ihrem Lieblingsthema, Herr Witzel – dies allerdings nur bis zum 14. Mai 2017 –, Ihrem Feldzug gegen die sogenannten Schattenhaushalte, Sondervermögen BLB, NRW.BANK, Pensionsfonds: Herr Witzel, was hindert Sie eigentlich daran, die von Ihnen da-mals kritisierten und gegeißelten Tricksereien durch Verschleierung und Verschiebung von wahren Haushaltsrisiken, die durch diese Sondervermögen entstehen, hier und heute rück-gängig zu machen, zumal Sie jetzt auch noch Unterstützer in den Anhörungen haben, zum Beispiel in Bezug auf den Pensionsfonds?
Das Institut der deutschen Wirtschaft stellt fest: 200 Millionen € jährliche Zuführung zum Pensionsfonds reichen nicht aus. Auch der Landesrechnungshof merkt kritisch an, dass in der mittelfristigen Finanzplanung keine Ausführungen gemacht werden, wie sich diese Zuführungen weiterentwickeln sollen.
Wir hören dröhnendes Schweigen zu all diesen Fragen in allen Befragungen in unserer Haus-haltsklausur und in den Berichterstattergesprächen. Dazu wird nichts gesagt.
Sie, Herr Witzel, und Ihr finanzpolitischer Musterschüler, Herr Kollege Optendrenk,
(Lachen bei den GRÜNEN) haben noch vor einem Jahr gesagt: Wenn es so weitergeht mit den 200 Millionen €, entsteht ein 9 Milliarden € großes Loch in der Pensionskasse. – Wieso füllen Sie das nicht auf?
Herr Witzel, Sie haben erklärt, die fehlenden Zuführungen stellten einen unlauteren Einspar-effekt in Höhe von 700 Millionen € für 2018 dar, mit dem die Einhaltung der Schuldenbremse herbeigetrickst werden sollte. In Ihrer Logik, Herr Witzel und Herr Optendrenk, ist Ihre schwarze Null, die Sie jetzt vorgelegt haben, aber so was von herbeigetrickst.
(Beifall von den GRÜNEN)
Das müssten Sie ehrlicherweise auch so sehen, wenn Sie das, was Sie vor einem Jahr gesagt haben, hier und heute ernst nehmen. Und Sie führen ja noch nicht einmal 200 Millionen € zu, sondern nur 80 Millionen € – das nur ganz am Rande.
Weitere Haushaltsrisiken: Risikoabschirmung WestLB. Der Landesrechnungshof weist darauf hin, dass im Risikofondsgesetz von Ihnen selbst begründet gesagt wurde, hier bestünden Haushaltsrisiken. Er wirft die Frage auf: Wo werden die Risiken dargestellt, die mit dem Sondervermögen Risikoabschirmung verbunden sind?
Sie, Herr Lienenkämper, bzw. das Parlament hat im Gesetz eine ordentliche Kreditermächtigung ausgebracht. Das hat ja Folgen. Das Land haftet dafür. Das müssen Sie in irgendeiner Form im Haushalt darstellen. Auch hier ist nichts abgebildet, Blackbox.
Eine Gegenfinanzierung der geplanten Steuergeschenke ist nicht erkennbar. Sie werden ja wahrscheinlich auf Bundesebene nun doch mitregieren. Da gibt es ein paar Steuergeschenke. Bei der Einkommensteuerreform bedeutet dies für NRW 1,3 Milliarden € Mindereinnahmen. Bei der Reform der Grunderwerbsteuer bedeutet dies 1 Milliarde € Mindereinnahmen für NRW. So etwas stellt man zumindest in der mittelfristigen Finanzplanung, wenn schon nicht im Haushaltsplan 2018 dar.
Das sind 2,3 Milliarden € Belastungen für diesen Haushalt. Nirgendwo in der Finanzplanung wird dargestellt, wie dies gegenfinanziert werden soll. Aber es gibt eine schwarze Null. – So viel zur Schimäre der schwarzen Null in diesem Haushaltsplan.
(Beifall von den GRÜNEN)
Fehlende Nachhaltigkeit: Der DGB und das Institut der deutschen Wirtschaft konstatieren uni-sono – das sollte zu denken geben –, die Investitionsquote sei zu gering. In der mittelfristigen Finanzplanung ist geplant, sie noch weiter abzusenken. Wenn dann beide Sachverständigen – Herr Witzel, beide Sachverständigen: der DGB und das Institut der deutschen Wirtschaft! – einstimmig mahnen, dass eine sinkende Investitionsquote bei Rekordsteuereinnahmen und günstigen Zinsen – die wir übrigens nie hatten – erhebliche Risiken birgt, geradezu fahrlässig ist und die Zukunftsfähigkeit unseres Landes gefährdet, dann entsetzt es mich doch sehr, wie wenig Ihnen das zu denken gibt.
Am Beispiel des Unterhalts und des Erhalts der Landesstraßen wird das deutlich. Ich sage nur: 200 Millionen € würden eigentlich gebraucht. Das Gutachten liegt vor. Den Betrag haben Sie immer versprochen. – 161 Millionen € stehen im Haushalt.
(Zuruf von Klaus Voussem [CDU])
Auch hier gäbe es noch einige Beispiele mehr.
(Henning Rehbaum [CDU]: Was haben Sie eigentlich in den letzten sieben Jahren gemacht?)
Die Zeit reicht nicht aus, um Ihnen anhand Ihres Haushalts sehr deutlich klarzumachen, dass es bei der Frage einer Nachhaltigkeitsstrategie eine Fehlanzeige gibt.
Stattdessen werden weiter die berühmt-berüchtigten Zauberformeln heruntergebetet: die Digitalisierungsdividenden. Ich glaube, darauf warten wir bis zum Jüngsten Tag. Auch hier: nichts. Wie soll das erwirtschaftet werden? Wann? Wie? Wo? – Wann kommt denn die Milliarde, Herr Lienenkämper? Sie sprechen gleich wieder. Dann können Sie es vielleicht erklären.
Effizienzsteigerung: „Wir werden sofort in einen Prozess der Aufgabenkritik einsteigen und dann Personal abbauen“, hieß es. Wo ist denn der Prozess?
(Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE]: Herr Lindner ist ja weg!)
Wo ist das alles? Was passiert denn da? Nichts.
Prozessoptimierung, Bürokratieabbau: Jetzt kommt der absolute Heilsbringer, nämlich die Entfesselung. Wenn nichts mehr hilft, wird entfesselt.
All das entpuppt sich als rhetorische Blasen. Wenn man sie nur anpickst, Herr Lienenkämper, dann zerplatzen sie. Hinter dem, was Sie uns mit den Entfesselungspaketen I und II vorgelegt haben, versteckt sich eigentlich etwas ganz Altbackenes. Das ist die Doktrin der Deregulierung: Wenn man dem Markt nur seine Freiheiten lasse, regele sich das alles von allein. – Nein, das funktioniert so nicht. Diese Doktrin ist falsch.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
Diese Marktorientierung taugt nichts für eine Nachhaltigkeitsstrategie.
Wenn Sie meinen, hier Ökostandards schleifen, den Klimaschutz missachten und die Energiewende gefährden zu müssen und damit dieses Land zukunftsfähig machen wollen, das auch noch mit „Entfesselung“ überschreiben, dann haben Sie uns ganz sicher nicht an Ihrer Seite.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Diese Politik ist sehr schädlich für das Land.
(Bodo Löttgen [CDU]: Wo denn?)
Wir werden das auch weiterhin deutlich machen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN) 

Mehr zum Thema

Haushalt & Finanzen