Monika Düker: „Meine Fraktion ist zur Zusammenarbeit bereit, um mehr Klarheit und Verfassungsfestigkeit in das Gesetz zu bringen“

Unterrichtung der Landesregierung zur Corona-Pandemie

Monika Düker (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir als Landtag von Nordrhein-Westfalen sind heute zusammengekommen, um zu zeigen, dass unsere Demokratie auch in Krisenzeiten handlungsfähig ist und konstruktiv und gemeinsam an Lösungen für den bestmöglichen Schutz unserer Bevölkerung arbeitet. Das erwartet die Bevölkerung auch von uns. Lieber Kollege Löttgen, nicht alle Ihrer heutigen Bemerkungen haben zu diesem Eindruck beigetragen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Handlungsfähige Politik ist für mich nicht dadurch gekennzeichnet, dass das Parlament der Regierung in Krisenzeiten Blankovollmachten ausstellt, sondern dadurch, dass wir als die Repräsentantinnen und Repräsentanten der Menschen in NRW Verantwortung übernehmen; Verantwortung dafür, mit welchen Maßnahmen wir den bestmöglichen Schutz der Bevölkerung gewährleisten und die massiven Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft abfedern können.
Dieser Verantwortung stellen wir uns als kritisch-konstruktive Opposition auch heute. Herr Kollege Löttgen, hierzu eine Bemerkung: Dieser Verantwortung haben wir uns in der letzten Plenarsitzung mit der Bewilligung des Rettungsschirms gestellt. Dieser Verantwortung stellen wir uns heute mit der Debatte um dieses Gesetz. Das als parteipolitische Hamsterkäufe zu bezeichnen, finde ich einfach unverschämt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD) Das muss doch nicht sein.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])
Es muss doch nicht sein, hier so zu überziehen!
(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Wenn wir Änderungsvorschläge zu einem Gesetz einbringen, das weitreichende Auswirkungen hat, dann leisten wir einen konstruktiven Beitrag
(Bodo Löttgen [CDU]: Hören Sie einfach zu, Frau Kollegin!)
und dann betreiben wir keine parteipolitischen Spielchen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das Parlament als verantwortungsvoller Gesetzgeber muss aber auch und gerade in Krisenzeiten eine Kontrollinstanz für die Regierung bleiben. So sieht es doch auch unser Grundgesetz vor. Demokratische verfassungsrechtliche Grundsätze müssen wir nicht und können wir auch nicht infrage stellen, und das wollen wir auch nicht.
Daher ist es gut – um wieder zum Konstruktiven zurückzufinden –, dass wir uns mit den Fraktionen darauf verständigen konnten, den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Bewältigung der Coronakrise heute nicht final zu beschließen, sondern uns eine Woche Zeit zu nehmen. Dies ist aus unserer Sicht auch notwendig, um die weitreichenden Auswirkungen des Gesetzes einer Prüfung zu unterziehen, Änderungsvorschläge einzubringen und darüber ins Gespräch zu kommen.
Wir hätten, Herr Löttgen, dieses Verfahren nicht angeregt – und das bitte ich ausdrücklich zu akzeptieren –, wenn wir nicht erhebliche Bedenken zu einigen Regelungen des Gesetzentwurfs gehabt hätten. Wir machen das nicht aus Spaß.
Es ist zu begrüßen – da fange ich mit dem Positiven im Gesetzentwurf an –, dass mit dem Gesetz der Landtag und nicht die Regierung zukünftig die Feststellung einer epidemischen Lage trifft. Herr Löttgen, ja, ich finde es richtig und gut, dass dies so im Gesetz steht; denn die Feststellung einer solchen Lage ist ja mit weitreichenden Auswirkungen auf die Bevölkerung bis hin zu tiefen Eingriffen in Grundrechte verbunden.
Erstens. Aber weil diese grundrechtsrelevanten Eingriffsbefugnisse so gravierend sind, sollte aus unserer Sicht diese Feststellung auch nur befristet gelten – selbstverständlich mit Verlängerungsmöglichkeit. Aber genau dies fehlt aus unserer Sicht im Gesetz. Eine Befristung stellt sicher, dass sich das Parlament in einer öffentlichen Debatte mit den Auswirkungen und gegebenenfalls mit Nachsteuerungen und Anpassungen befassen sowie verantwortungsvoll in Abwägung aller Aspekte entscheiden kann. Deswegen gehört zu dem Parlamentsvorbehalt für uns auch eine Befristung.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Zweitens. Wenn wir die Regierung ermächtigen, über den Verordnungsweg Anordnungen zu treffen – und das ist aus unserer Sicht grundsätzlich erst einmal richtig –, dann muss sich diese Ermächtigung aber an das verfassungsrechtlich vorgegebene Bestimmtheitsgebot halten. Das heißt, Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung müssen im Gesetz definiert werden.
Das können auch wir in § 13 des Infektionsschutz- und Befugnisgesetzes nicht erkennen, wenn dort ganz allgemein von – ich zitiere – „weitergehenden Anordnungen“, die getroffen werden können, die Rede ist. Was soll das denn bitte sein, Herr Laumann? Ich bin ja dafür, dass Sie diese Anordnungen treffen können, aber der Gesetzgeber muss doch vorher eingrenzen und definieren, was das für Anordnungen sein sollen. Ansonsten ist es ein Blankoscheck, und der ist aus unserer Sicht verfassungsrechtlich nicht ausreichend gedeckt.
Im Übrigen gibt es eine Generalklausel im Bundesinfektionsschutzgesetz, die das bereits regelt und konkreter definiert, unter welchen Bedingungen eine solche Ermächtigung stattfinden kann.
Drittens. Eingriffsbefugnisse in Grundrechte sind mit einem Infektionsschutzgesetz zwangsläufig verbunden. Das kann gar nicht anders gehen, Herr Löttgen. Das kritisieren wir auch nicht grundrechtlich. Aber völlig unnötig und aus unserer Sicht nicht angemessen ist es, wenn medizinisches oder pflegerisches Personal in Krisenzeiten zur Mitarbeit verpflichtet werden soll.
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Warum das denn?) Auch dies sieht der Bundesgesetzgeber nicht vor.
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Doch!)
–  Nein, er sieht es in § 5a so nicht vor. Er definiert die Berufe,
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Er kann das mit Erlass machen!)
die dafür infrage kommen, aber in dieser Form nimmt er diese Zwangsverpflichtung nicht vor.
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Die brauchen Sie aber!)
–  Nein, Herr Laumann, ich glaube, wir brauchen das nicht; denn diese Menschen arbeiten, wie wir es gerade erleben, mit einem ungeheuren persönlichen Einsatz
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Um die geht es doch da nicht!)
an der Belastungsgrenze und darüber hinaus. Sie tun alles, um die Kranken zu versorgen.
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Um die geht es gar nicht! – Gegenruf von Sarah Philipp [SPD]: Was soll das denn?)
–  Nehmen Sie es doch an! – Sie empfinden diese Regelung als Affront. (Beifall von den GRÜNEN)
Sie bekommen doch auch die Briefe von den Ärzten, die fragen, was das soll. Ich glaube nicht, dass Zwangsverpflichtungen erforderlich, angemessen und verfassungsrechtlich verhältnismäßig sind. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir diesen Zwang nicht brauchen und mit einer freiwilligen Lösung, einer Ermöglichung für diese Menschen sehr viel besser auskommen würden. Das wäre auch vom Verwaltungsaufwand her einfacher. Ich glaube, dass wir eine freiwillige Regelung, aber keine Pflicht brauchen.
Wir Grünen sind bereit, daran mitzuwirken, in einem kurzen, aber angemessenen Beratungsverfahren zu möglichst einvernehmlichen Änderungen an diesem Gesetzentwurf zu kommen. Ich glaube, dass dies gelingen kann, wenn alle die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mitbringen.
Herr Laschet, diese Bereitschaft zur Zusammenarbeit können wir nicht bei all Ihren Kabinettsmitgliedern feststellen. Es ist aus unserer Sicht ein starkes Stück, wenn wir über dpa erfahren, dass die Regierung einen Kabinettsbeschluss über ein Rettungspaket für die Kommunen gefasst hat. Und dann erfahren wir, dass über diesen wesentlichen und weitreichenden Kabinettsbeschluss exklusiv die Mitglieder der Koalitionsfraktionen informiert werden, aber nicht die Opposition.
Diesem Brief, den wir über entsprechende Kanäle bekommen haben, entnehmen wir, dass Sie beschlossen haben, den 25-Milliarden-Euro-Rettungsschirm für die Kommunen in Anspruch zu nehmen. Das ist ja richtig und gut, aber wir haben im Haushalts- und Finanzausschuss ein klares Verfahren, wonach für die Bewirtschaftung dieses Rettungsschirms das Parlament zuständig ist. Und dann müssen bitte schön auch die Oppositionsfraktionen davon erfahren, wenn Sie in diese Richtung etwas planen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Vielleicht sollten Sie mit der Kollegin noch einmal das eine oder andere ernste Wort darüber reden, wie so eine Zusammenarbeit besser werden kann.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, selbstverständlich kann und muss vorausschauende Politik darüber nachdenken, wie eine stufenweise Lockerung der aktuellen einschränkenden Maßnahmen erfolgen kann. Aber auf keinen Fall sollten wir in der derzeitigen Lage herumspekulieren, wann dieser Zeitpunkt sein kann. Alle Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Höhepunkt der Pandemie Ostern oder danach kommt und wir noch nicht wissen, wann die getroffenen Maßnahmen Wirkung zeigen.
Klar ist auch – das müssen wir uns alle deutlich machen –, dass dieser Virus noch sehr lange unser Leben bestimmen wird. Bis zu einer möglichen Lockerung der Maßnahmen gilt es, alle Energie darauf zu verwenden, weiter an den Intensivbettenkapazitäten zu arbeiten, sie auszubauen und sie zentral zu erfassen – hier ist NRW mit dem Monitoring schon sehr weit –, um damit eine gute Versorgung sicherzustellen.
Die immer noch fehlenden Schutzmaterialien müssen jetzt insbesondere für Pflegeheime und Arztpraxen besorgt werden. Darüber hinaus muss perspektivisch eine Produktion im eigenen Land sichergestellt werden.
(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Das ist wohl wahr!)
Die Testkapazitäten müssen weiter ausgebaut werden, denn diese tragen erheblich dazu bei, Infektionsketten zu unterbrechen. Dies sind auch die Erfahrungen in anderen Ländern.
Auch zu diesem Zweck halten wir die sogenannte Corona-App, die das Robert-Koch-Institut gerade entwickelt, durchaus für geeignet, daran mitzuwirken, Infektionsketten früher zu unterbrechen. Denn im Gegensatz zu dem, was Minister Spahn versucht hat, wird mit dieser App versucht, auf freiwilliger Basis Daten einzusetzen, um zu erkennen, mit wem die infizierten Menschen in Kontakt waren, damit eine frühzeitige Information der Menschen erfolgen und die Infektionskette unterbrochen werden kann. Das geht auch mit Datenschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen, und unter Wahrung der Anonymität. Auch so eine Möglichkeit sollten wir nutzen.
Jetzt können und sollten auch die Kriterien entwickelt werden, wenn es darum geht, die Maßnahmen zu lockern und den sogenannten Exit zu planen. Aus unserer Sicht können nicht allein Wissenschaftler und Virologen darüber entscheiden. Das wollen sie auch gar nicht. Wir als Politik werden uns in der kommenden Zeit auf sehr schwierige Abwägungen einstellen müssen, Abwägungen, die die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Krise in den Blick nehmen und sie analysieren. Das muss selbstverständlich unter Einbeziehung von Experten geschehen, aber am Ende entscheidet die Politik, was verantwortbar ist.
Herr Ministerpräsident, ich begrüße es ausdrücklich – Sie haben das heute veröffentlicht –, dass Sie einen Expertenrat Corona einberufen wollen, um mit Experten aus verschiedenen Fachbereichen zu diskutieren, wie solche Kriterien für eine Lockerung entwickelt werden können. Aber, Herr Ministerpräsident, auch diese Debatte gehört ins Parlament.
(Beifall von den GRÜNEN)
Warum können wir diesen Expertenrat nicht mal per Videoschalte in den Plenarsaal einberufen, um darüber auch mit den Parlamentariern zu diskutieren? Am Ende entscheiden schließlich wir, wann und wie die Maßnahmen gelockert werden. Deswegen kann ich mir sehr gut vorstellen, diese Dinge unter Einbindung des Parlaments zu beraten.
Das wird auch sehr schnell nötig sein, denn schon bald wird die Entscheidung anstehen, wie es mit den Schulen und Universitäten weitergeht. Frau Ministerin Gebauer, wie kann es – das fragen sich derzeit alle Schülerinnen und Schüler – nach den Osterferien weitergehen? Kann es vielleicht eine schrittweise Lockerung unter Wahrung der Hygienevorschriften geben? Können die Abiturprüfungen stattfinden?
Was ich nicht verstehe, ist, warum in der SchulMail – ich glaube, von Ihrem Staatssekretär versandt – steht, dass man sich auf alle Szenarien vorbereiten muss. Das ist ja richtig, aber warum steht das nicht in dem heute vorliegenden Gesetzentwurf?
Ich finde es völlig unverständlich, warum hier steht, dass nur für Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschulen Vorsorge getroffen werden soll, dass die Prüfungen dort gegebenenfalls ausgesetzt werden können. Warum nicht auch für die Gymnasien? Es kann ja keine Prüfungen erster und zweiter Klasse geben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das erschließt sich uns nicht. Hier brauchen wir Klarheit. Auch die Gymnasien müssen in das Gesetz einbezogen werden.
Wir wären selbstverständlich alle miteinander froh, wenn die Prüfungen unbelastet stattfinden könnten. Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass dies unter Umständen nicht geschehen kann. Deswegen braucht es für alle Schulformen einen Plan B, falls das nicht gehen sollte.
Zum Schluss danke auch ich noch einmal ganz herzlich allen Menschen, die derzeit unter schwierigsten Bedingungen dazu beitragen, dass unsere Versorgung mit dem Nötigsten, mit Lebensmitteln, sichergestellt wird und dass unsere Kranken bestens versorgt werden.
Ich danke noch einmal den vielen Beschäftigten in den Bezirksregierungen, die es über das Wochenende mit einem enormen Kraftakt geschafft haben, dass die Zahlungen an die notleidenden Betriebe sehr schnell auf den Weg gebracht werden können. Hier hat sich die Verwaltung handlungsfähig gezeigt und mit einem riesigen Einsatz auf diese existenziellen Notlagen reagiert. Richten Sie bitte den ausdrücklichen Dank der Opposition an alle Beschäftigten der Bezirksregierung aus.
Auch den Schulen und den Lehrkräften, finde ich, gebührt ein ausdrücklicher Dank für ihren Einsatz in dieser außergewöhnlich herausfordernden Lage. Sie machen gerade digital, kreativ, unkonventionell alles, damit unsere Schülerinnen und Schüler, so weit es geht, weiter beschult werden können und nicht abgehängt werden. Danke dafür.
Frau Ministerin, hier wird aber natürlich auch die wachsende Schere bei der Bildungsgerechtigkeit deutlich. Das sieht man, wenn man sich die Lebenslagen der Kinder zu Hause anschaut. Nicht jede Familie kann alles gleichermaßen gewährleisten. Vielleicht muss sich ein Kind einen PC, einen Laptop mit der im Homeoffice arbeitenden Mutter teilen. Es ist also dringend nötig, dass wir bald Klarheit haben, wie es mit den Schulen weitergeht.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich habe deutlich gemacht: Meine Fraktion ist zur Zusammenarbeit bereit. Wir bringen Änderungsvorschläge ein, die wir für notwendig halten, um mehr Klarheit und Verfassungsfestigkeit in das Gesetz zu bringen. Ich hoffe auf konstruktive Beratungen und bin zuversichtlich, dass wir, wenn alle diese Haltung mitbringen, in den Verhandlungen über das Wochenende und nach der Anhörung nächste Woche dann gemeinsam Änderungen vornehmen können. – Schönen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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